Adela war noch nie verliebt, doch sie will nun endlich auch dieses viel beschworene Feuerwerk der Gefühle erleben. Sie sitzt im feuchten Sand, als sich plötzlich eine pazifische Welle erdreistet, ihren schaumigen Saum über ihre Schenkel zu ergiessen. Sie glänzen eine Weile in der spätnachmittäglichen Sonne, bis die Hitze die Tröpfchen auf ihrer braunen, zarten Haut wieder verdunsten lässt. Der Kreislauf der Natur hat eine neue Bühne gefunden: Ein Körper, der zittert und bebt vor feuriger Erwartung.
Adela schliesst die Augen und atmet tief ein. Der Wind spielt mit ihrem blonden Haar, ihre Lippen sind zum Bersten voll von Sehnsucht. Gespritzt warten sie auf Küsse, die kein Ende kennen. Gespannt harren sie der unendlichen Süsse, die nur das Glück der Liebe schenken kann. Verführerisch zeichnet sie ein Herz in den thailändischen Sand. Es ist ihr eigenes, hungriges Herz.
«Wo ist der Mann, der tief in mein Inneres einzudringen vermag?», schreit es.
«Wo ist der Mann, der mich aus der Schublade der Oberflächlichkeiten herauszieht, in die ich fraglos gesteckt werde?»
Adela mochte ihren Körper nicht immer. «Athletisch, flach und unweiblich ist er», wie sie fand. Und so liess sie sich die Brüste machen. Doch jetzt sehen die Männer nur noch ihren Körper. Sie sehen nicht mehr hinter die Fassade. Sehen nicht, was hinter den enormen Bergen liegt. Dass dort eine sensible Seele darauf wartet, einfach nur geliebt zu werden.
Und während ihr Herz nach wahrer Liebe lechzt, stählt David seine Muskeln. Er ist einer der 22 Männer, die unter der südostasiatischen Sonne um Adela kämpfen wollen. Wie wird sie aussehen, diese Junggesellin, die Bachelorette, für die sie sich in den Ring wagen?
David schwitzt. Das Kraftöl läuft in kleinen Rinnsalen seinen Bizeps hinunter. David schaut ihnen zu. Ob sie den Weg zum Ozean finden? Sein Tanktop scheint zu schweben über dieser hügeligen Muskellandschaft, in deren Schluchten der Tod lauert – selbst für erfahrene Bergsteiger.
Davids rechte Schulter ist bemalt mit Zeichen aus einer fernen, wilden Zeit, als die Menschen im Busch lebten und sich ihrer Nacktheit noch nicht schämten. Wie ein urzeitlicher Krieger steht er da, gemeisselt aus härtestem Marmor.
David stellt seinen Mitstreitern die Gretchenfrage:
Die Antworten fallen verschieden aus. Aber einen knackigen Hintern wünscht sich Fitnesstrainer Marc schon. Wie ein noch nicht ganz reifer Pfirsich sollte er sein, dessen Haut beinahe zu fest ist, um dem hungrigen Biss nachzugeben.
Umso mehr möchte Marc seine Zähne hineinschlagen.
Doch weil er das nicht kann, hat er sie anderswo vergraben. Vorläufig.
In Matteos Schulter.
22 Köpfe stellen sich gerade vor, wie die Bachelorette aussehen mag. 22 Stossgebete werden zum Himmel geschickt, und alle verlangen sie nach Adela.
Mario ist der Mann, der mit reichen Menschen Tennis spielt. Weil er damit selbst nicht reich geworden ist. Sicherlich wäre er es gern. Eifersüchtig schaut er hoch zu Cem, dem Personaltrainer einer arabischen Königsfamilie. Denn der kann Adela alles bieten, was einer Frau aus dem 21. Jahrhundert wichtig ist – einen guten Job, und daraus sich selbstverständlich ergebend: finanzielle Sicherheit.
Zuversichtlich taucht er seine Füsse in den Pool. Er ist sich sicher, dass Adela ihn auswählen wird. Er hält sich für den König unter den Kandidaten.
Thomas hingegen feilt an seinen Sprüchen. Unruhig schwimmt er seine Runden im Pool, bis ihm endlich die rettende Idee kommt: «Ich paare mein Selbstvertrauen mit meinem profunden Wissen über die Geschichte der Malerei und deren ästhetische Gesetze!», denkt er sich ganz aufgeregt:
Noch ist sein Zusammenbruch fern, noch hat er Adela kein T-Shirt mit seinem eigenen Gesicht drauf geschenkt. Doch bald wird Thomas die Bätschi nur noch vom Krankenbett aus per Videobotschaft grüssen können.
Wie ein mächtiger Feuerball färbt die Sonne allmählich alles rot, sie kennt kein Erbarmen, weder mit dem Himmel noch mit dem Meer. Und unter diesem Abendrot steht nun Adela auf ihrem Balkon und schaut sehnsüchtig in die Ferne. Wird sich ihr Traummann unter den 22 Kandidaten befinden?
Die Limousine fährt vor, doch niemand steigt aus. Adela wird allmählich nervös, was geschieht hier?
Nach einer Weile kommt er dann doch noch. Der Mann, der eine Ausstrahlung hat wie ein Berg. Wie ein nackter Berg.
Safak.
Und Adela schaut an dem Berg hinunter und lächelt.
Hanspeter hingegen hat sich in samtige Schale geworfen und singt Adela ein Ständchen. Hin und weg von dessen hemmungsloser Darbietung fragt sie:
Jetzt schreitet Sam auf Adela zu. Selbstbewusst öffnet er seine Arme, fast so, als würde er sich ihr als Geschenk anerbieten. Doch Sam hat nicht nur sich selbst und seine verschmitzten Blicke mitgebracht. Er hat auch ein Gedicht für Adela vorbereitet, dessen letzte Zeile sie mit ihm gemeinsam beendet.
Es ist eins von Adelas Lieblingsgedichten.
Poesie, überall Poesie. Gee bricht das Eis mit einem Eispickel. Und Kevin wachte vor fünf Jahren aus dem Koma auf, um heute hier vor Adela stehen zu können.
Und vielleicht ist seine Leidensgeschichte zu gross, da gibt es keinen Platz mehr für einen zweiten Kevin. Adela schickt ihn heim, gemeinsam mit Patrick und Reto.
Dabei hätte er gern hinter ihre Fassade geguckt.