Ihre Wahl im letzten Dezember war eine Überraschung. Elisabeth Baume-Schneider, Ständerätin und ehemalige Regierungsrätin aus dem Kanton Jura, war als Aussenseiterin ins Rennen um die Nachfolge von Bundesrätin Simonetta Sommaruga gestartet. Zu welsch und zu rural erschien sie im Vergleich mit der Basler Favoritin Eva Herzog.
Am Ende aber schaffte «EBS» die Wahl. Den Ausschlag gab neben dem Störmanöver von Daniel Jositsch der persönliche Eindruck. Während Herzog in den Hearings der Fraktionen verkrampft wirkte, überzeugte «Schafhalterin» Baume-Schneider nicht nur die Bauern mit ihrer Frohnatur. «Ich bin keine Zufalls-Bundesrätin», betonte sie am Montag vor den Medien.
Einen Dämpfer erlebte sie bei der Ämterverteilung. Die Jurassierin erhielt das ungeliebte Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), ohne Erfahrung in diesem Bereich. An ihrer etwas verfrühten 100-Tage-Medienkonferenz im Zürcher Schiffbau hinterliess sie jedoch nicht den Eindruck, sich im Bundesrat («ein weltweites Unikum») unwohl zu fühlen.
Die Wahl der Location begründete Baume-Schneider mit der Transformation von einer Schiffswerft zum Kulturzentrum: «Vergangenheit und Zukunft fügen sich hier zusammen.» Allerdings wurde man den Verdacht nicht los, dass es einen weiteren Grund gab, warum sie die Medien nach Zürich und nicht nach Bern oder in die heimischen Freiberge geladen hatte.
Seit ihrer Wahl gibt es im Bundesrat eine «lateinische» Mehrheit, und weil gleichzeitig auch Albert Rösti (SVP) aus dem Berner Oberland gewählt wurde, sind die urbane Schweiz und die Geberkantone im Finanzausgleich nicht mehr in der Landesregierung vertreten. Da kann es nicht schaden, in der Deutschschweizer Wirtschaftsmetropole Präsenz zu markieren.
Es war auch der erste grosse Auftritt der neuen Justizministerin vor heimischem Publikum. In ihren ersten drei Monaten agierte die 59-Jährige weitgehend unter dem Radar. Das lag in erster Linie daran, dass sie mit den Krisen, die die politische Debatte zuletzt dominiert hatten (Waffen für die Ukraine, Übernahme der Credit Suisse), nur am Rande zu tun hatte.
Baume-Schneider verteidigte die Anwendung von Notrecht beim Banken-Deal, bei der das ihr unterstellte Bundesamt für Justiz (BJ) involviert war. Und bei der Kontroverse um die Weitergabe von Waffen stellte sie sich vor Parteikollege und Bundespräsident Alain Berset, indem sie betonte, nicht jede Form der Hilfe sei «mit unserer Rechtsordnung vereinbar».
Ihre Arbeit als EJPD-Vorsteherin will sie unter das Motto «Schutz und Partizipation» stellen. Und dabei Akzente setzen, die ihrer Partei gefallen dürften, der SP. Dazu gehört der Schutz vor häuslicher und sexualisierter Gewalt. Baume-Schneider versprach, die Revision des Sexualstrafrechts, die sich im Parlament auf der Zielgeraden befindet, schnell umzusetzen.
Noch in diesem Jahr will sie eine Vorlage präsentieren, die ein explizites Recht der Kinder auf gewaltfreie Erziehung im Zivilrecht verankert. Auch für non-binäre Personen möchte sie sich einsetzen, obwohl der Bundesrat erst im Dezember die Einführung eines «dritten Geschlechts» abgelehnt hatte. Gleiches gilt für Opfer von Menschenhandel.
Damit grenzt sich die SP-Justizministerin ab von Amtsvorgängerin Karin Keller-Sutter. Auch das von der freisinnigen Bundesrätin sistierte Resettlement für besonders vulnerable Geflüchtete würde sie gerne wieder aufnehmen («persönlich finde ich es sehr wichtig»). Doch weil die Reaktion der Kantone negativ war, muss sie es weiter auf Eis legen.
Es war eine Lektion in Realpolitik. Ohnehin dürfte der Asylbereich zum Härtetest für die Bundesrätin werden. Die Zahl der Gesuche steigt, und Italien verweigert die Rücknahme von Asylsuchenden gemäss den Regeln von Schengen-Dublin. Die SVP hat sich deswegen auf die neue Justizministerin eingeschossen, doch die gibt sich unbeeindruckt.
An der Medienkonferenz konterte Baume-Schneider die Kritik mit Zahlen. So seien im Februar 1681 ordentliche Asylgesuche eingereicht worden und 2040 Gesuche für den Schutzstatus S: «Mit anderen Worten: Es flüchten derzeit mehr Menschen aus der Ukraine als aus der übrigen Welt in die Schweiz.» Der Druck auf das System aber bleibe hoch.
So räumte die Bundesrätin ein, dass die Unterbringung und Betreuung schwierig werde, wenn der Trend anhalte. Bislang hätten 15 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer eine Arbeit aufgenommen. Das sei «nicht schlecht, aber auch nicht genug». Sie werde sich «mit aller Kraft» dafür einsetzen, dass «mehr Menschen mit Schutzstatus S eine Stelle finden».
Der Auftritt von Elisabeth Baume-Schneider vor den Medien überzeugte. Mit ihren teilweise unverblümten Aussagen hob sie sich ab von ihren um Selbstkontrolle bemühten Vorgängerinnen Keller-Sutter und Sommaruga. Man traut ihr zu, frischen Wind in den Bundesrat zu bringen, in dem sie die Stimmung als «kollegial und konstruktiv» erlebe.
Ob sie mit ihrer ambitionierten, ziemlich SP-lastigen Agenda im Kollegium, im Parlament und letztlich beim Stimmvolk durchkommen wird, muss sich aber erst noch zeigen.