
Juso-Präsidentin Tamara Funiciello lässt Bundesrat Guy Parmelin in der «Arena» alt aussehen.Bild: screenshot/srf
Bundesrat, Geheimdienst-Direktor, Vertreterin der Sicherheitspolitischen Kommission: Die Befürworter fahren in der «Arena» zum neuen Nachrichtengesetz grosses Geschütz auf. Die Politsendung endet für sie trotzdem in einem Fiasko. Sie hatten nicht mit der engagierten Juso-Präsidentin Tamara Funiciello (26) gerechnet.
10.09.2016, 00:2714.02.2017, 10:38

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Wie viel Vertrauen hat der Schweizer Geheimdienst verdient? Wer die Diskussion um das neue Nachrichtendienstgesetz (NDG) ein für alle mal beenden möchte, müsste bloss diese eine Frage beantworten. Das kann aber niemand. Auch nicht die Politiker und Experten, die in der Abstimmungs-«Arena» eingeladen waren.
Zumindest Geheimdienstchef Markus Seiler hätte die Sendung aber dazu nutzen müssen, am Vertrauensverhältnis zu arbeiten. Schliesslich wäre er die Person, die in dringenden Fällen die sofortige Totalüberwachung einer Person anordnen könnte. Er ist es auch, der mehr Kompetenzen für seine Leute vom Nachrichtendienst will, also Schweizer verwanzen, ihre Handys abhören und ihnen beim Surfen im Internet über die Schultern schauen.
Das mit dem Vertrauen gelingt dem aalglatten Seiler aber mehr schlecht als recht. Ganz ungünstig für das Vertrauensverhältnis zwischen NDB und Bevölkerung war folgendes Outing: Als es um die Kontrollinstanzen ging, die ihm bei seiner Arbeit auf die Finger schauen, gab Seiler unverhohlen zu, dass gerade diese Sitzungen an seinem ansonsten faszinierenden Job das Mühsamste seien:
Seiler findet die Kontrollen mühsam
Wir entschuldigen uns für den schlechten Ton im Video.Video: streamable
Das war aber nicht das Schlimmste, das den Befürwortern des NDG in dieser wichtigen Abstimmungssendung passieren konnte. Das Schlimmste, das passieren konnte, war eine engagierte, junge Politikerin, die auch noch wusste, wovon sie sprach.
Tamara Funiciello griff die Vertrauensfrage auf – ihr Credo: «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser» – und griff den Bundesrat so frontal an, dass die älteren Herren in den Publikumsreihen sich ein überraschtes Lächeln nicht verkneifen konnten:
Als Parmelins grösstes Handycap stellten sich seine immer noch mageren Deutschkenntnisse heraus, obwohl diese «Arena» extra für ihn auf Hochdeutsch abgehalten wurde. Stellenweise war sich die geneigte Zuschauerin nicht sicher, ob der welsche Bundesrat der Diskussion überhaupt effektiv folgen konnte. Umso einfacher war es für die Juso-Präsidentin, die sich als Nicht-Parlamentarierin keinen Deut um politische Hierarchien scherte, den Bundesrat zu konfrontieren.
Das zweite Mal legte sie sich in punkto Sicherheit mit ihm an. Schliesslich sollen wir unsere Privatsphäre für mehr Sicherheit vor Terror opfern. Gekonnt argumentiert die 26-Jährige, dass Massenüberwachung gemäss Studien nicht zu mehr Sicherheit führt. Der Bundesrat hat keine Chance:
«Frau Funiciello! ... »
Wir entschuldigen uns für den schlechten Ton im Video.Video: streamable
Obwohl er im Zuge der Sicherheitsdebatte im Lichte Funiciellos beinahe zu verblassen droht, gelingt es einem der grössten Kämpfer gegen den gläsernen Bürger, dem Grünen Balthasar Glättli, wenigstens einen neuen Begriff zu prägen: «Sicherheits-Esoterik». Gemeint ist die seiner Meinung nach falsche Annahme, mehr Überwachung führe auch zu mehr Sicherheit. Glättli muss in der Debatte als vorbelastet betrachtet werden. Sein Vertrauensverhältnis ist seit 2010 gestört, als er erfuhr, dass er 2005 aufgrund seiner politischen Arbeit und Organisation einer bewilligten, friedlichen Demonstration vom Geheimdienst fichiert worden war.
«Sicherheits-Esoterik»
Wir entschuldigen uns für den schlechten Ton im Video.Video: streamable
Glättlis Bemerkung, dass Terroristen doch verschlüsselt und unter dem Radar des Nachrichtendienstes kommunizieren können, verhallt im Nichts. Auf die wirklich kritischen Punkte pflegen die Befürworter des NDG in dieser «Arena» generell nicht einzugehen.
So handhabt das auch CVP-Nationalrätin Ida Glanzmann. Obwohl sie eine der Politikerinnen ist, die sich in der Sicherheitspolitischen Kommission seit Jahren mit dem neuen Nachrichtendienstgesetz auseinandergesetzt hat, gelingt es ihr nicht, sich überzeugend und kompetent für das neue Gesetz stark zu machen.
Auch die kritische Bemerkung von Staatsrechts-Professor Markus Schefer, der das Kleingedruckte im NDG moniert, in dem es zuerst heisst, dass Daten von Schweizern nur anonymisiert weitergegeben werden dürfen, weiter hinten aber, dass dies nicht für «verdächtige» Inhalte gelte, kontern weder Glanzmann noch Bundesrat Parmelin:
«Das neue Gesetz ist nicht befriedigend.»
Video: streamable
Gleich verfahren die Befürworter mit der Kabelaufklärung, dem wohl grössten Streitpunkt des neuen Gesetzes. Sie erlaubt dem Nachrichtendienst, die gesamte grenzüberschreitende Kommunikation auf verdächtige Schlüsselwörter hin zu untersuchen. Da viele Server im Ausland stehen, sind davon praktisch alle Schweizer betroffen. Warum die Befürworter angesichts dessen nicht von «Massenüberwachung» sprechen wollen, bleibt von Parmelin, Glanzmann und auch Geheimdienstchef Seiler unbeantwortet.
So funktioniert die Kabelaufklärung:
Video: streamable
Trotzdem müssen die Schweizerinnen und Schweizer am 25. September entscheiden. Sie stimmen über nichts weniger als ihre Privatsphäre ab. Wollen sie sie dem Schweizer Nachrichtendienst anvertrauen oder doch eher nicht? Was ist ihnen wichtiger? Freiheit oder Sicherheit?
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