Schweiz
Coronavirus

Ausgangssperre wegen Coronavirus: Warum der Kanton Uri vorprescht

Der Bahnhof in Flueelen im Kanton Uri am Donnerstag, 19. Maerz 2020 ist wegen dem Coronavirus nicht, oder nur sehr leicht bevoelkert. (KEYSTONE/Urs Flueeler)
Der Zug hielt in Flüelen UR noch – die Perrons waren aber gestern leer.Bild: KEYSTONE

Uri will «Damm vor dem Brechen bewahren» – Ausgangsbeschränkung für Ü65

Der Kanton Uri hat am Donnerstag eine Ausgangsbeschränkung für über 65-Jährige beschlossen. Der Führungsstab erklärt sein Eigenmanöver und wählt dabei dramatische Worte.
20.03.2020, 11:0420.03.2020, 19:15
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Der Kanton Uri hat überraschend am Donnerstag eine Ausgangsbeschränkung für Seniorinnen und Senioren beschlossen. Wer über 65 Jahre alt ist, darf auf dem gesamten Kantonsgebiet das Haus oder die Wohnung nicht mehr verlassen.

Diese Ausgangsbeschränkung hat mehrere Ausnahmen: Wer zur Ärztin muss, kann dies nach telefonischer Vorabsprache tun. Ebenfalls erlaubt bleiben Bestattungen im engsten Familienkreis sowie kurze Spaziergänge alleine, zu zweit oder mit dem Hund. Nicht davon betroffen sind gemäss Weisung Personen, «die in systemrelevanten Funktionen des Gesundheitswesens» arbeiten.

Sprich: In den Urner Läden von Seelisberg bis Hospental wird man heute keine älteren Personen mehr antreffen. Die Einkäufe müssen von Familien, Nachbarn oder Freiwilligen unternommen werden.

Uri: Es geht um Menschenleben

Der drastische Entscheid hat Symbolwirkung. Ignaz Zopp, Chef des kantonalen Führungsstabs, sagte gestern gegenüber Radio SRF: «Diese Massnahme war jetzt angesagt, weil alles, was bis jetzt in Uri angeordnet wurde, nur bedingt mitgetragen wurde.»

«Diese Massnahme war jetzt angesagt, weil alles, was bis jetzt in Uri angeordnet wurde, nur bedingt mitgetragen wurde.»
Ignaz Zopp, Chef des Urner Führungsstabs

Die harten Worte meint Zopp bitter ernst. Sein Sprecher Adrian Zurfluh präzisiert gegenüber watson in einer schriftlichen Stellungnahme nun die Beweggründe: «Insbesondere die Mediziner in diesem Gremium befürchten in den kommenden Tagen und Wochen massiv steigende Fallzahlen. Jeder Tag, der mit solchen Massnahmen gewonnen werden kann, ist ein gewonnener Tag und rettet möglicherweise Leben.»

Eigenmanöver des Führungsstabs

Der Führungsstab handelte selbstständig, wie Zurfluh erklärt. Der Regierungsrat wurde nachträglich über die Massnahmen informiert, damit er diese formell im Nachgang beschliessen kann. Führungsstab-Sprecher erklärt: «Dies ist erst im Nachhinein möglich, weil, wie im vorliegenden Fall, die Zeit ein sehr wichtiger Faktor ist. In anderen Ereignissen kann dies zum Beispiel sein, dass Massnahmen getroffen werden müssen, die einen Damm vor dem Brechen bewahren.»

«Einen Damm vor dem Brechen bewahren.»
Führungsstab-Mediensprecher Adrian Zurfluh
Der Urner Regierungsrat und Sicherheitsdirektor Dimitri Moretti bei seiner Ausfuehrung waehrend einer Medienkonferenz zu zwei Gutachten zum Fall Ignaz Walker am Freitag, 5. Juli 2019 im Regierungsgeba ...
SP-Regierungsrat Dimitri Moretti findet die Ausgangsbeschränkung «leider nötig».Bild: KEYSTONE

Der Urner Sicherheitsdirektor Dimitri Moretti war für eine watson-Anfrage am Freitagmorgen nicht erreichbar. Über Facebook teilt er jedoch mit, dass die Massnahme des Führungsstabs «leider nötig» sei. Der SP-Regierungsrat ruft seine Bevölkerung dazu auf, sich an die Massnahmen zu halten. «Je besser die Bestimmungen eingehalten werden, desto schneller normalisiert sich die Lage wieder. Nicht morgen oder nächste Woche, aber sicher früher als später. Und bleibt gesund», schreibt Moretti in einem öffentlichen Beitrag.

Darf der Kanton Uri sowas überhaupt beschliessen?
Der Staatsrechtler Felix Uhlmann erklärte gegenüber Radio SRF, dass der Bundesrat ausdrücklich kein Verbot erlassen habe. «Deswegen bin ich mir nicht sicher, ob die Urner Weisung mit der Verordnung des Bundes kompatibel ist», sagt Uhlmann. Die Urner Behörden sehen das anders. Sie schreiben, dass sie die Bundesratsverordnung vollziehen müssen und ihre Zuständigkeit dabei behalten. Deshalb sei eine Ausgangsbeschränkung für Personen ab 65 Jahren «möglich».

Kommt die Ausgangssperre auch für andere Kantone?

Eine Ausgangsbeschränkung könnte auch schweizweit oder zumindest in anderen Kantonen drohen. Der Bundesrat hat mit der ausserordentlichen Lage das Recht, selbstständig die «nötigen Massnahmen» zu beschliessen. «Selbstständig» ist wörtlich gemeint: Anders als in der «besonderen Lage» werden die Kantone nicht angehört.

Das bestätigt der Sprecher des Urners Führungsstabs: «Das entfällt in der ausserordentlichen Lage. Mit anderen Kantonen laufen ab und zu Koordinationsgespräche, aber nicht institutionalisiert.» Sprich: Falls der Bundesrat mit einer schweizweiten Ausgangssperre zu lange zögert, könnte ein Flickenteppich drohen, wie es ihn vor einigen Tagen mit dem Veranstaltungsverbot gab.

Ob der Bundesrat dieser Gefahr mit einer eigenen Massnahme zuvorkommen will, ist unklar. Der «Blick» spekuliert heute, dass die Landesregierung derzeit über die Ausgangssperre streite. Einen Antrag soll angeblich Verteidigungsministerin Viola Amherd (CVP) stellen. Gut informierte Nationalrätinnen und Nationalräte wollten das gegenüber watson nicht bestätigen. Man habe nur gehört, dass wirtschaftliche Coronavirus-Massnahmen kommen würden – und diese seien «gut», sagt ein Politiker.

In einer früheren Version des Artikels wurde Herr Regierungsrat Dimitri Moretti als Gesundheitsdirektor bezeichnet. Das ist falsch. Er ist Sicherheitsdirektor. Der Fehler wurde korrigiert, wir bedauern den Fehler.

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44 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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drüber Nachgedacht
20.03.2020 11:24registriert Dezember 2017
Die Lösung von Uri ist perfekt.

So kann ohne die Wirtschaft noch stärker zu belasten die Risikogruppe geschützt werden.

Besser 5 Wochen in der eigenen Wohnung, als drei Wochen auf der Intensivstation.
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WhyNotX?
20.03.2020 11:18registriert September 2017
Ich würde das sehr begrüssen. Aber man muss schauen, dass auch wirklich alle Unterstützung erhalten. Es gibt zu viele ältere Menschen die ohne jedliche Familienangehörige sind. Diese Ausgangsperre darf ihnen nicht schaden! Man muss vom Staat aus für diese Menschen schauen oder ihnen die Spitex zum einkaufen (falls auch keine Nachbarn, oder Freiwilligen vorhanden sind) schicken.
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felixJongleur
20.03.2020 11:56registriert Dezember 2014
Zum Glück ergab sich heute (über Distanz natürlich) ein Gespräch mit einer älteren Nachbarin (Ü75). Sie sah den Anschlag im Gebäude, aber hatte Vorbehalte sich dort zu melden. Nun im direkten Kontakt konnten wir jedoch vereinbaren, das wir für Einkaufshilfe Nahrund und Medis da sind für sie. Fazit: Die Scham und Zurückhaltung ist teils sehr gross, das direkte Gespräch und natürlich eine gewisse Vertrauens/Sympathiebasis hilft ungemein.
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