Psychische Erkrankungen werden in der Öffentlichkeit meist aus Sicht von Betroffenen thematisiert. Die Erfahrungen von Angehörigen oder Vertrauten gehen dabei oftmals vergessen. Dabei gibt es in der Schweiz enorm viele Menschen, die diese Rolle einnehmen. Sie leisten für die Betroffenen anspruchsvolle Hilfe und entlasten so das Gesundheitssystem.
Welches immense Ausmass an Unterstützung die Angehörigen wirklich leisten, zeigt eine neue Studie von der Angehörigenorganisation «Stand by You Schweiz – Angehörige und Vertraute von Menschen mit psychischen Erkrankungen» in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut Sotomo. Hier bekommst du einen Überblick zur Situation in der Schweiz.
In der Schweiz sind 59 Prozent der erwachsenen Bevölkerung schon einmal in ihrem Leben in der Rolle der Angehörigen oder Vertrauensperson von Menschen mit psychischen Erkrankungen gewesen. Aktuell befinden sich in der Schweiz rund die Hälfte davon – etwa 2,1 Millionen Menschen – in dieser Rolle.
Aus der Befragung von «Stand by you» kannten 90 Prozent der Teilnehmenden mindestens eine Person, die unter psychischen Erkrankungen leidet oder gelitten hat. 73 Prozent gaben an, mehrere betroffene Personen zu kennen.
Wie sieht es bei dir aus, kennst du Personen mit psychischen Erkrankungen?
In der Umfrage wurden die Teilnehmenden gebeten, ihre prägendste Erfahrung mit einer ihr nahestehenden Person mit psychischer Erkrankung näher zu beschreiben. Die meisten der Befragten (52 Prozent) gaben an, Erfahrungen mit einer betroffenen Person im Familienkreis zu haben. Bei 23 Prozent der Teilnehmenden war die von einer psychischen Krankheit betroffenen Person ein Elternmitglied.
48 Prozent der Befragten haben schon einmal eine betroffene Person durch regelmässige Gespräche und Hilfe bei Alltagsaufgaben unterstützt. Knapp die Hälfte davon, 23 Prozent, leistet aktuell Hilfe.
Unterstützt du momentan eine Person mit psychischer Erkrankung?
Gemäss der Befragung haben 36 Prozent als Kind miterlebt, wie ein Familienmitglied unter einer psychischen Erkrankung litt. Zudem gaben drei von vier Personen an, unter den psychischen Erkrankungen der Personen gelitten zu haben. Auf die Schweizer Bevölkerung hochgerechnet bedeutet dies, dass ungefähr 1,9 Millionen Erwachsene als Kind unter der psychischen Erkrankung eines Familienmitglieds gelitten haben.
Die Leistungen von Angehörigen und Vertrauten werden von betroffenen Personen als enorm wichtig eingestuft. Das zeigt auch die Umfrage von «Stand by you». 96 Prozent der psychisch erkrankten Personen empfanden die Hilfe von Angehörigen und Vertrauten als wichtig.
Fast zwei Drittel der psychisch erkrankten Personen gaben an, dass sie ohne die Unterstützung aus ihrem Umfeld mehr professionelle Hilfe hätten in Anspruch nehmen müssen.
68 Prozent der Angehörigen und Vertrauten haben die Betroffenen mindestens ein Jahr lang unterstützt. Bei knapp einem Drittel der Unterstützenden erfolgte die Hilfe sogar über einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren. Daraus lässt sich schliessen, dass die Hilfeleistenden das Gesundheitssystem in der Schweiz stark entlasten.
Nicht selten haben die psychischen Erkrankungen von Betroffenen auch negative Auswirkungen auf ihr Umfeld. 73 Prozent der Teilnehmenden, die schon einmal für Betroffene Unterstützung geleistet haben, empfanden die Rolle als psychisch belastend.
66 Prozent der Angehörigen und Vertrauten äusserten, dass sie Sorgen oder Angst um die betroffene Person haben, 50 Prozent verspürten eine Traurigkeit und nur 7 Prozent fühlten sich von der Situation nicht oder kaum belastet. 37 Prozent der Personen, die sich um die Betroffenen sorgen, haben zudem Angst um das Leben der erkrankten Personen.
Je länger Angehörige oder Vertraute eine Person aus ihrem sozialen Umfeld unterstützen, desto häufiger löst diese Situation negative Gefühle aus. Nebst der psychischen Belastung, welche Angehörige und Vertraute durch ihre Unterstützung erleben, kann ihre Leistung zusätzlich auch andere Lebensbereiche negativ beeinflussen. Rund 40 Prozent der Menschen, die während mehr als fünf Jahren Betroffenen-Hilfe leisteten, fanden es schwierig, die Unterstützung mit ihrer eigenen Berufstätigkeit zu vereinbaren. Hochgerechnet betrifft das rund 900'000 Menschen in der Schweiz.
Die gute Nachricht: Die meisten Angehörigen kennen eine Person oder eine Organisation, an die sie sich wenden können, wenn ihnen die Situation aufgrund der betroffenen Person mit psychischer Erkrankung zu viel wird. Jedoch würden nicht einmal ein Viertel der befragten Hilfeleistenden (23 Prozent) sich Hilfe von einer Organisation für Angehörige und Vertraute holen. Die meisten würden die Hilfe von der Familie oder psychologischen Dienstleistungen einfordern. Dieses Resultat zeigt, dass solche Organisationen und Dienste aktuell nicht existieren oder zu wenig bekannt oder zugänglich sind.
Zudem fühlen sich Angehörige und Vertraute von der Gesellschaft oft missverstanden und zu wenig unterstützt. 73 Prozent gaben an, dass die Gesellschaft Angehörigen und Vertrauten zu wenig Verständnis entgegenbringt.
Zudem sind 53 Prozent der Angehörigen und Vertrauten der Meinung, dass es zu wenige spezifische Angebote gibt, um das soziale Umfeld von Personen mit psychischen Erkrankungen angemessen zu unterstützen. Gewünscht wird besonders der vereinfachte Zugang zu Informationen und mehr Angebote für Erfahrungsaustausch.
Wenn aber dann zusätzlich der Partner oder Familienangehörige sich abwenden sieht man was in der Gesellschaft los ist. Die Angehörigen die zu dem Erkrankten stehen haben in meinen Augen meinen vollsten Repekt verdient. Die "anderen" haben sich selbst ins Abseits geschossen
Für mich als ‚Gesunder‘ war/ist es immer wieder sehr schwer ihr wirklich zur Seite zu Stehen, denn es ist teilweise nicht ‚fassbar‘ wie prägend solche schlimmen Kindeserfahrungen einen Menschen das ganze Leben dermassen runterziehen können.
Ich habe in den 30 Jahren gelernt, dass ich ihr nur indirekt Helfen kann, indem ich sie versuche in schweren Zeiten zu ‚Aktivieren‘.
Einfach da sein und Verständnis haben …
2007 stürzte ich während einer Dissoziation aus einem Fenster. Der erste Gedanke meiner Mutter war folgender: "Wäre sie doch gestorben"
Das tönt im ersten Blick hart, zeigt aber wie schlimm es gewesen sein muss. Wenn man als Mutter denkt, dass es für das eigene Kind, welches man liebt, besser wäre zu sterben, zeigt dies die Qualen gut auf.