In der Affäre um mutmassliche Spionage eines Schweizers in Deutschland sind noch immer viele Fragen offen. Während die Ermittlungen laufen und viele unbestätigte Details ans Licht kommen, hat das Thema den deutschen Wahlkampf längst erreicht.
Die Schweizer Bundeskanzlei bestätigte am Donnerstagabend, dass das Bundesamt für Polizei (Fedpol) im Rahmen des Strafverfahrens um gestohlene Datenträger in Deutschland den Nachrichtendienst des Bundes (NDB) kontaktiert hat. Dies sei üblich in Fällen, wenn die polizeiliche Zusammenarbeit und die internationale Rechtshilfe nicht möglich seien.
Der Bundesrat sei über die Demarche des Fedpol 2011 durch den damaligen Verteidigungsminister Ueli Maurer informiert worden. Die Aktivitäten des Nachrichtendienstes seien 2014 beendet worden, schreibt die Bundeskanzlei weiter.
Dass die Schweizer Regierung über den mutmasslichen Spionage-Einsatz im Bilde war, sorgt in Deutschland für Aufregung. Die dortige Regierung drängt auf volle Aufklärung des Falls. «Das muss natürlich bis ins Letzte aufgeklärt werden, was da passiert ist», sagte Sprecher Steffen Seibert am Freitag in Berlin. Beantwortet werden müssten die Fragen: «Warum? Wann? Mit wessen Beteiligung? Hintermänner? Zielrichtung der Aktivitäten und so weiter.»
Justizminister Heiko Maas kündigte am Freitag eine «lückenlose Aufklärung» der Affäre an. «Wenn sich herausstellt, dass die Schweiz die deutschen Finanzverwaltungen ausspioniert, wäre das völlig inakzeptabel», sagte er der «Rheinischen Post».
«Statt die erfolgreichen Steuerfahnder in Nordrhein-Westfalen bei ihrer Arbeit zu bespitzeln, sollte die Schweiz endlich Ernst machen mit der konsequenten Bekämpfung von dubiosen Finanzgeschäften und Steuerbetrug», sagte Maas. Die Schweiz solle ihr Augenmerk auf diejenigen legen, die «Milliardengeschäfte auf Kosten der Allgemeinheit machen».
Der nordrhein-westfälische Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) forderte eine offizielle Entschuldigung der Schweiz. Wenn sich bestätige, dass der Schweizer Nachrichtendienst die deutsche Finanzverwaltung gezielt ausspioniert habe, um an Informationen über den Ankauf von Steuer-CDs zu gelangen, offenbare das kriminelles Handeln, sagte Kutschaty dem Nachrichtenmagazin «Spiegel».
«Dann zeigt das, dass die Schweiz sogar nicht davor zurückschreckt, Straftaten zu begehen, um das Geschäftsmodell der Steuerhinterziehung der Schweizer Banken schützen zu wollen.» Der Nachrichtenagentur DPA sagte er, wer Steuerhinterziehung ermöglichen oder decken wolle, sei nicht besser als der Steuerhinterzieher. «Ich sehe daher die Beziehungen zur Schweiz auf einem historischen Tief angekommen.»
Am Mittwoch hatten wegen der Affäre Aussenminister Didier Burkhalter und sein deutscher Amtskollege Sigmar Gabriel telefoniert. «Jetzt geht es darum, dass der Sachverhalt von allen Seiten schnell aufgeklärt wird», sagte eine deutsche Sprecherin.
Dass es momentan wenig braucht, um die Gemüter zu erhitzen, zeigte ein Beispiel vom Freitagmorgen. Im Auto eines Düsseldorfer Steuerfahnders wurden gestohlene Notizen gefunden. Medien zogen daraufhin eine Verbindung zu den Schweizer Steuer-CDs. Wenig später gab ein Oberstaatsanwalt dann Entwarnung: «Die Unterlagen stehen nicht in Bezug zu einer angekauften Steuer-CD aus der Schweiz.»
Die offensiven Äusserungen deutscher Politiker dürften nicht zuletzt Wahlkampftaktik sein. In einer Woche finden in Nordrhein-Westfalen die Landtagswahlen statt und im Herbst die Bundestagswahl. SPD-Parteichef und Kanzlerkandidat Martin Schulz verlangte, «sehr ernsthafte Gespräche mit der Schweiz» zu führen.
Bisher haben die deutschen Steuerbehörden immer wieder Datenträger gekauft, die aus Schweizer Banken gestohlen waren, um deutschen Steuerhinterziehern im Ausland auf die Schliche zu kommen – allen voran Nordrhein-Westfalen, das seit 2010 elf Steuer-CDs erworben hatte.
Gemäss den der Nachrichtenagentur SDA vorliegenden Auszügen des Haftbefehls war der Schweizer Spion beauftragt zu klären, wie diese Steuer-CDs konkret beschafft wurden. Dies habe er auch getan, denn die Schweizer Behörden leiteten Ermittlungen gegen Steuerfahnder ein. Entsprechende Haftbefehle gegen drei deutsche Beamte sind weiterhin in Kraft. (nfr/sda/dpa/reu)