Am 15. Mai stimmt die Schweizer Stimmbevölkerung über das Frontex-Referendum ab. Im Vorfeld der Abstimmung haben wir vier Aussagen überprüft.
>>> Alle Details zum Frontex-Referendum findest du hier.
Diese Aussage ist falsch.
Frontex, die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache, ist ein Instrument des Schengen-Abkommens, bei dem auch die Schweiz dabei ist. Die Schweiz muss sich, wie alle anderen 26 Mitglieder, an Frontex finanziell und personell beteiligen. Die Höhe der Beiträge an Frontex hängt vom Bruttoinlandsprodukt ab.
Ist ein Frontex-Ausbau beschlossen, müssen alle Schengen-Mitglieder auch nachziehen und mehr Gelder sprechen – auch die Schweiz.
Diese Aussage ist zwar im Kern richtig, greift aber zu kurz.
Staaten, die beim Schengen-Abkommen dabei sind, müssen auch Weiterentwicklungen mittragen. Wer nicht mitzieht, dem droht ein Ausschluss aus dem Abkommen. Es gibt aber eine Ausnahme.
Wenn die Schweiz mit dem «Gemischten Ausschuss Schweiz-EU» innert 90 Tagen eine andere Lösung findet, bleibt das Abkommen in Kraft. Zum «Gemischten Ausschuss» gehört die EU-Kommission und alle Mitgliedstaaten der EU. Der Entscheid, dass die Schweiz weiterhin beim Abkommen dabei ist, müsste aber einstimmig fallen. Wenn das nicht passiert, wird das Schengen-Abkommen nach weiteren drei Monaten automatisch beendet.
Fällt das Schengen-Abkommen, würde das automatisch ein Ende von Dublin bedeuten, weil die beiden Abkommen rechtlich miteinander verknüpft sind.
Sollte das Schweizer Stimmvolk beschliessen, dass der Bund die Frontex-Gelder nicht erhöhen soll, steht das Schengen/Dublin-Abkommen tatsächlich auf der Kippe. Ausser, die Schweiz findet zusammen mit dem «Gemischten Ausschuss» eine andere Lösung. Ob sich eine solche finden lässt, ist schwierig zu beurteilen. Bislang hat die Schweiz alle Schengen-Weiterentwicklungen übernommen.
Diese Aussage ist falsch.
Gemäss Bundesrat hätte das Ende der Schengen/Dublin-Zusammenarbeit «weitreichende Folgen» für die Schweiz. Besonders betroffen wären der Personen- und Warenverkehr, der Asylbereich sowie die Sicherheit.
In der Theorie ist diese Aussage falsch. Recherchen von Journalistinnen und Journalisten zeigen jedoch etwas anderes.
Aber der Reihe nach: Grundsätzlich muss sich Frontex an die Grundrechte halten. Heisst: Migrantinnen und Migranten, die EU-Raum betreten, haben ein Anrecht auf ein rechtsstaatlich durchgeführtes Asylverfahren.
Überprüft wird die Einhaltung der Grundrechte seit 2011 von einem Konsultationsforum, das die Agentur bei ihrer Arbeit überwacht. In diesem Forum sind NGOs und internationale Organisationen, die Grundrechtsbeobachtende vor Ort schicken, um die Frontex-Einsätze zu überprüfen.
Wer bei Frontex arbeitet, ist verpflichtet, Menschenrechtsverletzungen umgehend zu melden. Gemäss dem Bundesrat seien bislang keine solchen Vorfälle rapportiert worden.
2020 publizierte der «Spiegel» eine Recherche von den EU-Aussengrenzen. Auf Videos ist zu sehen, wie maskierte Männer an der Grenze zu Kroatien Geflüchtete aus der EU prügeln. Auch in Griechenland häuften sich Berichte über unrechtmässige Abschiebungen. In der Ägäis sollen Grenzschützer Boots-Flüchtlinge zurück aufs offene Meer geschleppt und sie ihrem Schicksal überlassen haben. Im Frühjahr 2020 soll an der griechisch-türkischen Grenze gar ein Migrant erschossen worden sein.
Bei einigen dieser Vorfällen soll auch Frontex involviert gewesen sein. Frontex-Beamte sollen sogenannte «Pushbacks» im östlichen Mittelmeer untätig beobachtet und teilweise sogar mitgeholfen haben. Solches Verhalten verstösst nicht nur gegen die UN-Flüchtlingskonvention, sondern gegen die EU-Grundwerte.
Frontex weiss von den Vorwürfen und hat selbst einen Vorfall nördlich der Insel Lesbos in einem Serious Incident Report dokumentiert. Darin heisst es abschliessend, dass die präsentierten Fakten eine mögliche Grundrechtsverletzung stützen würden. Der Bericht zeige aber auch, dass keine Frontex-Schiffe am Vorfall beteiligt waren. Frontex bestreitet bis heute, direkt in Menschenrechtsverletzungen involviert gewesen zu sein.
Die Aussage lässt sich folglich nicht abschliessend als klar wahr oder klar falsch einordnen. Frontex sagt, man halte sich an die Grund- und Menschenrechte, Videos und Bilder zeigen etwas anderes.
Dass man dabei Frontex auf die Finger schaut ist ebenso klar wie zwingend. Aber statt zu jammern könnte sich die Schweiz ja auch hier mal hervortun mit Kontrollen und Investigativjournalismus. Gerade linke EU-Befürworter argumentieren ja sonst auch immer mit dem Argument "Mitmachen heisst Mitbestimmen". Sind halt ebenso Wendehälse wie die bürgerlichen...