Die Anlaufstelle Kindes- und Erwachsenenschutz, kurz Kescha, stösst auf grosses Interesse. Geschaffen wurde die unabhängige Beratungsstelle für Kesb-Betroffene vor zwei Jahren von Unternehmer Guido Fluri. Seither laufen bei dem sechs-köpfigen Beraterteam die Drähte heiss. Im Jahr 2018 behandelte es fast 1100 Fälle.
An die Kescha kann sich wenden, wer mit der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) in Konflikt gerät. Bei der Anlaufstelle erhalten die Hilfesuchenden Rat und psychologische Unterstützung. Die Universität Freiburg hat die Kescha-Fälle von vergangenem Jahr wissenschaftlich untersucht und ausgewertet. Zwei Drittel der Beratungsgespräche betrafen das Kindesschutzrecht, ein Drittel das Erwachsenenschutzrecht. In den Kindesschutzfällen waren es meist die Eltern oder ein Elternteil von betroffenen Kindern, die Rat bei der Kescha suchten. Bei den Erwachsenenschutzfällen war es meist die betroffene Person selbst, die anrief.
Gemeinsam hatten die Anrufer, dass sie die Kesb nicht als Behörde wahrnehmen, die in den betreffenden Fällen unterstützend und schützend wirkt. Häufig wurde angegeben, dass man den Kesb-Entscheid nicht richtig verstanden hat. Ein Teil der Hilfesuchenden beklagte sich zudem darüber, dass es Probleme mit der Verfügbarkeit der Behörde gab.
Bei den Kescha-Fällen, die sich um ein Kind drehten, empfanden die Betroffenen eine Gefährdungsmeldung häufig als aus der Luft gegriffen oder gar als böswillig motiviert. Die Universität Freiburg beobachtete, dass in solchen Fällen oft ein Konflikt zwischen den Eltern vorlag und die Gefährdung des Kindes in erster Linie auf diesen Konflikt zurückging.
Gefährdungsmeldungen können hilfsbedürftigen Kindern einerseits zwar helfen, schreibt die Kescha in einer Mitteilung. «Aber sie kann auch eine Belastung darstellen.» Um das Kind in solchen Fällen in den Fokus zu bringen, wurde nun ein Leitfaden entwickelt, um zu prüfen, ob eine Gefährungsmeldung bei der Kesb – vor allem bei Paarkonflikten – wirklich angezeigt ist.
Bei den Beratungen, die sich um das Erwachsenenschutzrecht drehten, ging es mehrheitlich um Konflikte mit Kesb-Beiständen. Bemängelt wurde, diese hätten wenig Zeit, seien schlecht erreichbar, blieben untätig, wären überlastet oder es gäbe zu viele personelle Wechsel. Vor diesem Hintergrund empfiehlt nun die Universität Freiburg, dass die Kesb wenn möglich immer private Beistände einsetzen soll.
Wie der Mitteilung der Kescha zu entnehmen ist, wird hierzu die SP-Nationalrätin Ursula Schneider-Schüttel ein Postulat einreichen. «Gerade dort, wo nahestehende Personen vorhanden sind, die zur Übernahme der Beistandschaft bereit und geeignet wären, wäre es stossend, wenn die Kesb ohne gewichtigen Grund einem Berufsbeistand den Vorrang geben würde», sagt sie.
In ihrer Untersuchung kommt die Universität Freiburg zum Schluss, dass in vielen Fällen die Arbeit der Kesb und der Beistände in der Bevölkerung kritisch wahrgenommen wird. Sie empfiehlt darum den Kantonen, proaktiv zu kommunizieren, um die Arbeits- und Funktionsweise der Kesb vorzustellen. Bereits getan wird dies im Kanton Schwyz. Die Kesb stellte dort in mehreren Gemeinden an öffentlichen Veranstaltungen ihre Arbeit vor.
Die Kescha gibt es nun seit zwei Jahren. Wie gross ist das Bedürfnis nach einer solchen Beratungsstelle ein?
Im letzten Jahr haben wir 1100 Personen beraten. Das zeigt: Das Bedürfnis nach unserer neutralen Anlaufstelle, nach Rat und Unterstützung ist gross, die Nachfrage ist konstant hoch. Jeden Tag führen wir rund 10 längere Beratungsgespräche. Wir leisten so einen wichtigen Beitrag zur Deeskalation.
Warum ist das Bedürfnis nach Beratung nach wie vor so gross?
Der Grund liegt in den Konflikten, die bei der Kesb landen – die gehen ganz tief. Es geht etwa um Paarkonflikte, worunter die Kinder leiden. Es geht um einen dementen Vater, oder um eine behinderte Tochter, wo es einen Beistand braucht. Das sind komplexe Fragen, die oft mit Verzweiflung einhergehen.
Wie gross schätzen Sie das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber der Kesb ein?
Das Misstrauen ist auf jeden Fall zu gross. Klar, wir müssen den Kindes- und Erwachsenenschutz ständig verbessern, und das machen wir konstruktiv mit unserer Kescha. Aber wir müssen auch benennen, was gut läuft: Es gibt 130'000 Kesb-Fälle, und die allermeisten laufen völlig reibungslos. Hier leistet die Kesb gute und wichtige Arbeit.
Haben Sie das Gefühl, dass sich das Misstrauen in den vergangenen zwei Jahren etwas verkleinert hat?
Nach dem Fall Flaach gab es eine negative Stimmung, die wenig Platz für Differenzierung liess. Heute stehen wir an einem anderen Punkt. Und doch: Die Kesb müssen ihre Arbeit als Schutzbehörde noch besser erklären, sie müssen besser mit der Bevölkerung kommunizieren. Wie etwa der Kanton Schwyz, der öffentliche Veranstaltungen durchgeführt hat. Die Säle waren voll. Damit kann man Vertrauen aufbauen.
Derzeit läuft die Unterschriftensammlung für die Kesb-Initiative von SVP-Nationalrat Pirmin Schwander. Wird mit dem Postulat von Ursula Schneider Schüttel der geplanten Initiative der Wind aus den Segeln gezogen?
Uns geht es einzig und allein um Verbesserungen im Kindes- und Erwachsenenschutz. Polemik interessiert uns nicht. Unsere Lösung ist darum konstruktiv: Im Gegensatz zur Volksinitiative werden die Familienangehörigen und Engagierte in den Gemeinden nur dann mit einem Mandat betraut, wenn sie auch tatsächlich geeignet sind. Das ist der richtige Weg. Die Volksinitiative dagegen will einen Automatismus, unabhängig der Eignung der Familienangehörigen und unabhängig der Art der Beziehung zwischen den Angehörigen. Das ist unseres Erachtens falsch.