Weniger Macht den Kindes- und Erwachsenenschutz-Behörden! Mit dieser Forderung trat diese Woche ein Komitee um SVP-Nationalrat Pirmin Schwander vor die Medien. Im Gepäck: Eine Volksinitiative, die die Kompetenzen der KESB stark beschneiden will. Künftig sollen automatisch Verwandte einspringen, wenn eine Person urteilsunfähig wird oder die Eltern das Wohl ihrer Kinder gefährden.
Auslöser für die Initiative war der Fall Flaach: 2015 erstickte in der Zürcher Gemeinde eine junge Mutter ihre beiden Kinder. Schnell richtete sich der öffentliche Groll gegen die KESB, die Alessia (2) und Nicolas (5) davor gegen den Willen der Mutter in einem Heim platziert hatte.
2010 fand in der Schweiz bereits eine ähnliche Diskussion statt – allerdings unter umgekehrten Vorzeichen. Damals hatte ein Vater seinen Sohn Florian (5) in einem Winterthurer Hotelzimmer umgebracht. Zu dieser Zeit waren noch Laienbehörden für Vormundschaftsfragen zuständig. Beobachter machten die mangelnde Professionalität der Behörde für den Tod des Kindes mitverantwortlich. Eine Gegenüberstellung in 6 Zitaten:
In beiden Fällen war für die Hinterbliebenen klar: Die Behörden hatten versagt. Allerdings lautete im Fall Bonstetten der Vorwurf, die Laienbehörden hätten dem Vater leichtfertig das Sorgerecht für seinen Sohn Florian zugesprochen. Im Fall Flaach hiess es, die Profibehörde KESB habe der Mutter die Kinder kaltherzig weggenommen, was sie zur Verzweiflungstat getrieben habe.
In einem Gutachten zum Fall Bonstetten liess der Zürcher Rechtsprofessor Peter Breitschmid kaum ein gutes Haar an der Arbeit der Laienbehörde. Diese habe sich mit dem Vater solidarisiert. Sie sprach dem Mann das Sorgerecht zu, obwohl bekannt war, dass er 1990 bereits versucht hatte, seinen Sohn aus erster Ehe zu töten. Dies sei «schlechthin unverständlich», sagte Breitschmid 2011 vor den Medien.
Im Fall Flaach musste sich die KESB den Vorwurf gefallen lassen, die Familie zu wenig einbezogen zu haben. «Die KESB ist eine reflexionslose Behörde, deren brutale und unmenschliche Interventionen offensichtlich nicht nur destruktiv sind, sondern hochgefährlich», tobte Zoë Jenny nach dem Kindsmord in den Medien. Die Basler Autorin liegt selbst im Clinch mit der KESB. Grund ist ein Streit mit dem Vater ihrer Tochter um das Besuchsrecht.
Welche Konsequenzen aus dem Tod von Florian zu ziehen sind, war für viele Beobachter klar: Nicht mehr Laien, sondern Profis sollten entscheiden, wenn es um heikle Fragen wie jene um die Fremdplatzierung von Kindern geht.
«Professionell arbeitende Behörden sind besser befähigt, die notwendige Distanz und Abgrenzung gegenüber den betroffenen Personen zu wahren, was sich im vorliegenden Fall als Problem erwiesen hat», schrieb die Zürcher Justizdirektion in ihrem Bericht zum Fall Bonstetten.
Bundesrat und Parlament hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits dafür ausgesprochen, das Vormundschaftswesen neu zu organisieren. Viele Politiker und Beobachter sahen im Tod von Florian einen Beleg dafür, dass die Neuorganisation dringend an die Hand genommen werden musste.
Die Umsetzung erfolgte drei Jahre nach dem Tod von Florian: Zu Beginn des Jahres 2013 nahmen 146 regional organisierte KESB-Stellen im Land ihren Betrieb auf. Seither kümmern sich Psychologen, Sozialarbeiter und Juristen um die Fälle vernachlässigter Kinder und dementer Betagter.
Allerdings dauerte es nicht lange, bis Kritik an den neuen Fachstellen laut wurde. Zu den Gegnern der ersten Stunde gehört SVP-Nationalrat Pirmin Schwander, der nun die nationale Anti-KESB-Initiative lanciert hat. Er kritisiert insbesondere die mangelnde «Bürgernähe» der Fachstellen.
Die Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz (KOKES) hat diese Woche postwendend auf die Lancierung der Anti-KESB-Initiative reagiert und die «Stimmungsmache» gegen die Vormundschaftsbehörden verurteilt. In einer Mitteilung betonte sie, bereits heute würden «wenn immer möglich» Familienmitglieder als Beistände für ihre Nächsten eingesetzt.
Allerdings blende die Initiative einen wesentlichen Punkt aus: «In schwer zerrütteten Familien können Massnahmen der KESB durchaus nötig sein, um hilfsbedürftige Personen vor ihren Angehörigen zu schützen.»
Vor einem Jahr hat auch der Bundesrat eine erste Bilanz zum Systemwechsel gezogen. Justizministerin Simonetta Sommaruga (SP) stellte den neuen Vormundschaftsbehörden ein überwiegend gutes Zeugnis aus. Dennoch versprach sie, das Justizdepartement werde prüfen, wie «nahestehende Personen» künftig noch besser in die Verfahren einbezogen werden können.
Sommaruga verwies zudem auf die Statistik: Demnach ist die Zahl der Schutzmassnahmen bei Kindern seit Einführung der KESB leicht zurückgegangen.