Vor zwei Wochen war es SVP-Nationalrat Thomas Aeschi, der mit provozierenden Postings und dem Entfernen kritischer Kommentare auf Facebook für Aufsehen gesorgt hat. Vergangene Woche dann löste SVP-Nationalrat Thomas Burgherr mit einem Facebook-Post eine Debatte weit unter der Gürtellinie aus.
Was war passiert? Burgherr postete als Reaktion auf Christian Levrats Ankündigung, in die USA reisen und US-Parlamentarier treffen zu wollen, einen Artikel auf seiner Facebook-Seite. Der Tenor: Die geplante Reise des SP-Präsidenten könne unter «Ausser Spesen, nichts gewesen» abgebucht werden. «Leider nehmen sich viele Politiker viel zu wichtig! Das Treffen wird der Schweiz ausser Kosten sicher NICHTS bringen!» schreibt Burgherr zum geposteten Artikel.
Die klare Stossrichtung des Beitrags und der grosszügige Einsatz der Ausrufezeichen animieren die Facebook-Fangemeinde des Aargauer Nationalrats ganz offensichtlich zu Beiträgen weit unter der Gürtellinie: «Dummkopf», «linker Vollidiot», «Flachdenker» sind noch einige der harmloseren Zuschreibungen, mit denen Levrat bedacht wird. Der Parteipräsident muss sich auch als «linker Alki», «SP-Parasit» und «blöde huere chotzbrocke» bezeichnen lassen, die SP ist in den Augen eines Facebook-Users eine «Piss-Gruppe», die ganze Sache sowieso «linker Mist».
Martin Steiger, Rechtsanwalt und IT-Spezialist ist über die Beiträge auf der Facebook-Seite des Aargauer SVP-Nationalrats nicht weiter überrascht. «Die Verrohung der politischen Diskussionskultur auf sozialen Medien ist kein neues Phänomen.» Und Beschimpfungen und Beleidigungen habe es auch schon am Stammtisch gegeben. «Politiker stehen aufgrund ihrer Stellung im ständigen Fokus der Öffentlichkeit – wer keine dicke Haut hat, hat es schwierig.» Ob die Inhalte der Kommentare persönlichkeitsverletzend oder strafbar seien, müssten im Einzelfall die Gerichte entscheiden, so der Rechtsanwalt.
Steiger sieht Politiker jedoch nicht allgemein in der Pflicht, von ihnen losgetretene Debatten auf Facebook zu moderieren. «Politiker pflegen je nach Couleur und politischem Stil verschiedene Arten der Öffentlichkeitsarbeit auf Facebook. Von der Provokation über gelenkte Diskussionen bis hin zur Verweigerung.»
Eine wichtige Ausnahme sieht Steiger dort, wo sich Direktbetroffene oder Dritte an Politiker wenden: «Dann sollten sie reagieren.»
So geschehen auf der Facebook-Seite von Thomas Burgherr. Sam Pirelli, linker Künstler und Unternehmer, schaltete sich in die Diskussion ein. Im Gegensatz zum herrschenden Tenor versuchte Pirelli mit seinen Beiträgen aber, die Diskussion in geregelte Bahnen zu lenken.
Erst nachdem Pirelli den Nationalrat auch per Mail kontaktiert, reagiert dieser – und bedankt sich in einem Facebook-Eintrag am Mittwochabend für die «angeregte Diskussion» und die «gelebte Demokratie». Im zweiten Satz dann hält er die User dazu an, «Respekt gegenüber anderen Meinungen zu wahren».
Im Gespräch mit watson beteuert Burgherr, dass die Tonalität und die Ausdrucksweise der Kommentarschreiber nicht in seinem Sinn seien. Betont aber auch: «Ich bin nicht verantwortlich für Kommentare, die gegen Christian Levrat gerichtet sind. Ich bin schliesslich nicht sein Anwalt.»
Burgherr empfindet es nicht als seine Pflicht, seine Beiträge zu moderieren: «Ich habe ein Unternehmen und ein politisches Amt – ich kann und will nicht ständig auf Facebook unterwegs sein, um Kommentare zu prüfen»,
Dass seine Partei ein Problem mit pöbelnden Kommentarschreibern habe, glaubt Burgherr nicht. «Diese Kommentare werden ja auf den Privataccounts der Politiker gepostet». Trotzdem werde innerhalb der SVP intensiv über die Gefahren bei der Nutzung von sozialen Medien gesprochen.
Ob Burgherr Verantwortung für die unflätigen Äusserungen über ihn trägt, will SP-Ständerat Christian Levrat nicht kommentieren. «Ich habe Herrn Burgherr bisher nicht gekannt. Und wenn ich sehe, auf welch tiefem Niveau seine Freunde auf seiner Facebook-Seite rumpöbeln, steigt meine Lust auf ein Kennenlernen nicht wirklich», sagt er.
Er will das Ganze aber nicht hochspielen. Auf Anfrage sagt er: «Die Kommentare sind sehr einfältig und niveaulos, aber letztlich harmlos.» Hingegen seien Drohungen und Verleumdungen nicht zu tolerieren – und leider hätten diese in jüngster Zeit merklich zugenommen. «Nutzerinnen und Nutzer ist es kaum möglich, gegen Drohungen, Gewaltaufrufe oder Verleumdungen vorzugehen», sagt er.
Um das zu ändern, reichte Levrat zusammen mit Parteikollege Jean Christophe Schwaab im Dezember eine Motion ein. Ziel: Internet-Akteure wie Facebook sollten künftig einen Ableger in der Schweiz haben, der fähig ist, der Schweizer Justiz im Fall von Strafuntersuchungen die nötigen Personendaten unverzüglich und direkt zu übermitteln. Heute muss man im Fall von Facebook erst ein Rechtshilfegesuch an Irland stellen, da Facebook seinen einzigen Europasitz in Irland hat.
Auch Rechtsanwalt Steiger weiss um die gesetzlich ungenau bestimmte Rolle von sozialen Netzwerken wie Facebook. «Facebook kann sich nicht einfach aus der Verantwortung stehlen, das ist klar», sagt Steiger. Gleichzeitig warnt der IT-Anwalt davor, die Meinungsfreiheit auf sozialen Netzwerken strafrechtlich einzuschränken: «Im Zweifelsfall sollte man mehr, nicht weniger tolerieren – sonst ist man als liberale Gesellschaft auf dem falschen Weg.»
Die von Levrat eingereichte Motion zur Offenlegung von Personendaten bei Strafuntersuchungen beurteilt Steiger ebenfalls kritisch: «Mit dem gleichen Argument könnten auch repressive und autoritäre Regierungen von Facebook verlangen, die Daten von Regierungsgegnern herauszugeben.»
Heute Montag wird am Landgericht Würzburg in Bayern ein Fall verhandelt, der in der Causa Facebook Licht ins Dunkel bringen sollte. Im Kern geht es um die Frage, ob und ab welchem Zeitpunkt Facebook für strafbare fremde Inhalte haftet. Das Verfahren wurde vom Anwalt von Anas Modamani, dem «bekanntesten Flüchtlings Deutschlands», angestrebt.
Modamani hatte 2015 ein Selfie mit Kanzlerin Angela Merkel gemacht, seither erscheint sein Bild als Fotomontage immer wieder im Zusammenhang mit Anschlägen von islamistischen Terroristen. Die Überschrift: «Das sind Merkels Tote», oder «Merkel macht Selfie mit einem der Täter». Modamani und sein Anwalt wollen die Weiterverbreitung des Fotos nun auf Gerichtsweg stoppen. Ob das Urteil auch eine Wirkung für die Schweiz haben wird, werde man sehen, so Steiger: «Mal abwarten.»