Ein Mann rollt mitten in Lugano den Teppich aus, kniet nieder, betet in Richtung Mekka. Eine vollverschleierte Frau und ein Mädchen tun dasselbe auf einem Parkplatz bei einem Einkaufszentrum in Mendrisio. Passanten haben die Szenen aus dem letzten Jahr fotografisch festgehalten. Auf Tessiner Onlineportalen machte der Begriff «Ticinistan» die Runde. Und muslimische Gebete auf offener Strasse sind zu einem Politikum geworden.
In der nächsten Woche befasst sich das Tessiner Kantonsparlament mit einer Petition, mit der Giorgio Ghiringhelli, parteiloser Bürger aus Losone, Gebete im öffentlichen Raum verbieten will, «die Hassbotschaften enthalten, andere Religionen diskriminieren und gegen die Antirassismusstrafnorm verstossen».
Er begründet seine Forderung mit einer Textpassage im muslimischen Gebet, die seiner Ansicht nach implizit zum Hass gegen Christen und Juden aufruft. Ghiringhelli stützt sich bei seiner Argumentation auf Sami Aldeeb, einen Schweizer Juristen mit palästinensischen Wurzeln und anerkannten Experten für muslimisches Recht. Aldeeb, Autor zahlreicher Bücher, hat sich in einem seiner Werke mit der «Hasskultur» des muslimischen Gebets beschäftigt. Den Koran hat er auf Französisch, Italienisch und Englisch übersetzt.
Die vorberatende Kommission des Tessiner Parlaments hat Ghiringhellis Anliegen deutlich abgelehnt. Mit dem wahrscheinlichen Nein des Plenums ist das Betverbot aber nicht vom Tisch. Ghiringhelli wird mit «90-prozentiger Sicherheit» eine Volksinitiative lancieren. Auf seiner Internetseite www.ilguastafeste.ch hat der 66-jährige Mann aus Losone bereits einen Aufruf lanciert, beim Initiativkomitee mitzumachen.
Giorgio Ghiringhelli? Das ist nicht irgendwer. Das ist der Mann mit krausem, grauem Haar und Schnurrbart, der praktisch im Alleingang die Initiative für ein Burkaverbot im Kanton Tessin gestemmt und sie beim Volk mit einer Zweidrittelmehrheit durchgebracht hat. Der «Spielverderber», so lautet die Übersetzung von «guastafeste», ist überzeugt, dass er auch für die Gebetsverbot-Initiative die nötigen 7000 Unterschriften sammeln würde.
Eine Knacknuss wird der Initiativtext sein. Atheist Ghiringhelli will ihn so formulieren, dass er Muslime nicht diskriminiert, aber gleichwohl deren Gebete auf offener Strasse unterbindet. Als mögliche Vorlage dient Ghiringhelli ein Artikel im neuen Laizitätsgesetz des Kantons Genf, der religiöse Manifestationen in der Öffentlichkeit grundsätzlich untersagt, jedoch Ausnahmen zulässt. Er wolle nicht katholische Prozessionen aus dem öffentlichen Raum verbannen, sagt Ghiringhelli, der vor einer Islamisierung Europas warnt. Dass er als islamophob kritisiert wird, stört in nicht. «Ich bin es ja, aber nur im Wortsinn, ich habe Angst vor dem Islam.» Gegen Muslime habe er nichts, er sei nicht von rassistischen Motiven getrieben.
Muslime, die hierzulande auf öffentlichem Grund ihr Gebet verrichten, sind wie Burkaträgerinnen eine absolute Randerscheinung. Giorgio Pellanda (FDP), Sprecher der Kommissionsmehrheit, räumt ein, dass die sporadischen Gebete verstören und Unverständnis hervorrufen können. Ein Verbot zu installieren, sei aber unverhältnismässig – und problematisch mit Blick auf die in der Verfassung garantierte Religionsfreiheit. Pellanda glaubt zudem, dass die Muslime eher um den Schutz Allahs beten als anderen Menschen Schlechtes wünschen.
Saida Keller-Messahli, Präsidentin des Forums für einen fortschrittlichen Islam, teilt diese Ansicht. «Dem Durchschnittsmuslim, der perfekt in die schweizerische Gesellschaft integriert ist, käme es nie in den Sinn, dass er mit dem Gebet Juden und Christen diskriminieren könnte. Er leiert den Text hinunter, ohne ihn zu hinterfragen», sagt sie.
Keller-Messahli findet es übertrieben, wegen eines «Nichtproblems» ein Verbot zu erlassen. «In anderen europäischen Ländern wie Belgien, England oder Frankreich gibt es muslimische Gruppen, die mit Gebeten im öffentlichem Raum provozieren. In der Schweiz aber nicht», sagt sie. Ghiringhelli leiste mit seinem Vorschlag keinen Beitrag zur Bekämpfung des Dschihadismus und zur Radikalisierungsprävention. Ein Gebetsverbot sei ein wenig durchdachter Schnellschuss.
Support für seine Verbotspläne erhält Ghiringhelli dafür von Sami Aldeeb. «Der Inhalt der islamischen Gebete verletzt die Antirassismusstrafnorm», sagt dieser. Im muslimischen Gebet sieht er eine Gefahr für den öffentlichen Frieden. Die Muslime müssten 17 Mal pro Tag unter anderem jene Passagen rezitieren, welche zu Hass gegen Juden und Christen anstachelten. (aargauerzeitung.ch)