«Legen Sie sich für ein paar Tage ins Bett.» Dieser Ratschlag gehört nach wie vor zu den gängigen Ratschlägen, die man in Arztpraxen hört. Doch die wissenschaftliche Datenlage zeigt: Es gibt kaum eine Krankheit, die im Bett wirklich besser wird. Im Gegenteil.
«Wir müssen davon ausgehen, dass immer noch viele Ärzte zur Bettruhe raten», berichtet Annette Becker von der Philipps-Universität in Marburg. Manchmal, so die Leiterin der Allgemeinmedizinischen Abteilung, geschehe dies nur im Nebensatz.
Nicht selten werde jedoch auch eine konkrete therapeutische Absicht verfolgt. Die werde von der Vorstellung getragen: «Da ist etwas kaputt, also muss ich den Patienten schonen.» Doch: «Wenn ich dessen Körper tage- oder sogar wochenlang inaktiviere, hat das weitreichende Konsequenzen für ihn», so Becker.
So schwächt die dauerhafte Immobilisation den Blutdruck und die Durchblutung der Organe. Das merkt der Patient daran, dass ihm – etwa bei einem Toilettengang – schwindelig wird, was zum Anlass genommen wird, sich gleich wieder hinzulegen. Die Folge: Der Kreislauf verliert weiter an Schwung.
Zudem erhöht ein schwacher Blutfluss das Risiko für die berüchtigten Gerinnsel einer Thrombose; und das flache Atmen während der Bettruhe verschlechtert den Sauerstoffgehalt des Blutes und die Durchlüftung der Lunge. Dadurch wird diese anfälliger für Infekte und Entzündungen.
Von zentraler Bedeutung ist zudem der Muskelverlust. Er beträgt schon zu Beginn der Bettruhe rund 15 Prozent pro Woche. Das schwächt den Patienten nicht nur weiter, sondern macht auch seine Bewegungen unsicherer, wenn er sich mal aus dem Bett erhebt. Gerade bei älteren Patienten erhöht dies die Sturzgefahr – und sie werden mit höherer Wahrscheinlichkeit zum Pflegefall.
Eine Studie der US-amerikanischen Yale University zeigte: Das Risiko stationärer Patienten auf eine Pflegebedürftigkeit steigt um das Sechzigfache, wenn man sie vier Wochen lang mehr oder weniger im Bett hält. Es beträgt jedoch gerade mal das Fünffache, wenn man sie aus ihrem Krankenzimmer herausholt, damit sie sich bewegen.
Im Falle akuter Rückenschmerzen wie dem Hexenschuss verstärkt Bettruhe oft genau das, was die Beschwerden auslöst. Denn wenn sich der Patient ins Bett legt, werden die Schmerzen zwar erst einmal nachlassen, doch sofern er sich erhebt, werden sie wieder da sein und ihn in eine Schonhaltung zwingen, die über ihren Einfluss auf die Muskulatur die Schmerzen weiter verschlimmert.
«Diese Zunahme an Schmerzen verstärkt wiederum das Bedürfnis nach mehr Schonung», erläutert Becker. «Die Schonung wird damit zum Grund des Krankseins und das Kranksein zum Grund des Schonens.» Am Ende steckt der Patient in einem Teufelskreis, in dem der Schmerz geradezu zwangsläufig chronisch wird.
Besser ist: Der Rückenpatient nimmt ein Schmerzmittel ein und begibt sich vorübergehend in eine Rückenlage mit angewinkelten, hochgelagerten Beinen, die ihm spontan Erleichterung verschafft. «Doch aus dieser Position sollte er sich schon bald wieder erheben», sagt Becker.
Dann sollte er sich – mithilfe des Schmerzmittels – so weit bewegen, wie es ihm möglich ist. Die verbesserte Durchblutung und sinkende Muskelspannung schwächt den Schmerz bereits ab. Das Gefühl, seinem Leiden nicht ausgeliefert zu sein, gibt einen weiteren Heilungsschub.
Bei Atemwegsinfekten wie etwa einer Grippe sollte man sich zwar körperlich schonen, doch das muss nicht im Bett geschehen. Wobei Becker sagt: «Wer sich matt und erschlagen fühlt und möglicherweise Gliederschmerzen hat, kann sich natürlich hinlegen – und das wird ihm vermutlich auch guttun.»
Doch man sollte sich keine Schonzeiten auferlegen, nach dem Muster: Jetzt kuriere ich mich mindestens vier Tage im Bett richtig aus. Die Werbung für Erkältungsmittel suggeriert zwar, dass Schlafen die Heilung begünstigt. Doch das ist keineswegs belegt.
Was hingegen erwiesen ist: Wer lange inaktiv im Bett liegt, kühlt schneller aus. Ausserdem kann man in horizontaler Position schlechter abhusten, was gerade bei Atemwegsinfekten als Erleichterung empfunden wird. Was also tun? In den eigenen vier Wänden immer mal wieder wenig anstrengenden Alltagsgeschäften nachgehen, beispielsweise sich einen Tee kochen, Zähne putzen, duschen gehen und sich frische Kleidung anziehen.
Insgesamt gibt es nur wenige Krankheiten, bei denen man die Bettruhe gemäss wissenschaftlicher Datenlage als hilfreich einstufen kann. Dazu zählt neben instabilen Knochenbrüchen der akute Herzinfarkt, bei dem in der Regel aber 12 bis 24 Stunden Ruhigstellung ausreichen.
Selbst nach Operationen sollte der Patient möglichst schnell wieder in Bewegung kommen, wobei dies naturgemäss umso leichter klappt, je besser vorher seine körperliche Fitness gewesen ist. «Es ist sinnvoller, man trainiert vor dem Eingriff, um sich körperlich in Form zu bringen, als danach auf die angeblichen Segnungen der Bettruhe zu vertrauen», mahnt Becker.
Viele Ärzte sehen in Problemschwangerschaften mit drohender Frühgeburt eine klassische Indikation für strenge Bettruhe. Doch selbst das ist mittlerweile überholt. Judith Maloni von der US-amerikanischen Privathochschule Case Western Reserve University kommt nach Analyse der vorliegenden Studien zum Schluss: «Bettruhe bringt für Mutter und Kind eher Nach- als Vorteile.»
So macht es etwa der damit einhergehende Muskelschwund der Frau viel schwerer, das Baby bei der Niederkunft herauszupressen. Und ob Bettruhe eine drohende Frühgeburt wirklich aufhalten oder verzögern kann, ist keinesfalls sicher.
Das klingt zwar logisch, weil der Fötus in der Betthorizontale weniger auf den verkürzten Muttermund drückt. Doch in der Realität ist diese Strategie nicht wirkungsvoller, als wenn man den Frauen lediglich empfiehlt, sich nicht zu verausgaben und dem Körper Stossbelastungen zu ersparen. Nicht immer entspricht eben das, was logisch klingt, auch der Wahrheit. (aargauerzeitung.ch)