Prämienterror am Telefon: Wie Makler Schweizer Versicherte trotz Verbot belästigen
Eine Frau wurde kürzlich am Telefon über ihre persönlichen Gesundheitsdaten ausgefragt – sie empfand das als «aufdringlich». Ein Mann erhielt einen Anruf einer unbekannten Nummer und fand im Internet heraus: dahinter steckte wohl die Partnervermittlung eines Krankenversicherers. Viele Menschen ärgern sich über unerwünschte Anrufe von Maklern, die ihnen neue Krankenkassenangebote aufdrängen wollen.
In einer Studie des Beratungsunternehmens Deloitte gaben über 40 Prozent der Befragten an, seit Anfang Jahr mindestens einen solchen Anruf erhalten zu haben. Dabei ist Kaltakquise in der Krankenversicherung seit dem 1. September 2024 verboten. Gemeint ist der telefonische Erstkontakt ohne vorherige Einwilligung. Zulässig sind die Anrufe nur, wenn der Betroffene in den letzten drei Jahren Kunde der jeweiligen Krankenkasse war oder der Kontakt über eine Empfehlung einer ihm bekannten Drittperson zustande kam.
Über 400 Meldungen eingegangen
Die Meldungen über Regelverstösse reissen nicht ab. In der Grundversicherung ist das Bundesamt für Gesundheit (BAG) zuständig, bei den Zusatzversicherungen die Finanzmarktaufsicht (Finma). Dort gingen seit Inkrafttreten des Verbots 335 Hinweise ein, wie der «Sonntagsblick» berichtete.
Beim BAG waren es 67 Meldungen, wobei nur drei die Anforderungen einer Aufsichtsbeschwerde erfüllten. Eine führte zu einer Rüge an die betroffene Krankenkasse, eine wird noch geprüft und eine erwies sich als unbegründet.
Bei groben Verstössen sieht das Gesetz hohe Strafen vor. Wenn die Finma oder das BAG Anzeige erstatten, können die Strafverfolgungsbehörden Versicherer oder Vermittler mit bis zu 100’000 Franken büssen.
Nur: Bislang wurde keine einzige Busse ausgesprochen. Im Zusammenhang mit der Versicherungsvermittlung hat die Finma jedoch in mehreren Fällen Anzeigen eingereicht – wie viele und gegen wen, ist nicht bekannt. Dabei geht es nicht nur um Kaltakquisen, sondern um die ganze Bandbreite an Verstössen von Vermittlern, für deren Aufsicht die Finma zuständig ist: Arbeit ohne Bewilligung, Falschberatungen und Betrug.
Wichtig ist es darum, die Werbeanrufe nicht isoliert zu betrachten. Sie sind Teil eines vielschichtigen Konstrukts: Die Versicherer arbeiten mit Vermittlern zusammen, um neue Kunden zu akquirieren. Für jede abgeschlossene Versicherung gibt es eine Provision. Der Vermittler wiederum kann die Arbeit an einen Untervermittler auslagern. Wenn dieser Subunternehmer auf unerlaubte Kaltakquisen setzt, kommen oft ausländische Callcenter ins Spiel – etwa in Tunesien oder im Kosovo.
Die Tücken bei den Ermittlungen
Von dort werden die Schweizer Opfer angerufen. Vorwahlen wie 079 sind dabei keine Garantie, dass der Anruf tatsächlich aus der Schweiz kommt. Dubiose Vermittler verschleiern gezielt ihren Standort – was die Ermittlungen so kompliziert macht.
Eine weitere Schwierigkeit: Auch die Nennungen von Krankenkassen, die Betroffene nach Anrufen den Behörden melden, können täuschen. Denn nicht nur dubiose Versicherungsmakler treiben ihr Unwesen, sondern auch Betrüger, die auf das sogenannte Spoofing setzen. Dabei geben sich Kriminelle als vertrauenswürdige Firmen aus, um an persönliche Daten zu gelangen.
Um die Verbindung vom Krankenversicherer bis zum Call-Center nachweisen zu können, müssen die Behörden deshalb die Finanzflüsse rekonstruieren. Also herausfinden, ob eine Krankenkasse tatsächlich mit Vermittlern in Verbindung steht, die auf illegale Telefonanrufe setzen.
«Ein gerichtstaugliches Dossier zusammenzustellen, ist sehr anspruchsvoll», sagt Markus Geissbühler, Abteilungsleiter in der Versicherungsaufsicht bei der Finma. Im Alltag bekämpfe man das Problem der Kaltakquisen deshalb häufiger auf der Ebene der Bewilligung.
Die Überlegung: Meist sind es nicht zugelassene Vermittler, die hinter den illegalen Telefonanrufen stecken. Wenn das Bewilligungserfordernis konsequent durchgesetzt und die Krankenkassen dafür sensibilisiert werden, nur mit zugelassenen Vermittlern zusammenzuarbeiten, erhalten auch die dubiosen Callcenter am Ende der Kette weniger Aufträge.
Kampf gegen unbewilligte Akteure im Fokus
Makler können entweder gebundene Vermittler sein, die ausschliesslich für einen Versicherer arbeiten. Über alle Arten von Versicherungen hinweg dürfte es davon rund 25'000 Personen geben. Oder sie sind ungebundene Vermittler, die Produkte mehrerer Anbieter vertreiben. Letztere müssen sich im öffentlich zugänglichen Register der Finma einschreiben. Aktuell sind dort 11'000 Personen aufgeführt.
Wer ohne diese Eintragung tätig ist, wird aus dem Verkehr gezogen – respektive zum Herstellen des rechtmässigen Zustandes angewiesen. Und das sind nicht wenige, seit die verschärften Regeln des revidierten Versicherungsaufsichtsgesetzes per 1. Januar 2024 in Kraft traten. Wie die Finma gegenüber CH Media mitteilt, identifizierte sie seither über 800 Akteure, die ohne Bewilligung Versicherungen vermittelten.
Das Vorgehen gegen unbewilligte Anbieter ist eine von zwei Sofortmassnahmen, die die Finma ergreifen kann, ohne ein Gerichtsverfahren abzuwarten. Die zweite betrifft die Opfer von missbräuchlicher Beratung durch unbewilligte Vermittler. Die Finma interveniert in solchen Fällen beim betroffenen Versicherer und verlangt, dass das Gespräch mit einem qualifizierten Berater wiederholt und dem Kunden gegebenenfalls eine Rücktrittsmöglichkeit vom Vertrag angeboten wird.
Konsumentenschutz: Provisionen müssen sinken
Auch wenn bislang nur solche aufsichtsrechtlichen Massnahmen zur Anwendung kommen und die abschreckende Wirkung durch Geldbussen (noch) fehlt, zieht Markus Geissbühler eine positive Zwischenbilanz des Kaltakquise-Verbots. Einerseits reagierten Betroffene heute schneller, wie die zahlreichen Meldungen zeigten. Andererseits seien die Krankenkassen aufmerksamer geworden, sagt der Finma-Abteilungsleiter. «Dadurch wird der Markt nach und nach bereinigt – auch wenn es immer schwarze Schafe geben wird.»
Auch Sarah Lengyel, Leiterin Gesundheit bei der Stiftung für Konsumentenschutz, geht davon aus, dass sich die meisten Vermittlerinnen und Vermittler an das Verbot halten. «Es gibt jedoch weiterhin Verstösse und Graubereiche, die zeigen, dass Nachbesserungen nötig sind.»
Ein Hauptproblem liegt in den Provisionen, die dubiose Maklerinnen und Makler anlocken. Während die Vermittlerin bei der Grundversicherung maximal 70 Franken pro Vertragsabschluss erhalten dürfen, können es bei Zusatzversicherungen bis zu 16 Monatsprämien sein. Der finanzielle Anreiz für missbräuchliche Versicherungsabschlüsse ist also gegeben. Konsumentenschützerin Sarah Lengyel fordert darum, die Provisionen stärker zu begrenzen.