Willkommen in der Klinik Leutschenbach, auf geht's zur lebensbejahenden Shoppingtour. Und was es da alles im Angebot gibt: beim Onkologen eine Chemotherapie, beim Chirurgen einen Kniegelenkoperation, der Gastroenterologe macht schnell eine Darmspiegelung, und vor Ladenschluss wird noch rasch durch die Röhre gerutscht. Und wer auch nach Feierabend genesen will, der weist sich einfach schnell in die Notfallstation ein: Dort machen sie alles, vom Heftpflaster bis zum Luftröhrenschnitt. Und zwar nur vom Feinsten, versteht sich. Ici, ç'est la Suisse.
Das Schweizer Gesundheitssystem, ein grosser Selbstbedienungsladen? Ein «buffet à discretion» (Projer)?
Wenn man mit dem groben Pinsel malt, dann ist das ungefähr das Bild, das bürgerliche Politiker zeichnen.
Seit Jahren steigende Prämien, höhere Behandlungskosten, leichtfertige Arztbesuche, ein Gesundheitssystem, das aus dem Ruder läuft.
Wo ansetzen? Wie sparen, ohne dass jemand zu schaden kommt? Darüber wurde in der «Arena» diskutiert.
«Es gibt eine Gruppe von Patienten, die ihre Eigenverantwortung zu wenig wahrnimmt», sagt Pfister ganz zu Beginn. Der CVP-Präsident ist überzeugt: Einige Leute laufen wegen kleinster Wehwechen zum Arzt – und genau dort gebe es Sparpotenzial.
Erika Ziltener, Präsidentin Dachverband Schweizerischer Patientenstellen, hält dagegen: «Die Leute gehen nicht wegen jedem Bobo zum Arzt», das stimme nicht. «Die Leute wollen nicht krank sein», sagt Ziltener. Das sei ein falsches Bild.
Sekundiert wird Ziltener von Tilman Slembeck. Er kenne nicht viele Leute, die aus Spass zum Arzt gehen, sagt der Gesundheitsökonom. Und er frage sich auch, ob aus der viel gepriesenen Kostensparübung schlussendlich nicht eher eine Kostenverlagerung werde. Wenn Krankheiten nicht rechtzeitig erkannt werden, könne das Saldo später viel teurer werden. «Das ist das Dilemma der Patienten.»
Aufhänger dieser «Arena»-Sendung war unter anderem der Querschläger der CSS-Chefin Philomena Colatrella zu Beginn dieser Woche. «Absurd» sei dieser Vorschlag, eine «absolute Katastrophe». «Keine Sympathien» war noch das mildeste Verdikt im Arena-Rund für die Idee der CSS-Chefin, die Franchise auf 10'000 Franken zu heben, um die Prämien zu senken.
Das sei natürlich nur als «Denkanstoss» zu verstehen, der «vertiefte Berechnungen erfordere», wie die CSS in einem Statement erklärte, als sie von Projer angefragt worden war, ob sie denn auch in der «Arena» diskutieren möge.
Die CSS wird wohl noch ein Weilchen rechnen müssen, um ihren Denkanstoss irgendwann unters Volk bringen zu können. In der aktuellen Form jedenfalls ist es mehr Rohrkrepierer als Versuchsballon, darin sind sich alle «Arena»-Gäste einig.
Das Gesundheitssystem mag auf der Intensivstation liegen, die Leute, die sich beruflich damit beschäftigten, sind putzmunter. Isabelle Moret zum Beispiel. Mit ihr hat die FDP plötzlich wieder den Mittelstand entdeckt. Moret jedenfalls macht fast den Handstand, als sie über das Verbesserungspotential von Tarmed spricht, dem Tarifkatalog für ambulante ärztliche Leistungen. Die Frau pflückt dabei Argumente aus der Luft wie andere Leute Nachbars Äpfel. Und es scheint ihr auch noch Spass zu machen. Rire ç'est bon pour la santé.
Gerhard Pfister hingegen sieht eher angesäuert aus. So viele schlechte Noten wie der CVP-Präsident verteilte nicht einmal Lehrer Lämpel. Eine kleine Zeugnisdurchsicht:
Das Parlament generell: kann und will nicht sparen. Hans Stöckli im Speziellen: viel länger in der Gesundheitskommission als er, Pfister, und dennoch nichts zustande gebracht. Isabelle Moret: Weiss offenbar – himmel nomal – seit drei Jahrhunderten, was die Lösung ist, und hat trotzdem nichts gemacht. Die Kantone? Kein Interesse an Kostensenkungen. Die Krankenkassen? Kein Interesse an Kostensenkungen.
Es werde diskutiert und diskutiert, aber Lösungen präsentiere schlussendlich niemand. «Dabei wissen wir alle hier drin, wie wir sechs Milliarden Franken sparen können», poltert Pfister und schafft so gerade noch den Spagat zur hauseigenen Volksinitiative.
Es gibt nichts Gutes, ausser man tut es. Der Zuger Philosoph ist halt auch ein Macher.
Die CVP hat deshalb eben eine Volksinitiative lanciert, die eine Kostenbremse im Gesundheitssystem einführen soll. Böse Zungen behaupten, dass die Initiative nur ein Wahlkampfvehikel sei. Nationalratskollegin Moret zum Beispiel, die sich mehrmals aufrichtig bei Pfister entschuldigte, sie möge ihn ja, aber Lösungen habe sie im CVP-Papier nun auch keine gefunden. Tarmed hingegen ...
Irgendwann gegen Mitte der Sendung hat Stöckli plötzlich seine Brille aufgesetzt. Der Mann sieht auf einmal noch mehr aus wie Sepp Blatters seriöser Halbbruder. Auch Stöckli spricht jetzt über Pfisters Volksinitiative, und er macht das eine Spur zu generös: Stünde er neben ihm, er würde ihm artig den Kopf tätscheln.
Nach 50 Minuten ist die Luft draussen in dieser Sendung. Das Thema ist komplex, das bestreitet niemand. Es ist auch kräftezehrend. Das ist vor allem für Moret ein bisschen unglücklich. Die FDP-Nationalrätin möchte noch einmal mit Tarmed hausieren gehen, aber selbst Projer kann's nicht mehr hören: «Nein jetzt nicht Tarmed», unterbricht der Moderator Moret unwirsch. Später vielleicht, tröstet er sie, aber später werden grösstenteils Argumente von früher wiederholt. Ein bisschen wie bei den Ärztesendungen, die Projer am Schluss noch kurz behandelt. Wir erfahren: Pfister mag Dr. House, Stöckli seinen Hausarzt und Moret hat Sehnsucht nach George Clooney.
Ökonom Slembeck sagt dann noch etwas Gescheites, das in dieser Diskussion oftmals untergeht, weil es so simpel ist. Das Schweizer Gesundheitssystem ist nicht nur deshalb so teuer, weil es praktisch unerreicht gut ist, sondern auch unglaublich schnell: «Wir haben das schnellste Gesundheitssystem, die kürzesten Wartezeiten auf der ganzen Welt, das, meine lieben Stimmbürger, das ist nicht gratis.»
Schlange stehen kann allerdings auch zur Volkskrankheit werden.