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Ein Satz liess für viele Menschen in der Schweiz eine Welt zusammenbrechen: «Aus finanziellen Gründen ist die Swissair nicht mehr in der Lage, ihre Flüge durchzuführen.» So tönte es am Nachmittag des 2. Oktober 2001 am Flughafen Zürich aus den Lautsprechern. Die Swissair, die wegen ihrer hohen Geldreserven einst als «fliegende Bank» bezeichnet wurde, war pleite.
Der Schock sass tief. Die Swissair war keine gewöhnliche Fluggesellschaft. Sie war ein aviatischer Nationalstolz. Die Heckflosse mit dem Schweizerkreuz galt weltweit als synonym für Zuverlässigkeit und erstklassigen Service. Für die Menschen in der Schweiz war die Swissair «ein Stück Heimat». Ein Ausdruck, den man immer wieder gehört hat. Mit kaum einem Unternehmen identifizierte sich die Schweiz so stark wie mit ihrer nationalen Airline.
Diese Identifikation wirkt bis heute nach. Kein Ereignis aus dem Schweizer «Katastrophenherbst» 2001 hat in der nationalen Psyche tiefere Wunden hinterlassen als das Swissair-Grounding. Das zeigt sich auch in den Medien. Der fürchterliche Amoklauf in Zug, ein in seinem Ausmass einzigartiges Ereignis, wird kaum thematisiert. Zum Grounding hingegen gibt es zahlreiche Berichte und seien es nichtssagende Statements des einstigen Swissair-Finanzchefs.
Dies wirkt befremdlich angesichts der Tatsache, dass niemand ums Leben kam, im Gegensatz zu den anderen Katastrophen-Ereignissen mit für die Schweiz unüblich hohen Opferzahlen. Und doch ist es verständlich, denn das Ende eines Mythos ist für die kollektive Befindlichkeit schmerzhafter als ein Unfall in einem Tunnel. Weniger gerne erinnert man sich an einen anderen Aspekt: Der Niedergang der Swissair ist auch ein Fanal für den Hang der Schweiz zur Selbstüberschätzung.
Die Schweiz versteht sich als Sonderfall und schwankt dabei zwischen Überlegenheitsgefühl und latentem Minderwertigkeitskomplex. Man ist sich seiner Kleinheit und Schwäche bewusst und fühlt sich gleichzeitig als eine Art auserwähltes Volk, nicht zuletzt weil man von den Katastrophen des 20. Jahrhunderts verschont geblieben war. Im Fall der Swissair dominierte klar die zweite Befindlichkeit – sie trug nicht unwesentlich zu ihrem Untergang bei.
In der Boomphase nach dem Zweiten Weltkrieg lief es der Swissair prächtig. Sie profitierte auch von den internationalen Organisationen, die sich in der Schweiz niedergelassen hatten. «Insbesondere die globale Elite, egal ob aus Afrika, Amerika oder Indonesien, hatte einen grossen Bedarf an Flügen in die Schweiz und kaufte deshalb besonders viele der für die Swissair lukrativen Erstklasstickets», schrieb der Historiker Benedikt Meyer, der ein Buch über die Swissair verfasst hat, in der «Wochenzeitung».
Aus dieser Zeit stammt der Übername «fliegende Bank». Ab Ende der 1970er Jahre aber wurde es eng für die Swissair. Damals begann die Deregulierung des Luftverkehrs, die Preise gerieten unter Druck. Ende der 80er Jahre verdiente die am Klotener Balsberg ansässige Airline kein Geld mehr mit ihrem Kerngeschäft, der Fliegerei. Sie lebte von ihren lukrativen Nebenbetrieben. Der nächste Schlag war das Nein zum EWR-Beitritt 1992. Die Swissair war vom EU-Binnenmarkt abgeschnitten.
Die Verantwortlichen suchten die Flucht nach vorne, mit dem Projekt Alcazar, einer Allianz von vier gleichwertigen Partnern: Neben der Swissair waren es die niederländische KLM, die skandinavische SAS und Austrian Airlines. Es scheiterte an internen Streitigkeiten. Und am Widerstand in der Schweiz, wo man sich nicht damit abfinden konnte, dass die Swissair in der Allianz nicht die erste Geige spielte – obwohl KLM grösser war.
Insbesondere die «Blick»-Medien und Ringier-Chefpublizist Frank A. Meyer feuerten aus allen Rohren gegen Alcazar. Dafür bejubelten sie umso lauter die Hunter-Strategie, die Konzernchef Philippe Bruggisser ab 1997 verfolgte. Für eine mittelgrosse Fluglinie wie die Swissair wäre es logisch gewesen, sich einer grossen Allianz anzuschliessen. Bruggisser aber wollte der Jäger sein und nicht der Gejagte, er schuf eine eigene Allianz, die Qualiflyer Group.
Als Partner kamen jedoch nur zweit- oder drittklassige Gesellschaften in Frage, die von den Grossen wie Lufthansa und British Airways verschmäht wurden. Wichtigster Partner war die belgische Sabena. Aviatikfans spotteten, der Name sei die Abkürzung von «Such a bloody experience, never again!». Andere Beteiligungen waren die portugiesische TAP («Take another plane!») sowie italienische und französische Regionallinien. Die meisten Airlines waren finanziell marode, so dass die Swissair neben dem Kaufpreis zusätzlich Geld einschiessen musste.
Obwohl die Probleme offenkundig waren, gab es nur wenig Kritik, und die wurde häufig als «Landesverrat» abgetan. Niemand stoppte Bruggisser, schon gar nicht der Verwaltungsrat, der aus Honoratioren ohne Erfahrung im Flugbusiness bestand. Dabei häuften sich die Warnsignale. 1998 stürzte Swissair-Flug 111 bei Halifax in den Atlantik. Im folgenden Jahr kündigte der langjährige USA-Partner Delta Airlines die Zusammenarbeit mit der Swissair auf. Im gleichen Jahr verliess Austrian Airlines die Qualiflyer Group und schloss sich der Star Alliance von Lufthansa an.
Trotzdem wurde Philippe Bruggisser vom «Blick» noch im Herbst 2000 als «Manager-Held» bejubelt. Im Januar 2001 wurde er gefeuert. Der Verwaltungsrat hatte viel zu spät die Notbremse gezogen. Nach einigen Wirren wurde Nestlé-Finanzchef Mario Corti zum neuen Swissair-Boss ernannt. Er stellte ein ehrgeiziges Sanierungskonzept auf, doch die Terroranschläge vom 11. September 2001 liessen den zivilen Luftverkehr einbrechen und machten den Plan zur Makulatur.
Drei Wochen danach kam es zum Grounding. Die Bilder der Swissair-Maschinen, die um das im Bau befindliche Dock E in Zürich parkiert waren, wurden weltweit mit Erstaunen und Bestürzung zur Kenntnis genommen. Dabei wäre dieser GAU vermeidbar gewesen, davon ist nicht nur der damalige Bundespräsident Moritz Leuenberger überzeugt. Zum Sündenbock wurde Marcel Ospel erklärt, der Verwaltungsratspräsident der Swissair-Hausbank UBS.
Letztlich aber war das Grounding eine Folge von kollektiver Überforderung – und von Ignoranz. Bis zuletzt wollten viele nicht wahrhaben, wie schlecht es um die Swissair stand, obwohl Mario Corti wenige Tage zuvor in der SRF-«Arena» gewarnt hatte, die Oktober-Löhne seien nicht gesichert. Der Mythos Swissair vernebelte das klare Denken. Schliesslich garantierte ein Überbrückungskredit den Flugbetrieb bis zum 31. März 2002. Dann endete die 71-jährige Geschichte der Swissair.
Gäbe es die Swissair heute noch, wenn die Verantwortlichen klüger entschieden hätten? Solche hypothetischen Fragen sind müssig, aber mit weniger Selbstüberschätzung wäre es vielleicht anders gekommen. Mit der Swissair ging auch der Mythos unter. Die Nachfolgerin Swiss konnte nie die gleichen Emotionen mobilisieren. Das zeigte sich beim Verkauf an die Lufthansa 2005, der ohne Proteste über die Bühne ging – mit Ausnahme des «Blick», der sich auch hier treu blieb.
Es kommt auf lange Sicht nie gut, wenn ein Kleinstaat wie die Schweiz zum Grössenwahn tendiert. Seit dem Swissair-Grounding musste sie das mehrfach erfahren, etwa im Streit mit Deutschland um die Anflugrouten auf den Flughafen Zürich oder beim Bankgeheimnis. Und auch beim Reizthema Zuwanderung muss die Schweiz zur Kenntnis nehmen, dass sie nichts gegen den Willen der EU unternehmen kann, wenn sie die bilateralen Verträge behalten will.