Der Bundesrat im geopolitischen Blindflug zwischen Putin und Trump
Die Schweiz durchlebt aussenpolitisch eine schwierige Zeit. US-Präsident Donald Trump hat ihr einen Strafzoll von 39 Prozent aufgebrummt. Nur wenige Länder traf es noch härter, was unser Selbstbild als Musterschüler erschüttert. Einen weiteren Tiefschlag gab es beim Kampfjet F-35, bei dem sich der angebliche Fixpreis als Selbstbetrug herausstellte.
In solchen Zeiten greift man nach jedem Strohhalm. Als Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ein Treffen zwischen Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj in Genf andeutete, war die Schweiz zur Stelle. Aussenminister Ignazio Cassis versicherte, der Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Putin sei dafür kein Hindernis.
Vereinzelt wurde sogar über einen Dreiergipfel mit Trump spekuliert, bei dem die Schweiz gleich noch den 39-Prozent-Zoll «wegverhandeln» könne. Erst mit Verzögerung wurden die entscheidenden Fragen gestellt: Ist ein Treffen von Putin und Selenskyj derzeit realistisch (sicher nicht)? Und kommt die Schweiz als Austragungsort überhaupt infrage (eher nicht)?
Schweizer Nicht-Aussenpolitik
Einmal mehr zeigt sich: Geht es um Macht- und Geopolitik, ist die Schweiz oft verblüffend unbedarft. Das ist historisch erklärbar. Lange galt vorab in bürgerlichen Kreisen die Devise, dass die beste Aussenpolitik für die Schweiz gar keine Aussenpolitik sei. Also «verkroch» man sich hinter der Neutralität und bemühte sich, unter dem Radar zu bleiben.
Das hat nicht immer funktioniert, und mit der Zeitenwende durch den Ukraine-Krieg wurde diese Pseudo-Aussenpolitik unhaltbar. Anfangs wollte sich der Bundesrat bei den Sanktionen gegen Russland wie gehabt «durchmogeln», doch das Unverständnis darüber war derart heftig, dass er keine andere Wahl hatte, als die EU-Sanktionen zu übernehmen.
«Blame Game» um Zoll-Gespräch
Mit Donald Trumps Rückkehr ins Weisse Haus hat sich das Problem verschärft. Seine «America First»-Doktrin erschüttert das Selbstverständnis der Schweiz als Profiteurin einer globalisierten und regelbasierten Wirtschaftsordnung. Bei den Zöllen erfährt sie dies auf die harte Tour, wie das Telefonat von Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter mit Trump am 31. Juli zeigte.
Es lief dermassen aus dem Ruder, dass ein «Blame Game» eingesetzt hat. Vor Wochenfrist berichteten CH Media und «Sonntagsblick», basierend auf dem Gesprächsprotokoll, dass Keller-Sutter gegen einen offenkundig auf Krawall gebürsteten US-Präsidenten nie eine reelle Chance gehabt habe. Nun erfolgte erneut im «Sonntagsblick» die Retourkutsche.
Von Trump blossgestellt
Demnach soll die Bundespräsidentin Trump «mit einem gefühlt halbstündigen Crashkurs in Volkswirtschaft und politischer Ökonomie» regelrecht gedemütigt haben, heisst es unter Berufung auf Informanten im Umfeld der US-Regierung: «Bill Clinton hätte nach zehn Minuten aufgehängt. Auch Barack Obama hätte sich das nicht gefallen lassen.»
Das Motiv der Insider ist durchschaubar und wird auch angedeutet. Sie gehören offenbar zur Entourage von Finanzminister Scott Bessent, Handelsminister Howard Lutnick und des Handelsdelegierten Jamieson Greer. Sie hatten mit der Schweiz einen Deal ausgehandelt und wurden von Trump nach Strich und Faden blossgestellt («I don’t care about them»).
Schmeicheleien statt Fakten
Weil der Möchtegern-Autokrat keinen Widerspruch duldet, haben sie alles Interesse, die Schuld am Zoll-Debakel auf Karin Keller-Sutter abzuschieben. Hätte es die freisinnige Finanzministerin besser machen können? Donald Trump entzieht sich allen «normalen» Kriterien. Auf Belehrungen reagiert er allergisch, dafür fährt er ab auf Schmeicheleien.
Es genügt nicht, wie Keller-Sutter in den letzten Weihnachtsferien das Buch «The Art of the Deal» zu lesen. Man muss bei Donald Trump den richtigen Nerv treffen, um mit ihm ins Geschäft zu kommen. Mit nüchternen und faktenbasierten Vertragsverhandlungen, die man sich in der Schweiz gewohnt ist, hat dies wenig zu tun.
Putins Spiel mit Trump
Dennoch hat sich der Bundesrat (zu) lange an die Absichtserklärung geklammert, die mit Trumps Ministern ausgehandelt wurde. Keller-Sutters Vorgehen beim Gespräch mit Trump erinnert deshalb an einen Blindflug. Wie man es besser macht, zeigte ausgerechnet die oft gescholtene Europäische Union, die einen wesentlich vorteilhafteren Zoll-Deal erhielt.
Geopolitik bedeutet eben auch, sich auf unberechenbare Kontrahenten einzustellen, ob sie Donald Trump heissen oder Wladimir Putin. Die Zusicherung von Immunität im Fall eines Gipfels in Genf interessiert den russischen Machthaber nicht. Er spielt mit Donald Trumps Sehnsucht nach dem Friedensnobelpreis, während er seine Kriegsziele in der Ukraine unbeirrt weiterverfolgt.
Deshalb will er auch nicht mit dem von ihm als «Clown» verachteten Selenskyj verhandeln, und die Schweiz betrachtet er wegen der Sanktionen ohnehin als Kriegspartei. Man kann dem Aussendepartement EDA keinen Vorwurf machen, dass es auf Macrons Äusserung aufgesprungen ist. Aber eine realistische Grundlage dafür ist nicht vorhanden.
Geopolitik ist anspruchsvoll, und für die neue Weltunordnung gilt dies mehr denn je. Die Schweiz kann sich dieser Realität nicht entziehen, dafür ist ihr wirtschaftliches Gewicht zu gross. Im Verhältnis mit den USA bekommt sie dies auf die harte Tour zu spüren. Höchste Zeit deshalb, dass der Bundesrat aus seinem Blindflug herausfindet.
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