«Die Bewilligungsverfahren für Antennen sind zu kompliziert und dauern zu lange»
Wann beginnt ein typischer Arbeitstag für Sie?
Christoph Aeschlimann: Das ist sehr unterschiedlich, meistens zwischen sieben und acht Uhr.
Auf LinkedIn teilen Sie manchmal Videos. Kürzlich sprachen Sie über Ihre Selbstorganisation und erwähnten, dass ein Tag nur 24 Stunden hat und dass Sie darauf achten, nicht zu viel selber zu machen.
Natürlich gibt es sehr intensive Tage. Dann klingelt der Wecker schon um fünf Uhr. Aber letztlich muss man als Chef aufpassen: Nimmt man sich genug Zeit für die wirklich wichtigen Themen? Meine Aufgabe ist nicht, den nächsten Tag zu managen – das machen die Teams. Ich brauche Freiräume, um mir genügend Gedanken machen zu können. Sonst gehen Überblick und vor allem Weitblick verloren.
Wo schöpfen Sie die Energie für Kreativität? Ex-SBB-Chef Benedikt Weibel rät Managern in seinem neuen Buch, mehr zu lesen.
Ich lese gern Bücher – Fachliteratur, aber auch Romane. Sehr wichtig ist für Inspiration auch der Austausch: intern mit Mitarbeitenden und Führungskräften, extern mit Kunden, Lieferanten, Beratern oder anderen CEOs. Man weiss nie im voraus, woher eine gute Idee kommt.
Trauen sich die Mitarbeitenden, Sie direkt anzusprechen, wenn sie Ihnen im Lift begegnen?
Wir haben eine Du-Kultur. Und tatsächlich passiert das: Jemand kommt auf mich zu und sagt: «Hoi, ich habe da eine Idee» oder «Ein Kunde hat mich auf ein Problem angesprochen.»
Was beschäftigt Kunden, die sich bei Ihnen direkt melden?
Es sind oft kleine, ganz konkrete Dinge: Etwas funktioniert nicht, oder es gab ein Problem im Shop. Ab und zu gibt es aber auch ein Lob.
Und die Preise sind kein Thema? Nach der Liberalisierung 1998 sind die Tarife im Telekommarkt stark gefallen. Später wurden Smartphones fast verschenkt. Seit Jahren besteht der Eindruck: Beim Preis bewegt sich kaum mehr etwas.
Unsere Abos bieten heute deutlich mehr Leistung als noch vor fünf Jahren – zum gleichen oder gar tieferen Preis. Zudem gibt es immer mehr Zweit- und Drittmarken mit tieferen Preisniveaus, von Swisscom selbst, aber auch von der Konkurrenz. Insofern sinken die Durchschnittspreise weiterhin.
Ist das der Hauptgrund, warum Swisscom von Jahr zu Jahr weniger Umsatz macht?
Dieses Jahr allein verlieren wir in der Schweiz rund 100 Millionen Franken im Telekomgeschäft. In den letzten zehn Jahren ist der Branchenumsatz insgesamt von 14 auf 12 Milliarden Franken zurückgegangen. Für die Kunden ist das positiv: Sie bekommen mehr Leistung für weniger Geld.
Gut für die Kunden, schlecht für Sie!
Es bedeutet für uns, dass wir einerseits neue Produkte lancieren müssen – etwa in den Bereichen Cloud, Cybersecurity oder künstliche Intelligenz. Denn wir wollen wachsen. Warum? Eine Firma, die sich nicht weiterentwickelt und wächst, stirbt eines Tages. Andererseits müssen wir im Kerngeschäft effizienter werden.
Swisscom droht dasselbe Schicksal wie der Post, ihrer einstigen PTT-Schwester: stetig sinkende Umsätze und nonstop Abbauübungen.
Wir verlieren im Unterschied zur Post nicht an Umsatz, weil wir einen Mengenrückgang haben. Im Gegenteil: Wir haben mehr Kunden, bauen das Netz laufend aus und bieten mehr Leistung als früher. Aber die Preise sind tiefer. Darum ist kontinuierliche Effizienzsteigerung seit Langem ein zentrales Thema für uns und wird es auch in den kommenden fünf Jahren bleiben.
Verschärft künstliche Intelligenz (KI) diesen Trend noch – oder ist sie eine Chance für Neugeschäfte?
Beides. KI bietet riesige Chancen und birgt gleichzeitig grosse Risiken. Swisscom wird die grösste Transformation ihrer Geschichte erleben. Chancen bestehen darin, Dienstleistungen viel besser und günstiger zu machen und gleichzeitig neue Umsatzquellen zu erschliessen. Das Risiko ist, dass neue Anbieter mit radikal anderen Ansätzen auf den Markt kommen und uns disruptiv herausfordern.
Es scheint so, als würden am Ende die grossen Tech-Konzerne aus dem Silicon Valley alles dominieren: «The winner takes all.»
In der digitalen Welt gibt es viele Plattformgeschäfte mit enormen Skaleneffekten. Wer gross ist, profitiert am meisten – und kann auch enorm viel investieren. Da können wir nicht direkt mithalten. Aber…
… Grösse ist nicht alles?
Viele Kunden legen Wert auf Vertrauen, Souveränität und Kontrolle über ihre Daten. Darum haben wir beispielsweise für Privatkunden «MyAI» lanciert – eine Art Chatbot wie ChatGPT, aber die Daten bleiben in der Schweiz und werden nicht für Trainingszwecke verwendet. Jetzt wird sich zeigen, ob die Nutzer diesen Mehrwert schätzen.
Kann ein lokaler Chatbot qualitativ wirklich gut sein, wenn er mit viel weniger Daten trainiert wird?
Probieren Sie «MyAI» aus. Ich nutze ihn selbst häufig und bin überzeugt, dass er sehr gut funktioniert.
Sie haben gesagt, eine Firma, die nicht wachse, sterbe irgendwann. Erklärt diese Logik Ihren Vorstoss nach Italien?
Um bei Mitarbeitenden attraktiv zu sein und neue, gute Leute anziehen zu können, ist es wichtig, dass sich ein Unternehmen laufend weiterentwickelt und eine Zukunftsperspektive hat. Diese würde ohne Wachstumsambition fehlen. Italien bietet eine solche Perspektive. Wir sind seit 17 Jahren mit Fastweb in Italien aktiv und kennen den Markt. Die geplante Fusion von Fastweb und Vodafone Italia ist eine grosse Chance, das Geschäft dort langfristig stabiler und nachhaltiger aufzustellen.
Was haben die Kunden in der Schweiz davon?
Ein starkes Italien-Geschäft macht die gesamte Swisscom-Gruppe stärker. Das wiederum erlaubt uns, den Aktionären wie dem Bund mehr Dividenden auszuschütten – wovon letztlich auch die Bürgerinnen und Bürger in der Schweiz profitieren.
Auslandsgeschäfte sind riskant. Irland oder Deutschland mit Debitel müssten der Swisscom eine Warnung sein!
Es gibt kein Geschäft ohne Risiken – sonst würde es jeder machen. Wichtig ist, dass der Bund als Hauptaktionär bereit ist, unternehmerische Risiken mitzutragen, damit wir die Firma weiterentwickeln können. Das ist auch im Interesse aller Aktionäre.
2005 hat der Bundesrat der Swisscom Auslandexpansionen de facto verboten. Es war Christoph Blocher, der diesen Schritt wollte. Was ist heute in Italien anders als damals in Irland?
Wir betreiben in Italien exakt unser Kerngeschäft: Telekommunikation und IT – Festnetz, Mobilfunk, Privat- und Geschäftskunden. Wir kennen Markt und Land, haben Teams vor Ort und realisieren mit der Transaktion direkte Synergien. Das ist nicht vergleichbar mit dem damaligen Eircom-Fall, bei dem es um den Einstieg in ein neues Land ohne bestehende Präsenz ging und wo wir auch die Grundversorgung hätten erbringen müssen.
In Italien beobachtet man unter der Regierung Meloni eine gewisse Re-Verstaatlichung, auch im Telekom-Sektor. Könnte die Swisscom als ausländische Firma benachteiligt werden?
Telekommunikation ist in allen Ländern reguliert – in der Schweiz wie in Italien. Gleichzeitig hat man überall erkannt, dass digitale Infrastrukturen sicherheitspolitisch und wirtschaftlich kritisch sind. Entsprechend geht es darum, wie viel Kontrolle der Staat über nationale Netze behält. In Italien wurden Assets weitgehend verkauft, nun gibt es teilweise eine Gegenbewegung. Für Swisscom sind die Risiken aber begrenzt.
In der Schweiz hält der Bund 51 Prozent an Swisscom. Vor 10 oder 15 Jahren dachte mancher, dieser Anteil könnte sinken. Heute wirkt das politisch ferner denn je.
Wir leben in einer Phase von Deglobalisierung, Renationalisierung und mehr lokaler Kontrolle. Eine Veränderung der Bundesmehrheit ist aus meiner Sicht derzeit kein Thema.
Ihr Kollege von der Post ruft nach mehr unternehmerischen Freiheiten. Sie auch?
Als Hauptaktionär gewährt uns der Bund die unternehmerischen Freiheiten, die wir brauchen. Auf der Regulierungsseite gibt es jedoch Hindernisse, insbesondere beim Mobilfunk: Die Bau- und Bewilligungsverfahren für Antennen sind für eine moderne, regelmässig zu erneuernde Infrastruktur zu kompliziert und dauern zu lange – für uns, aber auch für Gemeinden und Kantone.
Sie wünschen sich also mehr Freiheiten beim Aufstellen neuer Antennen? Konkret: ein Abbau der Einsprachemöglichkeiten?
Wir müssen unsere bestehenden Anlagen laufend modernisieren, sonst leidet die Netzqualität. Zurzeit sind die Verfahren dazu nicht praxistauglich, sie dauern bis zur letzten Instanz oft mehrere Jahre.
Werden künftig überhaupt noch so viele Antennenstandorte nötig sein, wenn die Technologie Fortschritte macht?
Es ist pure Physik: Wenn die Menschen mehr Daten konsumieren, braucht es entweder mehr Frequenzen – die sind begrenzt – oder mehr Standorte.
Oder man könnte stärkere Antennen aufstellen.
Das geht nicht, solange die Strahlungsgrenzwerte zehnmal strenger sind als in der EU. Die Grenzwerte auf EU-Niveau abzusenken, ist politisch kaum machbar. Folglich wird die Netzverdichtung weitergehen.
Beim Netzausbau hoffen Sie also auf Deregulierung. Und bei der Künstlichen Intelligenz? Wie sollte die in der Schweiz geregelt werden?
Ich bin für so wenig Regulierung wie möglich. Man sollte nur dort regulieren, wo es tatsächlich Probleme gibt – etwa beim Datenschutz oder bei ethischen Grundsätzen. Ansonsten bremst Überregulierung Innovation, ohne echten Mehrwert zu schaffen.
Vergangene Woche berichteten wir über Verlagerungen von Hunderten Arbeitsplätzen nach Riga und Rotterdam. Ist das dem hohen Lohnniveau in der Schweiz geschuldet?
Wenn Kundinnen und Kunden weniger für Dienstleistungen bezahlen wollen, müssen wir effizienter produzieren. Das erreichen wir, indem wir vereinfachen, gewisse Tätigkeiten einstellen, stärker automatisieren – oder Arbeiten an Orte verlagern, wo sie in gleicher Qualität, aber günstiger erbracht werden können.
Wie viele Stellen sind konkret betroffen?
Wir beschäftigen heute rund 600 Mitarbeitende in Riga und Rotterdam. Dieser Ausbau wird in den nächsten Jahren weitergehen; die Pläne passen wir laufend an. Zur Einordnung: Swisscom hat rund 13’000 Mitarbeitende – wir sprechen also von einstelligen Prozentanteilen im Ausland.
Wären auch Auslagerungen nach Italien denkbar, wo Sie jetzt viele Standorte haben?
Die Geschäfte in Italien und in der Schweiz sind vollständig getrennt. Es sind zwei eigenständige Unternehmen. Grundsätzlich könnten wir neben Riga und Rotterdam auch einen Swisscom-Standort in Italien aufbauen; das Land kennen wir gut. Aber das müsste eingehend geprüft werden.
Sie sagen, Italien stärke die gesamte Swisscom-Gruppe. Zurzeit belastet dieses Geschäft aber Ihre Gesamtrechnung.
Bei Zukäufen fallen Integrationskosten an; Synergien realisieren sich verzögert. In den ersten zwei bis drei Jahren kann das die Kostenbasis erhöhen. Nächstes Jahr sollten wir erste Synergien sehen.
KI wirkt disruptiv, gleichzeitig gibt es grosse politische und militärische Unsicherheiten. Als 48-jähriger CEO haben Sie so viele Herausforderungen gleichzeitig wohl noch nie erlebt?
Solche Phasen gab es historisch auch schon, aber sie liegen weit zurück. Technologisch erinnert mich die jetzige Situation an den Internet-Aufbruch Ende der 1990er – nur mit noch mehr Tempo und Auswirkungen für uns alle. Geopolitisch müsste man wohl bis in die Zeit um die Weltkriege zurückblättern, als die Verwerfungen allerdings noch viel grösser waren.
Die Internet-Blase platzte nach der Jahrtausendwende. Bei KI spricht heute kaum jemand von Hype.
KI nimmt praktisch jeder sehr ernst. Und das Platzen der Internetblase hat nichts daran geändert, dass sich das Netz am Ende mit voller Kraft durchgesetzt hat. Das brauchte jedoch sehr lange im Vergleich zu dem Tempo, mit dem KI überall durchdringt.
Viele Jobs verändern sich dadurch, oder sie fallen weg. Wie geben Sie als Chef eines Tech-Unternehmens Ihren Angestellten Zuversicht, dass es sie weiterhin braucht?
Die Unsicherheit ist tatsächlich gross. Wir entwickeln gerade ein Zielbild 2030: Wie sieht eine KI-getriebene Swisscom dann aus? Das brechen wir herunter auf die einzelnen Abteilungen – was heisst das fürs Callcenter, für die Shops, fürs Produktmanagement? So können wir mit den Mitarbeitenden im Dialog erklären, was unsere Hypothesen sind, welche Stellen tangiert und welche neuen Kompetenzen gebraucht werden.
Aber Sie wissen es doch selber noch nicht so genau.
Sicher wissen wir nicht alles, aber wir zeigen Perspektiven auf. Wohin geht die Reise? Das Wichtigste sind Transparenz und ein ehrlicher Dialog – und dass wir die Transformation sozialverträglich gestalten.
Was stimmt Sie selber zuversichtlich?
Es wird neue Geschäftsfelder, Berufsbilder und Möglichkeiten geben. Natürlich fallen auch Stellen weg, aber jeder technologische Umbruch schuf neue, spannende Jobs – und das ist auch jetzt so. Innovation entsteht nur angstfrei. Wir müssen keine Angst vor KI haben. Etwas, was mich positiv stimmt für Swisscom, sind die jungen Menschen. Wir haben auf ausgeschriebene Lehrstellen sehr viele tolle Bewerbungen. Diese jungen Menschen glauben an die Zukunft.
