Schweiz
Interview

SRG-Halbierungsinitiative: Medienwissenschaftler warnt private Medien

SRF-Studio Leutschenbach, SRG
2026 will die Halbierungsinitiative der SRG an den Kragen.Bild: Shutterstock
Interview

Medien-Professor über Albert Rösti: «Wir können ihn nur beim Wort nehmen»

Bei der Halbierungsinitiative, über die das Stimmvolk voraussichtlich 2026 abstimmt, könnte es knapp werden. Das zeigt die watson-Umfrage. Medienwissenschaftler Manuel Puppis sagt, wie es um die SRG steht und warum auch private Medienhäuser eine starke SRG brauchen.
12.08.2025, 11:2212.08.2025, 13:14
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44 Prozent der Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer würden heute «Ja» oder «Eher ja» bei der Halbierungsinitiative stimmen. Überrascht Sie dieses Ergebnis?
Manuel Puppis:
Nein, überraschend ist eher, dass die Umfrage schon heute eine deutliche Nein-Mehrheit zeigt. Initiativen starten häufig mit breiter Zustimmung, die dann während des Abstimmungskampfes schwindet.

2018 sagte das Schweizer Stimmvolk mit 71,6 Prozent klar «Nein» zur «No Billag»-Initiative, also einer Initiative, die die gesamten Radio- und Fernsehgebühren abschaffen wollte. Bei der Halbierungsinitiative sind gemäss Umfrage nur noch 56 Prozent dagegen. Dreht sich der Wind?
Wir haben hier sehr frühe Umfrageergebnisse für die Deutschschweiz. Grundsätzlich würde ich aber sagen: Wer 2018 schon «Ja» zur «No Billag»-Inititiative gestimmt hat, wird auch bei der Halbierungsinitiative «Ja» stimmen. Die Halbierungsinitiative könnte aber allenfalls etwa besser abschneiden, weil sie vordergründig weniger extrem erscheint. Hinzu kommt, dass die Kritik an der SRG aus verschiedenen Ecken zugenommen hat.

Zur Person
Manuel Puppis ist ordentlicher Professor für Medienpolitik, Medienregulierung und Journalismus an der Universität Freiburg. Seit 2017 gehört er der Eidgenössischen Medienkommission (EMEK) an, die er seit 2022 als Vizepräsident vertritt. Die EMEK berät den Bundesrat und die Verwaltung in Fragen zur Schweizer Medienlandschaft und zum Schweizer Journalismus.
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Bild: Christiane Matzen, Leibniz-Institut für Medienforschung

Warum hat die Kritik zugenommen? Was macht die SRG falsch?
Es geht gar nicht so sehr darum, was die SRG macht, sondern dass das Umfeld für den Service public härter geworden ist. Zum einen stehen populistische Parteien in ganz Europa den öffentlich-rechtlichen Medien grundsätzlich kritisch gegenüber, weil deren ausgewogene Berichterstattung ihrer Sicht auf die Dinge widerspricht oder weil die Öffentlich-Rechtlichen den Auftrag haben, die Vielfalt in der Gesellschaft darzustellen.

Und zum anderen?
Gibt es auch Kritik aus libertären Kreisen. Das haben wir bei der «No Billag»-Initiative bereits gesehen. Diese Kreise behaupten, dass alle Leistungen der SRG auch von privaten Medien erbracht werden könnten. Und was auf dem Markt nicht bereitgestellt werde, brauche es auch nicht. Doch das stimmt nicht. Der Medienmarkt in der Schweiz ist viel zu klein für privates Fernsehen mit einem umfassenden Programmangebot. Und die Zahlungsbereitschaft für Journalismus ist gerade im Internet sehr gering. Nur 22 Prozent sind in der Deutschschweiz bereit, dafür zu bezahlen. Das haben wir an der Uni Freiburg mit einer Umfrage eruiert. Die meisten Leute finden, Journalismus solle gratis sein, weil jeder und jede das Recht auf Information hat.

Trotzdem kritisieren auch private Medienhäuser die SRG.
Korrekt. Die Privaten glauben, sie stünden in Konkurrenz mit der SRG. Zeitungen, beispielsweise, behaupten, sie könnten deutlich mehr Online-Abos verkaufen, wenn die SRG sich ausschliesslich auf das Radio und Fernsehen konzentrieren würde. Dieser Behauptung sind wir in unserer Studie ebenfalls nachgegangen. Das Ergebnis: Wenn wir SRF News von heute auf morgen abschalten würden, würden die meisten Leute zu anderen Gratisangeboten wechseln. Davon profitieren würden watson, blue News, Nau und 20 Minuten. Und Social Media. Nur ein ganz kleiner Teil würde ein Abo bei einer Zeitung lösen. Auf die ganze Deutschschweiz hochgerechnet wären das maximal 19'000 Abonnements.

19'000 Abonnements mehr klingt nach viel für Zeitungen.
Es ist eine kleine Zahl, gemessen an dem, was verloren gehen würde. Ohne SRF News würden wir deutlich weniger Menschen mit journalistischen Inhalten erreichen. Das wäre fatal. Wir leben in Zeiten, in denen Falschinformationen kursieren, in denen Akteure wie Russland gezielt versuchen, unsere demokratischen Prozesse zu stören.

Im Fernsehen und Radio stellt die SRG aber durchaus eine Konkurrenz zu Privaten dar.
Ja, aber auch das nur bei einigen wenigen TV-Formaten, beispielsweise bei grossen Sportereignissen. Solche Sendungen würden ohne die SRG aber wahrscheinlich einfach im Pay-TV landen. Die meisten anderen Formate, welche die SRG anbietet, würden sich für ein privates Medienhaus nicht lohnen. Ich spreche von Reportagesendungen, Kultursendungen, inländischen Filmen und Serien. Das alles wäre allein mit Werbeeinnahmen nicht zu stemmen. Kommt hinzu: Würde die SRG wegfallen, würden die Werbeeinnahmen auch bei privaten Fernsehsendern wegbrechen.

Warum?
Die Schweiz ist sehr klein und hat obendrauf verschiedene Sprachregionen. Im TV-Werbemarkt ist die SRG der grösste Player. Ohne sie würde es sich für die meisten Firmen nicht mehr lohnen, in TV-Werbung in der Schweiz zu investieren. Ihre Werbegelder würden dann nur zu RTL, ProSieben und Co fliessen. Und natürlich noch stärker zu Tech-Riesen wie Google und Meta.

Dass Werbegelder an US-Tech-Firmen fliessen, ist bereits jetzt ein grosses Problem für den Schweizer Journalismus.
Allerdings. Die Werbeeinnahmen von Zeitungen sind in den letzten 30 Jahren regelrecht eingebrochen. Die Probleme mit den Tech-Giganten nehmen gar zu. ChatGPT, Google und Co nutzen journalistische Texte, um ihre Künstliche Intelligenz zu trainieren – ohne die Medienhäuser dafür zu entschädigen. US-Studien zeigen: KI-Zusammenfassungen in den Google-Suchresultaten führen dazu, dass die Medienhäuser nicht einmal mehr ein paar Klicks für ihre Arbeit abbekommen.

Und die Politik scheint keine Anstalten zu machen, dagegen vorzugehen. Der Bundesrat hat im Frühling einen Entscheid zur Regulierung von Techfirmen verschoben. Zum wiederholten Mal. Ohne Angabe einer Erklärung.
Ja, der Bundesrat wollte vermutlich die Zollverhandlungen mit US-Präsident Donald Trump nicht gefährden.

Das hat ja gut geklappt.
Offensichtlich.

Wenn das Stimmvolk die Halbierungsinitiative annehmen würde, welche Konsequenzen hätte das für die SRG?
Es hätte massive Auswirkungen auf die Programmleistung. Die Halbierungsinitiative sieht ja nicht nur eine Kürzung der Gebühren für Haushalte auf 200 Franken vor. Auch sämtliche Firmen würden von der Gebühr befreit. Das wäre wortwörtlich eine Halbierung des Budgets. Heute produziert die SRG ein vollwertiges Angebot in drei Landessprachen und einige Inhalte auf Rätoromanisch, mit Gebühren in der Höhe von etwas weniger als 1,3 Milliarden Franken. Man muss das mal mit Deutschland vergleichen: Die ARD bekommt über 6 Milliarden Euro Gebührengelder. Das ist eine ganz andere Liga. Schon jetzt kann man sehen, was für einen Einfluss die vom Bundesrat beschlossene schrittweise Kürzung der Serafe-Abgabe von 335 Franken auf 300 Franken hat. Die SRG muss bis 2029 270 Millionen einsparen und steht vor einem Totalumbau: Sendungen werden gestrichen, Mitarbeitende entlassen.

Welche Auswirkungen hätte die Annahme der Halbierungsinitiative auf die gesamte Schweiz?
Eine robuste Demokratie braucht gut informierte Bürgerinnen und Bürger. Es stellt sich die Frage, inwiefern die SRG dieser Aufgabe mit einem halbierten Budget noch nachkommen könnte. Teuer in der Produktion sind nicht die Vorabendsendungen, die immer alle kritisieren. Kochsendungen, US-Serien – das ist das Billig-Programm, mit dem man 24-Stunden füllt. Die teuren Inhalte sind Information, Kultur, Bildung, einheimische Fiktion. Dinge wie ein internationales Korrespondentennetzwerk zu pflegen. In diese Lücke könnten die privaten Medienhäuser nicht springen. Auch ihnen geht das Geld aus.

2024 ging als das Jahr des Abbaus im Schweizer Journalismus in die Geschichte ein. CH Media – zu der watson gehört – baute Stellen ab und schloss alle Today-Portale. Ringier und Tamedia sprachen Kündigungen aus und schlossen Druckereien. Die SRG strich Stellen, Sendungen und kommunizierte 2025 die nächste Sparrunde. Ist diese Entwicklung noch aufzuhalten?
Ja, wenn die privaten Medienhäuser und die SRG anfangen, an einem Strang zu ziehen, um bessere Rahmenbedingungen für den Journalismus zu fordern. Von einer starken SRG profitieren alle. Wir wissen beispielsweise, dass die Bereitschaft, für Journalismus zu bezahlen, grösser ist bei Leuten, die Inhalte der SRG konsumieren. Auch ist der Service public verpflichtet, eine gewisse Qualität zu erbringen. Das führt bei privaten Medien dazu, dass sie sich am Service public messen müssen. Das haben internationale Studien immer wieder gezeigt. Die Verlage sollten endlich anerkennen, dass nicht die SRG der Grund für ihre finanziellen Schwierigkeiten ist.

Es braucht aber auch einen politischen Willen. Ist Bundesrat Albert Rösti als Medienminister dafür geeignet? Als Nationalrat lancierte er höchstpersönlich die Halbierungsinitiative.
Bundesrat Rösti sagt jetzt, die Halbierungsinitiative müsse abgelehnt werden und er stehe hinter der SRG. Wir können ihn nur beim Wort nehmen.

Für die jetzigen Einsparungen bei der SRG ist Rösti mitverantwortlich. Der Bundesrat hat eine schrittweise Senkung auf 300 Franken bis 2029 entschieden. Um der Halbierungsinitiative etwas entgegenzuhalten, wie er sagt. Was halten Sie von dieser Argumentation?
Ich halte eine Senkung auf 300 Franken für eine schlechte Idee. Die Herausforderungen für den Journalismus sind riesig. Anstatt über Kürzungen zu diskutieren, müssten wir darüber sprechen, was unsere Demokratie in Zeiten der Digitalisierung von einem Service public braucht. Wir brauchen eine zukunftsgerichtete Medienförderung für private Medien, von der auch Onlinemedien profitieren können. Stattdessen wird der Posttransport von Zeitungen subventioniert. Und wir führen einen Abbaudiskurs. 35 Franken weniger Ausgaben pro Jahr und Haushalt sind eine kaum spürbare Entlastung. Sie beschwichtigt jene, die gegen die SRG sind, nicht. Und auch bei der Halbierungsinitiative geht es nicht darum, die finanzielle Belastung der Haushalte zu senken.

Worum geht es dann?
Das eigentliche Ziel der Halbierungsinitiative ist die Schwächung unabhängiger Medien. Vor wenigen Jahren bezahlten wir pro Jahr noch 465 Franken an Rundfunkgebühren, heute sind es 335, bald 300 Franken. Mir fällt kein anderer Bereich ein, wo die Kosten so stark zurückgegangen sind. Wenn man die Haushalte wirklich entlasten möchte, müsste man einkommensabhängige Gebühren einführen wie in Schweden oder Finnland.

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Sexismus in den Medien
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Sexismus in den Medien
quelle: shutterstock / screenshot blick / bearbeitung watson
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169 Kommentare
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banda69
12.08.2025 11:31registriert Januar 2020
"Wir können ihn (Albert Rösti) nur beim Wort nehmen."

Was das Wort eines Rechtspopulisten Wert ist, sehen wir ja bei Röstis Wunschkandidaten Donald Trump.
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Don't look up!
12.08.2025 11:37registriert Juni 2021
Ich werde ablehnen. Aber ich erwarte auch, das sich SRF stark modernisiert. Lineares TV ist ein Auslaufmodell und auch SRF sollte neue Kanäle nutzen dürfen - unbeschränkt.

"Was Private machen können, soll SRF nicht machen" finde ich total falsch. Im Gegenteil: wir brauchen Journalismus, der nicht so einfach gekauft werden kann.

Und ja: die SVP soll sich aufregen, wie sie dargestellt wird. Das hat schon einen Grund.
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domin272
12.08.2025 11:40registriert Juli 2016
Gutes Interview, aber wann haben sich Nazis und Rechtspopulisten jemals für mit Fakten und Untersuchungen untermauerte Schlussfolgerungen geschert, wenn ihre persönliche Präferenz, zusammen mit der Hosensackwärme doch "erwiesenermassen vieeeeel glaubwürdiger" das Gegenteil behauptet? Denjenigen Befürwortern, die davon nur den Bruchteil einee Ahnung haben, geht es nicht um Geld und nicht um angebliche Vorteile, es geht darum Informationen zu kontrollieren. Und was russiche Fehlinformationen angeht. Die fallen ohnehin meist zugunsten rechtsautoritären Blösinns aus...
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Über 14 Jahre Gefängnis in Basler Vergewaltigungsprozess
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