Frau Koepfli, Sie haben den Women's March in Zürich mitorganisiert. Ihr Fazit?
Virginia Koepfli: Die Voraussetzungen für die Veranstaltung waren nicht ideal. Wir hatten nur knapp einen Monat, um das Ganze zu realisieren. Ich habe zuvor noch nie eine Demo organisiert und es war kompliziert, dem breiten Bündnis gerecht zu werden. Kurz vor dem Women's March war es dann vor allem das Wetter, das mir Sorgen bereitete.
Waren Sie überrascht, dass so viele Menschen teilnahmen?
Um ehrlich zu sein, habe ich nie mit dieser Menschenmenge gerechnet. 15'000 Menschen, die gegen Sexismus, Unterdrückung und das Patriarchat auf die Strasse gehen – ich bin immer noch überwältigt. Das zeigt, wie wichtig das Thema ist. Mein Fazit ist also durchwegs positiv: Ich bin nicht nur von der Menge der Menschen beeindruckt, sondern auch von der Kreativität. Es war wirklich grossartig.
Der Women's March hat ohne konkrete Forderungen stattgefunden. Können Sie trotzdem sagen, was der Marsch bewirkt hat?
Der Women's March war der Start einer Bewegung. Wir haben uns bewusst dafür entschieden, dieser Bewegung nicht einfach einen Inhalt überzustülpen. Der Marsch selber hatte aber durchaus eine Wirkung. Die Menschen, die gekommen sind, haben das für sie wichtige Thema hineingetragen. Das zeigt, wie vielseitig unsere Forderungen sind, aber auch, wie viel es noch zu tun gibt.
Was wollten Sie selber mit der Demo erreichen?
Persönlich war für mich vor allem wichtig aufzuzeigen, wie vielfältig diese Bewegung ist, dass LGBT-Anliegen genau gleich wie Rassismus-Themen aufgegriffen wurden. Der Marsch zeigt der männlich geprägten Classe Politique, dass es nicht angeht, unsere Themen weiterhin zu ignorieren.
An der Demo nahmen auch viele Männer teil. In den Sozialen Medien entbrannten daraufhin eine Diskussion, ob Männer Feministen sein können und sollen. Wie stehen Sie zu männlichen Feministen?
Klar kann Mann Feminist sein. Ich finde es extrem wichtig, dass Feminist-Sein mit der Reflexion der eigenen Privilegien einhergeht. Dies gilt nicht nur für Männer. Ich zum Beispiel habe als weisse Cis-Frau extrem viele Privilegien gegenüber anderen Frauen. Mein Feminismus setzt sich in der Folge gegen jegliche Form von Unterdrückung ein.
Was lösen diese Privilegien aus?
Privilegien sind darum besonders gefährlich, weil sie blind machen. Menschen, die Privilegien haben, können die Unterdrückung, die Menschen ohne bestimmte Privilegien erfahren, nicht nachfühlen. Wir alle müssen deshalb lernen, denjenigen Menschen Verbündete zu sein, die Unterdrückung erfahren. Wir müssen ihnen nicht nur glauben, wenn sie uns von erlebtem Sexismus erzählen, sondern ihnen auch die Wahl lassen, was sie dagegen machen wollen. Darum sollen solidarische Männer den Frauen eine Art Vortritt lassen, wenn es zum Beispiel darum geht, über Sexismus zu sprechen. Denn wir erleben ihn tagtäglich.
Mein Herz schlägt pink. #womensmarch #womensmarchzuerich
— Jürg Halter (@halterjuerg) 18. März 2017
Auch Männer wollen sich von ihren Rollenbildern emanzipieren. Haben ihre Anliegen im Schweizer Feminismus Platz?
Das ist sehr wichtig, darum wurde ja zum Beispiel die Initiative für den Vaterschaftsurlaub lanciert. Ich finde das Ausspielen der beiden Geschlechter gegeneinander in den Medien, und die Fragen zu Männern im Feminismus ein bisschen mühsam. Der Feminismus ist eine Befreiungsbewegung aller Menschen. Es ist nicht falsch, dass hier auf die Frau fokussiert wird, denn in allen anderen Themen und Lebensbereichen werden Frauen immer noch massiv unterdrückt.
#womensmarch : wir stehen für eine sexismusfreie, gesellschaftsliberale und tolerante Gesellschaft. #smashpatriarchy pic.twitter.com/kpmsVWwN4r
— Luzian Franzini (@luzian_franzini) 18. März 2017
Es ist aber auch klar, dass dieses männliche Ideal von Menschen, die nie Schwäche zeigen, immer Vollzeit arbeiten, selbstbewusst, gefühlskalt und zielgerichtet sind, von wirklichen Männer gar nicht erreicht werden kann. Dieses Ideal soll dem kapitalistischen System zuträglich sein und den Profit maximieren. Es beutet den Menschen aus, bis er nicht mehr kann. Gegen dieses Ideal kämpft auch der Feminismus. Mein Feminismus ist deshalb auch antikapitalistisch.