Herr Franzini, angenommen, Geld spielt keine Rolle: Wie und wo würden Sie am liebsten wohnen?
Luzian Franzini: Ich würde am allerliebsten in einer Altbauwohnung mitten in einer Altstadt wohnen, wenn Geld keine Rolle spielt.
Und Sie, Herr Bächtold?
Leroy Bächtold: Ich glaube, bei mir hängt das etwas vom Alter ab. Momentan wohne ich in der Stadt Zürich und tue das sehr gerne. Da bin ich nahe beim Nachtleben, habe gute ÖV-Verbindungen. Aber wenn ich älter bin und eine Familie mit Kindern habe, würde ich in Küsnacht wohnen wollen. Am liebsten in einem Einfamilienhaus. Ich habe viele Freunde und Bekannte da. Es ist eine meiner Lieblingsgemeinden im Kanton.
Von einem Einfamilienhaus träumen gemäss Umfragen auch viele junge Leute. Mit Ihrer Initiative geben Sie Gegensteuer zu diesem Traum, Herr Franzini, indem Sie neue Bauzonen für Einfamilienhausquartiere verhindern.
Franzini: Im Jahr 2018 stieg der Leerbestand bei den Einfamilienhäusern auf 7200 Häuser. Ich weiss deshalb nicht, wie gross dieser Bedarf tatsächlich ist. Aber bei unserer Initiative geht es nicht darum, irgendjemandem vorzuschreiben, wo und wie er zu wohnen hat. Es wird auch in zwanzig Jahren noch Einfamilienhäuser für jene geben, die darin wohnen wollen. Aber die Initiative tut dort etwas, wo heute das Angebot nicht mit der Nachfrage mithalten kann. Sie fördert nachhaltige Quartiere und Wohnungen in den Städten.
Am meisten zu reden gibt die Forderung, die Gesamtfläche der Bauzonen auf dem heutigen Niveau einzufrieren. Ein ziemlich radikaler Ansatz. Wollen Sie die Schweiz um jegliche Entwicklungsmöglichkeiten bringen?
Franzini: Wenn man genauer hinschaut, ist diese Forderung nicht wirklich radikal. Es gibt heute bereits eine Reserve von ungenutzten Bauzonen von 400 Quadratkilometern. Das entspricht der anderthalbfachen Fläche des Kantons Schaffhausen! Wir verlangen einfach, dass man die zukünftige Entwicklung innerhalb der vorhanden Baulandreserven plant. Radikal ist es vielmehr, weiterhin zuzulassen, dass täglich acht Fussballfelder verbaut werden.
Weshalb?
Franzini: Boden ist ein begrenztes Gut, irgendwann stossen wir sowieso an eine Grenze. Wenn wir einfach immer weiter einzonen, wird es irgendwann keine produzierende Landwirtschaft mehr geben, keine Erholungszonen, sondern nur noch Beton. Mit unserer Initiative verhindern wir das, in dem wir diese Grenze heute selbstbestimmt definieren, zu einem Zeitpunkt, an dem wir die Entwicklung noch lenken können. Und diese Grenze ziehen wir anhand der heutigen Gesamtfläche aller Bauzonen.
Dank der 2013 angenommenen Revision des Raumplanungsgesetzes (RPG) nimmt die Gesamtfläche der Bauzonen nicht mehr zu, die Siedlungsfläche pro Kopf nimmt sogar leicht ab. Braucht es die Zersiedelungsinitiative überhaupt noch?
Franzini: Dass die Bauzonenfläche nicht mehr wächst, ist ein einmaliger Effekt der Umsetzung des RPG. Die Gemeinden müssen derzeit zu grosse Baulandreserven abbauen. Aber diese Entwicklung ist nicht nachhaltig. Sind diese überdimensionierten Baulandreserven einmal abgebaut, dürfen die Gemeinden wieder auf 15 Jahre hinaus neue Bauzonen schaffen. Dabei können sie selber wählen, von welchem Bevölkerungsszenario sie ausgehen wollen, und so dank bewusst übertriebenen Wachstumsprognosen extra grosse Bauzonen schaffen. Hinzu kommt – und das ist das Verheerende am RPG – dass die künftige Siedlungsentwicklung auf der vergangenen Siedlungsentwicklung beruht. Das heisst: Bereits stark zersiedelte Gemeinden profitieren davon. Einfach gesagt: Je schneller man zersiedelt, desto schneller darf man neue Bauzonen schaffen. Das wollen wir verhindern.
Herr Bächtold, das Nein-Lager beruft sich auf die Wirksamkeit des RPG. Ist das nicht Augenwischerei, weil Sie mit derzeit zwar vorhandenen, aber einmaligen Entwicklungen argumentieren?
Bächtold: Nein. Das RPG wird nachhaltige Verbesserungen bei der Raumplanung bringen und dafür sorgen, dass sparsamer mit dem Boden umgegangen wird als in der Vergangenheit. Die Siedlungsfläche pro Kopf wird weiterhin sinken. Aber natürlich werden, anders als es die Initiative verlangt, die Bauzonen nicht auf dem heutigen Niveau eingefroren. Das ist aber auch richtig so. 2018 wuchs die Schweizer Bevölkerung netto um 110’000 Personen, bis 2040 könnte sie auf 10 Millionen anwachsen. Für sie muss es, wenn notwendig, neues Bauland geben können. Frieren wir die Bauzonenfläche ein, verknappen wir das Angebot und damit steigen die Grundstückpreise und die Mieten für Privatpersonen und für das Gewerbe.
Franzini: Gerade wenn die Bevölkerung steigt, ist eine effiziente Raumplanung umso wichtiger, um Grün- und Landwirtschaftsflächen zu erhalten. Ich stimme dir zu, die Bevölkerung wird wachsen. Aber selbst das höchste Wachstumsszenario des Bundes, welches 2060 elf Millionen Einwohner vorsieht, könnte man mit unserer Initiative problemlos auffangen. Wir haben das berechnet: Mit einer moderaten Verdichtung, also wenn man ausserhalb von schützenswerten Ortsbildern um eine Etage aufstockt, kann dafür locker genügend Wohnraum geschaffen werden.
Herr Bächtold, jede Sekunde verschwindet in der Schweiz ein Quadratmeter Grünfläche. Macht Ihnen diese Entwicklung keine Sorge?
Bächtold: Das ist natürlich ein plakatives Bild, das die Initianten hier verwenden. Aber sie zeichnen ein stark überzeichnetes Bild von einer Schweiz, die kurz davor ist, eine Betonwüste zu werden. Die Zersiedelung ist ein Problem, da gebe ich Luzian recht. Aber die Initiative ist der falsche Weg, es anzupacken. Sie ist zu radikal.
Was wäre der richtige Weg?
Bächtold: Das revidierte Raumplanungsgesetz ist schon ein gutes Instrument. Und meiner Meinung nach gibt es bei der Verdichtung noch viel Potenzial. Hier müssen wir uns auf kantonaler Ebene die Baugesetze anschauen. Da gibt es zu viele Vorschriften, etwa bezüglich Schattenwurf oder Mindestabstand, die eine effiziente Verdichtung verhindern. Das wäre ein föderalistischer Ansatz, wie wir Jungfreisinnigen ihn fordern. Wir wollen nicht, dass jetzt einfach von Bern aus den Kantonen verboten wird, neue Bauzonen zu schaffen. Sie können von sich aus noch sehr viel tun für eine effizientere Verdichtung.
Franzini: Ich finde es erstaunlich, dass du als Jungunternehmer jetzt das RPG dermassen lobst. Gerade von gewerblicher Seite hiess es damals im Abstimmungskampf, ein Ja wäre katastrophal für die Schweiz und man solle doch am besten einfach weiterbauen wie bis anhin. Fakt ist: Seit den 70er-Jahren wird uns versprochen, man bekomme mithilfe der Raumplanung das Problem der Zersiedelung in den Griff. Doch alleine seit 1985 wurde noch einmal die Fläche des Genfersees zugebaut. Das ist sehr viel, wenn man bedenkt, dass zwei Drittel der Fläche der Schweiz Seen, Berge oder Wälder sind, die weder landwirtschaftlich noch zum Bauen genutzt werden können. Bei der Verdichtung hingegen haben wir, glaube ich, Gemeinsamkeiten, Leroy. Es gibt noch zu viele Hürden für nachhaltige Quartiere, da bleibt in den Kantonen viel zu tun. Wir geben mit unserer Initiative dem Bundesrat aber ein Instrument in die Hand, diese Verdichtung schweizweit zu fördern.
Bächtold: Beim Thema Verdichtung ist die Initiative sehr unverbindlich formuliert und beinhaltet keine wirksamen Instrumente.
Weshalb setzen Sie mit einer Initiative in der föderalistischen Schweiz auf der Bundesebene an statt in den Kantonen, Herr Franzini?
Franzini: Im 21. Jahrhundert muss man Raumplanung kantonsübergreifend denken. Mit der Zersiedelungsinitiative werden in der Verfassung die Grundsätze dafür festgeschrieben: Dass die Bauzonen nicht mehr ausgedehnt werden und nachhaltige Quartiere gefördert werden. Dafür braucht es eine nationale Strategie. In der Umsetzung der Initiative bleibt der Föderalismus gewährt: Es sind weiterhin die Kantone, welche Richtpläne ausarbeiten und die Gemeinden, welche Nutzungszonenpläne beschliessen.
Bächtold: Wenn den Kantonen in der Bundesverfassung verboten wird, neue Bauzonen zu schaffen, ist das ein ganz klarer Eingriff in den Föderalismus und bedeutet eine Schwächung ihrer Souveränität!
Franzini: Auch das geltende Raumplanungsgesetz macht den Kantonen Vorschriften. Sie müssen heute schon ihre Richtpläne durch den Bund bewilligen lassen.
Bächtold: Die Initiative mit dem Verbot von neuen Bauzonen würde eine viel radikalere Einschränkung der kantonalen Autonomie bedeuten. Richtlinien für Kantone aufstellen kann man nicht mit dem Verbot von neuen Bauzonen vergleichen.
Herr Franzini, die Initiative verlangt ja, dass für jede neue Bauzone an einem anderen Ort eine gleich grosse Fläche ausgezont wird. Sie lässt aber bewusst offen, wie und zwischen wem der Abtausch von Bauzonen stattfinden würde. Weshalb?
Franzini: Es ist in der Schweiz Tradition, dass Initiativen dem Parlament einen gewissen Spielraum bei der Umsetzung lassen. Der Grundsatz ist aber unmissverständlich: Kein Nettozuwachs bei den Bauzonen.
Welche Umsetzung würden Sie bevorzugen?
Franzini: Ganz persönlich fände ich am besten, wenn die Kantone ihre Richtpläne in Abstimmung mit den Prognosen des Bundes zur Bevölkerungsentwicklung ausgestalten würden. Neue Bauzonen könnten dort geschaffen werden, wo die Bevölkerung wächst, im Gegenzug würde Bauland dort ausgezont werden, wo die Bevölkerungszahl stagniert oder abnimmt. Denkbar ist aber auch, dass es beispielsweise eine Handelsplattform für Bauzonen gibt. Wir haben hier bewusst dem Parlament einen gewissen Spielraum gelassen und sind offen für die beste Lösung. Vielleicht gibt es bei der Umsetzung noch neue Ideen, auf die bisher niemand gekommen ist.
Angenommen, die Initiative wird angenommen und nach Ihren Wünschen umgesetzt. Nun kommt der Bund zum Schluss, in der Agglomeration Zürich brauche es neue Bauzonen, im Kanton Jura hingegen habe es zu viel ungenutztes Bauland. Was geschieht, wenn sich die Jurassier weigern, ihr freies Bauland den Zürchern abzutreten?
Franzini: Dieses Szenario ist für die nächsten Jahre sehr unrealistisch, weil alle Kantone momentan damit beschäftigt sind, ihre überdimensionierten Bauzonen abzubauen, wie es das RPG vorsieht. Derzeit haben die Gemeinden eher Mühe, die Landbesitzer zu entschädigen, deren Bauland sie auszonen müssen. Aber angenommen, ein solcher Fall eines Bauzonenabtauschs tritt ein: Ich glaube, es ist im grundsätzlichen Interesse der Politik und jedes Kantons und jeder Gemeinde, dass es dort Bauland gibt, wo es gebraucht wird. Und nicht dort, wo es nicht gebraucht wird. Werden Wohnungen und Häuser an Orten gebaut, wo sie dann leer bleiben, hat keiner der Beteiligten etwas davon. Ich bin deshalb sicher, man wird eine gute Lösung finden.
Bächtold: Die Initianten machen es sich etwas sehr einfach, dass sie die Frage der Umsetzung bei diesem zentralen Aspekt der Initiative dermassen offen lassen. Das Einfrieren der Bauzonen auf dem heutigen Niveau könnte in einigen Jahrzehnten tatsächlich zu heftigen Konflikten zwischen den Kantonen führen. Wie willst Du einem Walliser erklären, dass er nichts mehr bauen darf und seine Bauzonen an die «Üsserschwyzer» abtreten muss?
Franzini: Auch das heutige Raumplanungsgesetz zwingt die einzelnen Kantone bereits dazu, Bauzonen abzubauen. Im Fall des Wallis, welches das RPG als einziger Kanton abgelehnt hat, auch gegen den Willen einer Mehrheit der dortigen Bevölkerung. Da wäre die Initiative nichts Neues.
Bächtold: Aber diese Spannungen werden sehr viel intensiver werden, wenn die Bauzonenfläche eingefroren ist. Das Wallis wird mit dem erwarteten Bevölkerungswachstum in Zukunft einmal wieder Bauzonen benötigen.
Herr Bächtold, die Initiativgegner warnen vor steigenden Mieten, sollte die Initiative angenommen werden. Ist das nicht etwas alarmistisch, angesichts von 400 Quadratkilometern ungenutzter Baulandreserven?
Bächtold: Überhaupt nicht. Das Bevölkerungswachstum ist auf absehbare Zeit nicht endlich. Das heisst, wir haben es beim Wohnraum mit einer immer weiter steigenden Nachfrage zu tun, während das Angebot mit der Initiative auf dem heutigen Niveau eingefroren würde. Steigende Nachfrage, stagnierendes Angebot: Es ist ganz simple Volkswirtschaft, dass das zu steigenden Preisen, in diesem Fall steigenden Mieten, führen wird.
Franzini: Diese Rechnung geht nicht auf. Beim Angebot ist ja für die Höhe der Mieten entscheidend, wie viele Quadratmeter freie Wohn- und Gewerbeflächen auf dem Markt vorhanden sind. Und nicht, wie viele Quadratmeter Boden dafür zubetoniert werden.
Eine Verknappung der Ressource Boden sorgt Ihrer Meinung nach nicht zu steigenden Mieten?
Franzini: Nein. Wenn man auf dem gleichen Quadratmeter Boden mehr Wohnfläche schafft, steigen die Mieten nicht. Wenn wir pro Quadratmeter Boden mehr Wohn- und Gewerbeflächen schaffen – und erst noch dort, wo sie nachgefragt werden – wird das Angebot ausgeweitet, nicht verknappt. Heute gibt es in den Städten einen Angebotsmangel, weshalb dort die Mieten steigen, während auf dem Land 70’000 Wohnungen leer stehen. Wir haben mit der heutigen Raumplanung zu wenig Druck für einen wirklich effizienten Umgang mit dem Boden. Weil jeder weiss, dass einfach neues Bauland eingezont wird, wenn die heutigen Bauflächen nicht mehr ausreichen.
Bächtold: Es wird schon heute nicht einfach grundlos Boden zubetoniert, denn er ist ja nicht gratis. Investoren überlegen sich ganz genau, wie sie eine optimale Verdichtung erreichen können, bei der gleichzeitig die Rendite stimmt. Sie bauen also auf einer möglichst kleinen Bodenfläche jene Art von Häusern oder Wohnungen, die ein optimales Verhältnis von Mieten und Kosten zulassen. Wird die Bauzonenfläche eingefroren, verschiebt sich diese Gleichung zu Ungunsten der Mieter und die Miete steigt.