
Sag das doch deinen Freunden!
Der Raum sieht ein bisschen aus wie ein gut eingerichtetes Studenten-Kaffee. Allerdings sitzen hier vor allem ehemalige Studenten. Und sie schlürfen nur gelegentlich an einem Kaffee. Denn sie sind hier, um zu arbeiten. Aber – und das ist das Spezielle – sie gehören nicht zur selben Firma. Sie haben sich hier, im Westen von Zürich, in das loft-artige Büro eingemietet. Manche für mehrere Monate, einige nur für einen Tag.
Co-working heisst das Zauberwort. Und Jürg Rohner hat das Büro der Zukunft vor neun Jahren in die Schweiz gebracht. Mittlerweile stellt er in seinem Co-working-Office auf einer Fläche von 740 Quadratmetern Arbeitsplätze plus Infrastruktur zur Verfügung. Mehr als 800 Co-worker gingen bei ihm auf dem Steinfels-Areal in Zürich-West schon ein und aus.
Was braucht es für das perfekte Büro?
Jürg Rohner: Eine witzige Infrastruktur ist wichtig. Bei uns kommt das Mobiliar hauptsächlich aus Brockenhäusern. Weiter ist eine gute Kaffeemaschine unersetzlich. In unserem Büro stehen sieben hochwertige Maschinen, für diese kaufen wir beste Bohnen. Ein Tisch, der nicht wackelt und Spielzeuge wie ein Töggelikasten, ein Basketballkorb, ein Pingpong-Tisch plus eine Dachterrasse sorgen zudem für eine Atmosphäre, in der kreativ und effizient gearbeitet werden kann.
Sie haben jetzt ausschliesslich über die Ausstattung des Büros geredet. Spielt der Standort keine Rolle?
Doch. Auf jeden Fall. Der Standort ist zusammen mit der Atmosphäre im Büro das wichtigste. Citizen Space liegt im Steinfels-Areal in Zürich-West. Hätte ich mein Co-working nur schon in Zürich-Altstetten, hätte ich ein Problem. In Zürich-West kann man auch im Winter, wenn es trüb ist, aus mehreren Beizen auswählen. Im Sommer ist die Lage mit dem Letten-Bad und der Josefswiese sowieso beinahe perfekt. Was ich noch vergessen habe zu erwähnen, was heute unverzichtbar ist, ist schnelles Wifi. Ohne ein solches kommt niemand mehr.
Eine gute Kaffeemaschine und schöne Möbel gibt es auch in Grossraumbüros etlicher Firmen. Was genau sind die Vorteile von Co-working?
Das grösste Kapital sind unsere Mieter. Sie sind alle selbständig und geben Vollgas. Sie sitzen nicht im Grossraumbüro einer Firma, weil sie hier besser arbeiten können. Es gibt keine Chefs, die von Tisch zu Tisch gehen und fragen, «Wie geht es?», «Was machst du?». Das wird sehr geschätzt. Zudem können sie sich austauschen mit Menschen, die sie kaum kennen, mit Leuten, die nicht aus ihrer Branche sind. Oft beobachte ich, wie neue Mieter bereits nach wenigen Stunden ihr Laptop drehen und den Tischnachbar um seine Meinung fragen. Dadurch können sie ihre Ideen fast schon 1:1 am Markt testen – und eben nicht beim immer selben Arbeitskollegen, der sowieso immer alles gut findet.
Das können sie doch heute von zuhause aus tun, indem sie ihre Ideen ins Internet stellen und dann nicht nur eine, sondern Dutzende Meinungen bekommen. Warum brauchen junge Leute heute überhaupt noch ein Büro?
Sie suchen die soziale Nähe. Sie sind zwar über die sozialen Medien stark vernetzt, der direkte Kontakt zu Menschen fehlt aber, wenn sie nur von zuhause aus arbeiten. Im Co-working finden sie Gleichgesinnte, mit denen sie sich austauschen können. Sie können kommen und gehen, wann sie wollen. Im Gegensatz zur klassischen Bürogemeinschaft haben sie aber null Pflichten und keine Verbindlichkeiten.
Homeoffice ist also tot?
Es gibt immer noch Leute, die das tun. Aber es funktioniert nicht, das kann man heute sagen.
Weshalb?
Weil man Zuhause überhaupt nicht produktiv arbeiten kann. Man ist durch alles Mögliche abgelenkt. Die Leute staubsaugen oder enteisen ihren Kühlschrank, statt zu arbeiten. Ich machte selber fünf Jahre lang Homeoffice, ich weiss, wovon ich spreche. Weil man niemanden sieht, verkümmert man irgendwann beinahe und ist dann am Abend ständig im Ausgang, um das Soziale nachzuholen. Dass die Arbeitsleistung dadurch am nächsten Tag nicht besser wird, versteht sich von selber. Ich bin mir sicher, Homeoffice wird schon bald tot sein.
Man könnte ja auch einfach in einem Café mit schnellem Wifi arbeiten.
In der Beiz ist das Problem, dass man ständig etwas bestellen muss und immer andere Leute kommen. Es ist zu unruhig. Und im Sommer draussen arbeiten funktioniert übrigens auch nicht. Ich sage nur drei Stichworte: Mücken, Wespen und Sonnenstrahlen auf dem Bildschirm.
Mittlerweile sind Sie nicht mehr der Einzige, der Co-working anbietet. Die meisten Co-workings findet man allerdings in grösseren Städten. Hat das Modell auch eine Chance ausserhalb von Zürich oder Genf?
Auf jeden Fall. Ich denke, Co-workings sind erst am Anfang und werden sich rasch in die Agglomerationen und auch in kleinere Orte ausbreiten. Durch Co-working könnte man das Problem der ständig wachsenden Pendler-Ströme eindämmen. Statt dass all die Menschen, die immer weiter weg von Städten auf dem Land wohnen, jeden Tag in die Städte zu den Büros grosser Konzerne fahren, könnte man Co-workings näher bei den Menschen bauen. Es ist schlicht nicht nötig, dass sämtliche Mitarbeiter einer Firma im selben Haus arbeiten.
Wie lange bleiben die Leute im Durchschnitt bei Ihnen im Co-working?
Mehr als zwei Jahre bleibt fast niemand. Im Schnitt mieten sie sich 14 Monate ein. Entwickler zum Beispiel, die klein anfangen, wachsen rasch. Sobald sie mehr als vier Personen sind, mieten sie etwas eigenes, bauen eine eigene Firmenkultur auf. Ab dieser Grösse sind sie so oder so unter sich, tauschen sich mit anderen nicht mehr aus.
Aus was für Branchen kommen die Kunden, die sich bei Ihnen einmieten?
Die Entwickler aus der IT-Branche machen 50 Prozent aus. Die andere Hälfte sind Architekten, Designer, Webdesigner, Kommunikationsfachleute, Consulting-Leute. Wir haben aber auch Wissenschafter. Die Durchmischung ist sehr gut.
Wie viele von Ihren Mietern sind im Schnitt auch wirklich im Büro?
Zwischen 40 und 50 Prozent. Einige kommen nur am Montag oder am Nachmittag, andere ausschliesslich am Donnerstag und Freitag. Alle haben ein flexibles Ticket. Das heisst, sie können rein und raus, wann immer sie wollen. Sie zahlen eine flexible Miete und haben 7x24 Stunden Zutritt und Zugriff auf die gesamte Infrastruktur.
Sie machen das Ganze nun schon seit neun Jahren. Wie hat sich das Geschäft verändert?
Es sind die Mieter, die sich verändert haben. Am Anfang hatte ich 50 Prozent Grafiker. Dann kam die erste Generation Entwickler, das waren richtige Nerds. Und jetzt ist die zweite, dritte, vierte Generation Entwickler da. Die sind ganz anders. Die sind kreativ, witzig, diese Branche hat sich extrem gewandelt. Die Entwickler sind heute erfolgreich, es herrscht Goldgräberstimmung. In dieser Branche macht man sich rasch selbständig, deshalb sind so viele bei uns.
Früher rauchte man im Büro, dann kamen die ersten Computer, das Laptop, das Smartphone: Wie sehen unsere Büros in 10, in 50 Jahren aus?
Ich denke, bei den Selbständigen, den Nomaden und den Start-ups wird sich Co-working etablieren. Bei den grossen Firmen sehe ich grosse Veränderungen. Sie leiden unter ihrer Statik und darunter leidet der Innovationsgeist. Das Zutrittsmodell, die fixe Infrastruktur, alles ist arbeitsfeindlich. Da müssen Grossfirmen ansetzen. Spaziere ich durch ein Grossraumbüro eines Konzerns, sehe ich Mitarbeiter, die herumschlarpen und stöhnen und eigentlich einfach möglichst rasch nach Hause wollen. Wie die Büros in Zukunft aussehen werden, kann ich nicht sagen. Aber ich denke, Büros werden sich dahin entwickeln, dass sie gemütlicher, menschenfreundlicher sein werden – und kleiner. Ich bin überzeugt, dass der Mensch nur gute Leistung bringen kann, wenn er sich wohl fühlt.