Man könnte den Eindruck gewinnen, im Norden der Schweiz bahne sich etwas Ungeheuerliches an. In den sozialen Medien tobt ein Shitstorm. Eine Bewohnerin ruft die Justiz an, um das Geplante in letzter Sekunde zu verhindern. Und ein Pfarrer will sich selbst auspeitschen, um gegen die «entwürdigende Veranstaltung» zu protestieren. Anlass ist nicht etwa ein satanistisches Kultritual. Nein: In der Baselbieter Gemeinde Sissach sollen am Samstag zwei Schweine geschlachtet werden.
Ihnen blüht damit dasselbe Schicksal wie über 2’750’000 anderen Schweizer Schweinen dieses Jahr auch. Oder rund 7500 am Tag, Wochenenden und Feiertage inklusive. Andere Tierarten exklusive. Nur, dass die Säue für einmal nicht hinter den dicken Mauern der Schlachthöfe sterben, sondern in der Öffentlichkeit. Bolzenschuss, Kehlenschnitt, Ausweidung, Verarbeitung zur Wurst: Alles soll vor den Augen des Publikums geschehen, jeder Schritt von Fachleuten begleitet und erklärt.
Als Metzgermeister Rolf Häring die Absicht formulierte, der Bevölkerung «das traditionelle Handwerk der Hausmetzgete» wieder näher zu bringen, ahnte er wohl nicht, was er damit auslösen würde. Der Schweizer Tierschutz prangerte die «Show-Metzgete» an. Sorgen um Kinder und betreffend Hygiene wurden geäussert. Und der eingangs erwähnte Dorfpfarrer kritisierte, die «Belustigung der Bevölkerung» sei grausam und gehöre ins letzte Jahrhundert.
Das ist, mit Verlaub, Schwachsinn. Noch nie war Fleisch für die breite Masse erschwinglicher als heute, und noch nie war das Töten der Tiere gleichzeitig so weit weg. Noch nie war die Diskrepanz grösser zwischen jenen, die im Discounter zum vakuumierten Drei-Franken-Steak greifen und jenen, die die Nutztierhaltung am liebsten abgeschafft sähen. Ein Realitätsabgleich, wie ihn der Metzgermeister von Sissach plant, kommt da wie gerufen.
Es spielt dabei keine Rolle, ob man aus der Warte des Veganers oder des leidenschaftlichen Fleischliebhabers argumentiert. Die Tabuisierung eines Vorgangs, der sich in der Schweiz täglich 7500 Mal abspielt, ist feige und kontraproduktiv.
Feige, weil so eine ehrliche Debatte abgewürgt wird. Wer in Hysterie verfällt beim Gedanken, dass Kinder mit dem Tod eines Nutztiers konfrontiert werden, wer aus Angst vor Keimen bereits nach dem Mundschutz greift, wer schrill die Missachtung der Tierwürde beklagt, verleugnet, was hinter den Mauern der Schlachthöfe im Akkord geschieht. Wie viel bequemer ist es, einfach in den Chor der Empörten einzustimmen, wenn der nächste Fleischskandal ans Licht kommt!
Kontraproduktiv, weil nicht einmal der Versuch unternommen wird, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Die Tierschützer können sich auf die Schulter klopfen, weil sie sich für die Würde der Schweine stark gemacht haben. Und Fans von Billig-Fleisch müssen den automatisierten Griff zum Drei-Franken-Steak auch künftig nicht überdenken. Die Bubble bleibt intakt.
Die wirklich unbequemen Fragen bleiben unangetastet: Mundet mir die Wurst auch noch, wenn ich das Schwein vor seinem Tod quieken gehört habe? Oder ist dies gerade die Voraussetzung dafür, dass ich sie mit gutem Gewissen geniessen kann? Ist es in Ordnung, dass ich Fleisch aus ausländischer Billigproduktion kaufe, wenn ich schon eine Schlachtung nach Schweizer Tierschutz-Standards kaum ertrage? Oder: Gehört der Fleischkonsum zum zivilisierten Menschen und die Hausmetzgete als Tradition bewahrt?
Am Samstag wird übrigens niemand zufällig Zeuge eines blutigen Spektakels. Die beiden Schweine werden auf einem Privatareal in einem Zelt getötet. Eltern dürfen ihre Kinder auf das Gelände mitnehmen. Die Organisatoren rufen sie aber dazu auf, sich den Besuch «gut zu überlegen».