Erst sah es nach einer Sensation aus. Dann nach einer Überraschung. Am Ende war es Business as usual: Die Volksinitiative «für Ernährungssouveränität» und die Fair-Food-Initiative wurden klar abgelehnt. Ungewöhnlich ist höchstens die Deutlichkeit des Meinungsumschwungs. In den ersten Umfragen waren die Agrarinitiativen auf Ja-Anteile von 70 Prozent und mehr gekommen.
Offensichtlich existiert in der Schweizer Bevölkerung ein tief sitzendes Unbehagen über die Landwirtschaftspolitik. Allerdings nicht tief genug, um die Sorgen über das eigene Portemonnaie zu verdrängen. Vermutlich hat primär die Angst vor höheren Preisen zum Umdenken geführt. Die grosse Ausnahme ist die Romandie, wo bäuerliche Anliegen beträchtliche Sympathie geniessen. In Jura, Neuenburg, Genf und Waadt wurden die Initiativen teils deutlich angenommen.
Dabei gibt es genug Gründe, warum die Ablehnung der beiden Initiativen gerechtfertigt ist. Das gilt besonders für die Ernährungssouveränität. Das Volksbegehren der Bauerngewerkschaft Uniterre erinnerte mit der Forderung nach gerechten Preisen oder einer Mengensteuerung an die glücklicherweise überwundene Planwirtschaft von einst. Durchschaubar war auch der Versuch, das Stimmvolk mit einem Gentechverbot zu ködern.
Mit der Fair-Food-Initiative der Grünen hingegen können sich viele grundsätzlich identifizieren. Ihr Anliegen, dass Lebensmittel «umwelt- und ressourcenschonend, tierfreundlich und unter fairen Arbeitsbedingungen hergestellt werden», ist berechtigt. Allerdings verhielten sich die Initianten taktisch ungeschickt, etwa indem sie einräumten, dass die Preise steigen könnten. Oder ihre Forderung relativierten, dass importierte Lebensmittel «Schweizer Standards» entsprechen sollten.
Der Weg zu fair und nachhaltig produzierten Nahrungsmitteln führt ohnehin nicht über den Stimmzettel, sondern den Kassenzettel. Wir können beim Einkaufen nach Bio- und Fair-Trade-Erzeugnissen greifen. Oder beim auswärts Essen darauf achten, woher das Restaurant seine Produkte bezieht und unter welchen Umständen sie hergestellt wurden.
Das Nein zu Fair Food deutet darauf hin, dass dieser Weg noch ziemlich weit ist. Die Bauern können dazu beitragen, indem sie das Angebot an qualitativ hochwertigen und vielfältigen Produkten weiter ausbauen. Das geschieht nicht, indem man das Rad der Zeit zurückdreht. Vielmehr muss die insgesamt bewährte Reformpolitik der letzten Jahrzehnte weitergeführt werden.
Was nicht heisst, dass in der Schweizer Landwirtschaft alles perfekt läuft. Obwohl die Bauern vermehrt Direktzahlungen für den ökologischen Ausgleich erhalten, schwindet die Biodiversität rapide. Auf dieses Problem aber hatten die gescheiterten Agrarinitiativen höchstens am Rand eine Antwort. Die Trinkwasser- und die Pestizid-Initiative sind als Druckmittel besser geeignet.
Bleibt die Frage, warum die beiden Initiativen in den ersten Umfragen so positiv bewertet wurden. Die oft erwähnte Sorge um die Qualität unserer Ernährung spielt kaum die zentrale Rolle. Vielmehr drängt sich der Verdacht auf, dass die Sehnsucht nach einer scheinbar unverfälschten ländlichen Idylle umso grösser ist, je mehr das Schweizer Mittelland zersiedelt und zubetoniert wird.
«In uns allen steckt ein Bauer», sagte der frühere Aargauer Regierungs- und Ständerat Thomas Pfisterer (FDP) mir gegenüber schon vor vielen Jahren. Als Jurist und ehemaliger Bundesrichter hatte er keine sehr enge Beziehung zur Landwirtschaft. Die Schweiz, ein Volk der virtuellen Hirtenknaben und -mädchen? Es wäre eine seltsame und bizarre Ironie, denn wirklich so leben wollen die wenigsten von uns. Und den heutigen Bauern ist damit sicher nicht geholfen.