Beziehungen sind Privatsache – meint man. Wenn diese aber am Arbeitsplatz stattfinden, kann es kompliziert werden. Das zeigt sich aktuell am Fall des Nestlé-Chefs Laurent Freixe, der seinen Posten per sofort räumen musste, nachdem ihm ein Verhältnis mit einer ihm unterstellten Mitarbeiterin nachgewiesen wurde.
Was müssen Personen beachten, die sich am Arbeitsplatz verlieben? Die Arbeitsrechtsexpertin Susanne Raess klärt auf.
Das Liebesleben von CEOs zieht immer wieder Kündigungen nach sich – kürzlich etwa beim CEO und der HR-Chefin von Astronomer oder nun beim CEO von Nestlé. Wieso?
Susanne Raess: Wir reden hier von einer sehr hohen Hierarchiestufe, dort gelten andere Regeln als für «normale» Angestellte. Ein CEO hat gegenüber dem Unternehmen eine erhöhte Treuepflicht. Generell gilt: Je höher die Stellung, desto grösser sind die Anforderungen. Von einem CEO wird erwartet, dass er ein «sauberes» oder am besten ein langweiliges Privatleben hat. Dabei geht es vor allem um die Aussenwirkung. Keine Firma möchte, dass öffentlich über das Liebesleben ihres CEOs diskutiert wird.
Warum? Hat ein CEO kein Anrecht auf ein Privatleben?
Natürlich – auch CEOs sind ganz normale Menschen. Wenn ein CEO aber mit einer Beziehung und nicht mit dem Geschäftsinteresse in Verbindung gebracht wird, ist das schlecht fürs Unternehmen. Denn es wird erwartet, dass sich ein CEO primär ums Geschäft kümmert und nicht um das Privatleben. Private Liebschaften können für ein börsenkotiertes Unternehmen schnell zum Reputationsrisiko werden. Das gilt nicht nur für Liebesbeziehungen. Auch wenn Kadermitarbeitende bei den Steuern mogeln, ihre Haushaltskräfte nicht legal abrechnen oder Fahrerflucht begehen, ist das schwerwiegender, als wenn ein normaler Mitarbeiter das macht.
Abgesehen vom Reputationsschaden – ist es problematisch, wenn CEOs Liebesbeziehungen am Arbeitsplatz eingehen?
Beziehungen auf Kaderstufe werden dann problematisch, wenn das Team oder die Öffentlichkeit Entscheidungen hinterfragt, die die involvierten Personen treffen. Arbeitsbezogene Entscheidungen müssen immer unbeeinflusst von den persönlichen Gefühlen bleiben. Oft kommt zudem ein grosses Abhängigkeitsverhältnis hinzu, wenn die andere Person viele Hierarchiestufen unter dem CEO steht. Die tiefer gestellte Person muss in diesem Fall auch geschützt werden, sodass ihr keine Nachteile aus der Beziehung erwachsen.
Wie sieht es bei «normalen» Angestellten aus: Was müssen Leute beachten, wenn sie sich am Arbeitsplatz verlieben?
Es ist völlig normal, dass sich Menschen am Arbeitsplatz verlieben, das passiert einfach. Wenn das geschieht, müssen sich die Beteiligten zunächst überlegen, zu welchem Zeitpunkt sie die Beziehung offenlegen. Wie Mitarbeitende mit Beziehungen umgehen, hat viel mit der jeweiligen Firmenkultur zu tun. Wenn Mitarbeitende merken, dass eine offene Diskussion und verträgliche Lösungen möglich sind, sind sie eher bereit, selbst transparent zu sein.
Wie sollten Vorgesetzte reagieren, wenn sie von einer Beziehung unter Mitarbeitenden erfahren?
Korrekt wäre, dass eine vorgesetzte Person bei den Betroffenen nachhakt, wenn Gerüchte kursieren. Danach muss sie entscheiden, ob die Berufsausübung tangiert ist, ob es Probleme mit Firmengeheimnissen gibt und ob eine Person der anderen vorgesetzt ist. Wenn alle diese Fragen mit «Ja» beantwortet werden, ist es denkbar, dass eine oder sogar beide Personen gehen müssen. Das ist aber sicherlich nicht in jedem Fall gerechtfertigt. Für Arbeitgebende ist es aber wünschenswert, wenn Mitarbeitende ihre Beziehung offenlegen. Nur so können sie reagieren, Massnahmen treffen – und damit auch Unterstellungen entgegenwirken.
Gibt es auch ein Recht auf Geheimhaltung oder muss eine Beziehung am Arbeitsplatz immer offengelegt werden?
Es kommt auf den Einzelfall an. Wenn Sie eine Person aus einer anderen Abteilung kennenlernen, müssen Sie das nicht unbedingt melden. Wenn Sie aber mit einer Person zusammen sind, die im selben Team arbeitet, die Ihnen vorgesetzt oder Ihnen unterstellt ist, dann sollten Sie das transparent machen. Grundsätzlich gilt: Je näher die Personen miteinander zu tun haben, desto eher muss man darüber reden. Rechtlich ist es aber immer eine Abwägung.
Ich höre heraus, dass Liebesbeziehungen am Arbeitsplatz rechtlich nicht wirklich geklärt sind.
Das stimmt. Arbeitgebende können die Treuepflicht sehr unterschiedlich auslegen. Viele grössere Unternehmen haben zusätzlich sogenannte Compliance-Vorschriften. Diese sind aber häufig nicht sehr konkret und schlecht auf den Einzelfall anwendbar. In den Richtlinien von Nestlé steht zum Beispiel nur, dass Interessenkonflikte verhindert werden müssen – das ist Auslegungssache.
Gibt es Branchen, in denen Liebesbeziehungen unter Mitarbeitenden besonders heikel sind?
Ja. Wenn Sie zum Beispiel in einer öffentlichen Verwaltung arbeiten, die Aufträge vergibt oder Bewilligungen erteilt – finanziert von Steuergeldern. Das ist sicherlich heikler, als wenn Sie in einer privaten Firma arbeiten.
Kann man sich rechtlich dagegen wehren, wenn einem wegen eines persönlichen Verhältnisses gekündigt wird?
Man müsste prüfen, ob die Kündigung missbräuchlich ist. Wenn eine Firma aber mit einem Reputationsrisiko argumentiert, denke ich, dass eine Kündigung rechtlich abgedeckt ist.
Nicht nur Liebesbeziehungen, auch Freundschaften können Interessenkonflikte zur Folge haben. Von CEOs, denen wegen Freundschaften gekündigt wurde, hört man allerdings selten.
Das stimmt. Es ist vielleicht auch falsch, dass man Freundschaften anders behandelt. Auch enge Freundschaften können firmenintern zum Problem werden. Ich habe im Laufe meines Berufslebens Fälle erlebt, in denen Personen, die zusammen arbeiteten, auch zusammen Tennis gespielt haben oder sogar zusammen in die Ferien gegangen sind und dann auch im Arbeitskontext eine Einheit gebildet haben. Das führt aber kaum zu Kündigungen. Die Aussenwirkung ist eine andere, sobald eine sexuelle Beziehung im Spiel ist. Das hat aber gesellschaftliche und nicht rechtliche Gründe.
Wir haben ein Jahr auf derselben Abteilung gearbeitet, dann hat er gewechselt.