Schweiz
Luftfahrt

Swiss übt Kritik: Kosten für verspätete Flüge haben sich verdoppelt

ARCHIVBILD - DER FLUGHAFEN ZUERICH ERZIELT IM ERSTEN HALBJAHR EINEN GEWINN VON 143,2 MIO. FRANKEN. VON JANUAR BIS JUNI 2017 NUTZTEN 13,7 MIO PASSAGIERE DEN FLUGHAFEN. - Blick auf den Flughafen Zuerich ...
Ein Swiss-Flieger über dem Flughafen Zürich.Bild: KEYSTONE

Jeder vierte Swiss-Flug ist verspätet – das wird teuer

Diesen Sommer erzielten der Flughafen Zürich und die Swiss Rekordwerte bei den Passagierzahlen. Doch das Wachstum sorgt zunehmend für Verspätungen. Die Swiss sieht dafür verschieden Gründe – und stellt nun Forderungen.
18.09.2018, 16:0618.09.2018, 17:21
Benjamin Weinmann / az aargauer Zeitung
Mehr «Schweiz»

Die negativen Folgen des brummenden Ticketverkaufs werden zunehmend zur Belastung, wie die Swiss in einem Lobbying-Schreiben festhält, deren rund 2000 gedruckte Exemplare laut einer Sprecherin an «ausgewählte Entscheidungsträger in Wirtschaft und Politik» versandt wird.

Demnach hob diesen Sommer jedes vierte Swiss-Flugzeug mit einer Verspätung von mindestens 16 Minuten ab. Mit der Folge, dass viele Passagiere ihren Anschlussflug verpassten und somit an Flughäfen strandeten, auf einen anderen Flug gebucht oder in einem Hotel untergebracht werden mussten.

«Voller geht fast nicht mehr»
Die Auslastung der Swiss-Flieger im Juli: 89,5 Prozent.

Und das geht ins Geld: «Die Kosten für die Betreuung dieser Passagiere haben sich im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt», schreibt die Lufthansa-Tochter. Wie hoch die Kosten in Franken sind, verrät eine Sprecherin auf Nachfrage nicht.

Die Kosten würden aber von der Airline selbst getragen, sie seien nicht versichert. Bereits jetzt lasse sich sagen, dass der angestrebte Pünktlichkeitswert von 80 Prozent in Zürich in diesem Jahr nicht mehr erreicht werden könne. Dabei hatte sich dies Swiss-Chef Thomas Klühr dieses Ziel bei seinem Amtsantritt 2016 auf die Fahne geschrieben (die «Nordwestschweiz» berichtete).

Das Problem ist das rasante Wachstum. Von Brindisi, über Barcelona bis nach Bangkok: Diesen Sommer wurden so viele Schweizerinnen und Schweizer vom Reisefieber gepackt wie noch nie. So nutzten im Juli mehr als drei Millionen Passagiere den Flughafen Zürich – mehr denn je in einem einzelnen Monat.

ARCHIVBILD ZUM HALBJAHRESERGEBNIS 2018 DER FLUGHAFEN ZUERICH AG, AM DIENSTAG, 28. AUGUST 2018 ---- Parked Swiss International Air Lines airplanes at Zurich Airport in Kloten, Switzerland, photographed ...
Swiss-Flieger am Flughafen Zürich.Bild: KEYSTONE

Die Anzahl Tage, an denen mehr als 100‘000 Passagiere abgefertigt wurden, hat sich diesen Sommer verdoppelt. Und auch die Airline selbst vermeldet Rekordwerte. Die Anzahl Passagiere nehme kontinuierlich zu, im Juli habe die Auslastung der Flüge 89,5 Prozent betragen. «Voller geht fast nicht mehr.»

Passagiere haben Anspruch auf Millionen

Unter dem Strich dürfte gar mehr als eine Verdoppelung der Verspätungskosten resultieren, wie die Swiss schreibt. Denn: «Eingerechnet sind weder Ausgleichszahlungen, die gegebenenfalls nach EU-Recht geltend gemacht werden können, noch der Reputationsschaden für die Swiss und den Flughafen Zürich.»

Tatsächlich sind in den vergangenen Jahren zunehmend Firmen entstanden, welche den Passagieren helfen beim Einfordern ihrer Entschädigung, die ihnen aufgrund von Verspätungen zusteht.

Wie der «Blick» gestützt auf Angaben des Passagier-Helferportals Airhelp kürzlich berichtet, führten 2018 rund 2500 verspätete oder annullierte Flüge aus und in die Schweiz zu verpassten Anschlussflügen. Daraus resultiert für Schweizer Fluggäste ein Anspruch auf Entschädigung in der Höhe von über 143 Millionen Franken.

Ab einer Verspätung von drei Stunden haben Flugpassagiere Anrecht auf eine Entschädigung von bis zu 600 Euro – eine EU-Rechtsprechung, gegen die sich die Swiss, welche im ersten Halbjahr 2018 einen Gewinn von 330 Millionen Franken erwirtschaftete, zu wehren versucht.

Designer Luigi Colani, 9.v.l., der Entwerfer der neuen Swissair-Uniformen, posiert im Januar 1990 am Flughafen Zuerich Kloten mit von ihm ausstaffierten Piloten und Stewardessen. (KEYSTONE/Str)
Früher war mehr Platz: Swissair-Mitarbeiter und der Uniformen-Designer Luigi Colani, 9.v.l., 1990 in Zürich.Bild: KEYSTONE

Keine Puffer in Zürich

Laut Swiss ist das grosse Problem bei den Verspätungen, dass sie nicht nur einzelne Flüge treffen, sondern das ganze System, das von Abhängigkeiten geprägt sei: «Verspätet sich der eine Flug, fehlen Maschine, Crew und allenfalls Umsteigepassagiere für den nächsten Flug.» In Zürich sei der Flughafenbetrieb äusserst fragil, da Puffer fehlen würden. Linderungen seien aufgrund der langsamen Politmühlen erst in acht bis zehn Jahren zu erwarten.

Die Swiss räumt ein, dass diesen Sommer zahlreiche exogene Faktoren zu den europaweiten Verspätungen geführt haben. Da wäre das Wetter mit den zahlreichen Sommergewittern gewesen, sowie Arbeitsniederlegungen.

Hauptgrund für Verspätungen: Streiks

«Streiks von Fluglotsen, insbesondere in Frankreich, haben ein bisher nie gekanntes Ausmass erreicht und sind mit Abstand die wesentlichste Ursache für Verspätungen.» Hinzu kämen fehlende personelle Ressourcen bei Flugsicherungen in Schweizer Nachbarstaaten.

Der grösste Bremsklotz sind laut Swiss allerdings strukturelle Probleme. So stehe man in Europa nach Jahren beim Projekt «Single European Sky» noch immer am Anfang. Dieses soll die Flugsicherung vereinheitlichen und vereinfachen, und somit auch ökologische Verbesserungen mit sich bringen.

Der Friedhof der Flugzeuge

1 / 10
Der Friedhof der Flugzeuge
Rund 250 Flugzeuge warten bei Victorville in der kalifornischen Mojave-Wüste auf einen neuen Einsatz oder auf ihr Ende.
quelle: x90050 / lucy nicholson
Auf Facebook teilenAuf X teilen

Doch nationale und gewerkschaftliche Interessen würden den Fortschritt verhindern, so die Airline. Dabei wäre ein Handeln dringend nötig, da laut Experten das heutige Flugsicherungssystem mittel- bis langfristig nicht in der Lage sein wird, das erwartete Wachstum von 3 Prozent pro Jahr zu bewältigen.

Der diesjährige Sommer habe das politische Dilemma offensichtlich gemacht, schreibt die Swiss. «Die Nachfrage nach Flügen steigt, die volkswirtschaftliche Bedeutung nimmt in der globalisierten Wirtschaft zu, gleichzeitig ist das heutige System kaum mehr in der Lage, einen zuverlässigen Betrieb zu gewährleisten. Kurzfristig zum Ärger der Passagiere, langfristig zulasten des Wohlstands.» Es brauche deshalb Visionen und mutige Entscheidungen. Die Zeit der «Pflästerlipolitik» sei vorbei.

Flughafen Zürich plant Neubau

Doch grössere Infrastrukturmassnahmen benötigen Zeit: So plant der Flughafen Zürich den Bau eines grösseren Terminal 1 (die «Nordwestschweiz» berichtete). Der Spatenstich ist – Stand heute – per 2021 vorgesehen, mit einer Fertigstellung wird allerdings erst 2030 gerechnet.

Die Flughafenbetreiber rechnen damit, dass die Passagierzahl in Zürich bis dann von heute 29 auf 50 Millionen ansteigen wird. Zudem werden neue Standplätze gebaut und ein altes Busterminal reaktiviert.

Andererseits werden Stimmen laut, die das Aviatik-Wachstum begrenzen wollen – aufgrund der negativen Auswirkungen auf Mensch und Natur. So sprachen sich kürzlich die Grünen-Nationalrätin Aline Trede und der Zürcher SP-Nationalrat Thomas Hardegger für ein Verbot von Inlandflügen aus.

Und in der «Zeit» äusserte der Mobilitätsforscher Andreas Knie sein Unverständnis darüber, «dass wir Plastikstrohhalme verbieten, aber weiterhin durch Deutschland fliegen.» Er forderte gar, dass die Anzahl der Flüge pro Mensch gedeckelt wird.

5 Versuche, illegale Dinge im Flugzeug zu schmuggeln

Video: watson/Lya Saxer
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
11 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
11
Deutscher Theologe in Bellinzona freigesprochen

Das Polizeigericht in Bellinzona hat am Montag einen deutschen Theologen vom Vorwurf der Diskriminierung und Anstiftung zu Hass freigesprochen. Der Mann, der an der Universität Lugano lehrt, hatte als Herausgeber einer Zeitung die Veröffentlichung eines homophoben Artikels erlaubt. Die Untersuchung einer unabhängigen Ethikkommission der Universität wird indes fortgesetzt, wie diese mitteilte.

Zur Story