Die negativen Folgen des brummenden Ticketverkaufs werden zunehmend zur Belastung, wie die Swiss in einem Lobbying-Schreiben festhält, deren rund 2000 gedruckte Exemplare laut einer Sprecherin an «ausgewählte Entscheidungsträger in Wirtschaft und Politik» versandt wird.
Demnach hob diesen Sommer jedes vierte Swiss-Flugzeug mit einer Verspätung von mindestens 16 Minuten ab. Mit der Folge, dass viele Passagiere ihren Anschlussflug verpassten und somit an Flughäfen strandeten, auf einen anderen Flug gebucht oder in einem Hotel untergebracht werden mussten.
Und das geht ins Geld: «Die Kosten für die Betreuung dieser Passagiere haben sich im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt», schreibt die Lufthansa-Tochter. Wie hoch die Kosten in Franken sind, verrät eine Sprecherin auf Nachfrage nicht.
Die Kosten würden aber von der Airline selbst getragen, sie seien nicht versichert. Bereits jetzt lasse sich sagen, dass der angestrebte Pünktlichkeitswert von 80 Prozent in Zürich in diesem Jahr nicht mehr erreicht werden könne. Dabei hatte sich dies Swiss-Chef Thomas Klühr dieses Ziel bei seinem Amtsantritt 2016 auf die Fahne geschrieben (die «Nordwestschweiz» berichtete).
Das Problem ist das rasante Wachstum. Von Brindisi, über Barcelona bis nach Bangkok: Diesen Sommer wurden so viele Schweizerinnen und Schweizer vom Reisefieber gepackt wie noch nie. So nutzten im Juli mehr als drei Millionen Passagiere den Flughafen Zürich – mehr denn je in einem einzelnen Monat.
Die Anzahl Tage, an denen mehr als 100‘000 Passagiere abgefertigt wurden, hat sich diesen Sommer verdoppelt. Und auch die Airline selbst vermeldet Rekordwerte. Die Anzahl Passagiere nehme kontinuierlich zu, im Juli habe die Auslastung der Flüge 89,5 Prozent betragen. «Voller geht fast nicht mehr.»
Unter dem Strich dürfte gar mehr als eine Verdoppelung der Verspätungskosten resultieren, wie die Swiss schreibt. Denn: «Eingerechnet sind weder Ausgleichszahlungen, die gegebenenfalls nach EU-Recht geltend gemacht werden können, noch der Reputationsschaden für die Swiss und den Flughafen Zürich.»
Tatsächlich sind in den vergangenen Jahren zunehmend Firmen entstanden, welche den Passagieren helfen beim Einfordern ihrer Entschädigung, die ihnen aufgrund von Verspätungen zusteht.
Wie der «Blick» gestützt auf Angaben des Passagier-Helferportals Airhelp kürzlich berichtet, führten 2018 rund 2500 verspätete oder annullierte Flüge aus und in die Schweiz zu verpassten Anschlussflügen. Daraus resultiert für Schweizer Fluggäste ein Anspruch auf Entschädigung in der Höhe von über 143 Millionen Franken.
Ab einer Verspätung von drei Stunden haben Flugpassagiere Anrecht auf eine Entschädigung von bis zu 600 Euro – eine EU-Rechtsprechung, gegen die sich die Swiss, welche im ersten Halbjahr 2018 einen Gewinn von 330 Millionen Franken erwirtschaftete, zu wehren versucht.
Laut Swiss ist das grosse Problem bei den Verspätungen, dass sie nicht nur einzelne Flüge treffen, sondern das ganze System, das von Abhängigkeiten geprägt sei: «Verspätet sich der eine Flug, fehlen Maschine, Crew und allenfalls Umsteigepassagiere für den nächsten Flug.» In Zürich sei der Flughafenbetrieb äusserst fragil, da Puffer fehlen würden. Linderungen seien aufgrund der langsamen Politmühlen erst in acht bis zehn Jahren zu erwarten.
Die Swiss räumt ein, dass diesen Sommer zahlreiche exogene Faktoren zu den europaweiten Verspätungen geführt haben. Da wäre das Wetter mit den zahlreichen Sommergewittern gewesen, sowie Arbeitsniederlegungen.
«Streiks von Fluglotsen, insbesondere in Frankreich, haben ein bisher nie gekanntes Ausmass erreicht und sind mit Abstand die wesentlichste Ursache für Verspätungen.» Hinzu kämen fehlende personelle Ressourcen bei Flugsicherungen in Schweizer Nachbarstaaten.
Der grösste Bremsklotz sind laut Swiss allerdings strukturelle Probleme. So stehe man in Europa nach Jahren beim Projekt «Single European Sky» noch immer am Anfang. Dieses soll die Flugsicherung vereinheitlichen und vereinfachen, und somit auch ökologische Verbesserungen mit sich bringen.
Doch nationale und gewerkschaftliche Interessen würden den Fortschritt verhindern, so die Airline. Dabei wäre ein Handeln dringend nötig, da laut Experten das heutige Flugsicherungssystem mittel- bis langfristig nicht in der Lage sein wird, das erwartete Wachstum von 3 Prozent pro Jahr zu bewältigen.
Der diesjährige Sommer habe das politische Dilemma offensichtlich gemacht, schreibt die Swiss. «Die Nachfrage nach Flügen steigt, die volkswirtschaftliche Bedeutung nimmt in der globalisierten Wirtschaft zu, gleichzeitig ist das heutige System kaum mehr in der Lage, einen zuverlässigen Betrieb zu gewährleisten. Kurzfristig zum Ärger der Passagiere, langfristig zulasten des Wohlstands.» Es brauche deshalb Visionen und mutige Entscheidungen. Die Zeit der «Pflästerlipolitik» sei vorbei.
Doch grössere Infrastrukturmassnahmen benötigen Zeit: So plant der Flughafen Zürich den Bau eines grösseren Terminal 1 (die «Nordwestschweiz» berichtete). Der Spatenstich ist – Stand heute – per 2021 vorgesehen, mit einer Fertigstellung wird allerdings erst 2030 gerechnet.
Die Flughafenbetreiber rechnen damit, dass die Passagierzahl in Zürich bis dann von heute 29 auf 50 Millionen ansteigen wird. Zudem werden neue Standplätze gebaut und ein altes Busterminal reaktiviert.
Andererseits werden Stimmen laut, die das Aviatik-Wachstum begrenzen wollen – aufgrund der negativen Auswirkungen auf Mensch und Natur. So sprachen sich kürzlich die Grünen-Nationalrätin Aline Trede und der Zürcher SP-Nationalrat Thomas Hardegger für ein Verbot von Inlandflügen aus.
Und in der «Zeit» äusserte der Mobilitätsforscher Andreas Knie sein Unverständnis darüber, «dass wir Plastikstrohhalme verbieten, aber weiterhin durch Deutschland fliegen.» Er forderte gar, dass die Anzahl der Flüge pro Mensch gedeckelt wird.