Letztes Jahr feierte der Flughafen Zürich seinen 75. Geburtstag. Der Andrang zum grossen Jubiläumsfest Anfang September war enorm. Die Zufahrtsstrassen waren komplett überlastet, auf dem Gelände kam es zeitweise zu prekären Situationen. Der «Zurich Airport» mobilisiert eben nicht nur in der Luft. Und er erzeugt Emotionen, in mancherlei Hinsicht.
Das zeigt sich im Abstimmungskampf zur geplanten Verlängerung der Pisten 28 und 32. Schon die Zustimmung im Zürcher Kantonsrat erfolgte mit 87 zu 83 Stimmen nur knapp. Die Gegner ergriffen das Referendum und reichten eine Stimmrechtsbeschwerde ein, weil der Regierungsrat ihre Argumente in der Abstimmungszeitung «zensiert» habe.
Das Misstrauen gegenüber Kanton und Flughafen ist gross. Das zeigte sich am Dienstagabend an einem prominent besetzten, vom Nein-Komitee organisierten Abstimmungspodium in Effretikon. Selbst die Gegner bestritten die Bedeutung des Flughafens nicht. Für die zuständige Regierungsrätin Carmen Walker Späh (FDP) ist er «unser Tor zur Welt».
Durch die Rolle als «Landesflughafen» erhält die kantonale Abstimmung am 3. März eine nationale Dimension. Die Zürcher Volkswirtschaftsdirektorin verwies auf das Grundproblem. Das seit bald 50 Jahren bestehende System, bei dem sich zwei der drei Flugpisten kreuzen, sei «komplex und sehr anspruchsvoll». Tatsächlich würde es kaum nochmals so gebaut.
Im März 2011 entstand eine brenzlige Situation, als zwei Flugzeuge fast gleichzeitig die Starterlaubnis erhielten. Nur weil einer der Piloten die Gefahr erkannte, kam es nicht zur Katastrophe. Dies habe den Anstoss zur Pistenverlängerung gegeben, sagte Walker Späh. Die dafür benötigten rund 250 Millionen Franken finanziere der Flughafen selbst.
Mit drei Argumenten werben die Befürworter für die Vorlage: Mehr Sicherheit, mehr Pünktlichkeit, mehr Nachtruhe. In Effretikon wurde speziell der erste Punkt betont. Was natürlich die Frage aufwirft: Ist der interkontinentale Zürcher Hub etwa unsicher? Den Befürwortern im Stadthaussaal gelang es nur bedingt, den Widerspruch aufzulösen.
Ihr Zauberwort lautet Stabilität. Die Verlängerung der Piste 32 nach Norden soll Starts von schweren Langstreckenflugzeugen ermöglichen, was die beiden sich kreuzenden Pisten entlasten würde. Die Piste 28 wiederum ist die kürzeste. Sie wird von Osten angeflogen, was bei Bise (sprich Rückenwind) und Nässe nicht oder nur bedingt möglich ist.
In solchen Fällen wird auf Südanflug umgestellt. Der Ausbau um 400 Meter, für den das Flüsschen Glatt überdeckt werden müsste, könnte dies überflüssig machen. Der streitbare Verein «Flugschneise Süd Nein» befürwortet folglich die Pistenverlängerung. Selbst Carmen Walker Späh räumte ein, dass das Ostkonzept «vermehrt zum Einsatz» kommen werde.
Bei den fluglärmgeschädigten Anwohnern sorgt dies für Ärger. Sie waren im Publikum in Effretikon in der Überzahl, wie man den Wortmeldungen und Unmutsbekundungen entnehmen konnte. Auf dem Podium kam es zu einer pikanten Konstellation: Christof Bösel, SVP-Gemeindepräsident von Nürensdorf, trat gegen SVP-Kantonalpräsident Domenik Ledergerber an.
Bösel, dessen Dorf in der «Ostschneise» liegt, sitzt im Vorstand der Regio Ost, der 122 Gemeinden bis zum Bodensee angehören. Durch die Verlängerung von Piste 28 rechne man «mit 5000 zusätzlichen Flügen», sagte er. Ledergerber äusserte Verständnis für seinen Parteikollegen, doch er betonte die wirtschaftliche Bedeutung des Flughafens.
Für Unmut im Osten sorgt auch das Argument, die Verlängerung führe zu mehr Pünktlichkeit und Nachtruhe. Während den von Deutschland verordneten abendlichen Sperrzeiten wird der Flughafen aus dieser Richtung angeflogen. Im Prinzip gilt eine Nachtflugsperre von 23 bis 6 Uhr, doch zum Abbau von Verspätungen darf bis 23.30 Uhr geflogen werden.
Diese «Ausnahme» ist faktisch zur Regel geworden. Es vergeht kaum ein Tag, an dem sie nicht beansprucht wird. An das Versprechen, dies werde sich mit der Pistenverlängerung ändern, glaubt so gut wie niemand. Selbst Josef Felder, Verwaltungsratspräsident der Flughafen AG, sagte der NZZ, es könne nur «ein Teil der Verspätungen verhindert werden».
An der Misere ist der Flughafen teilweise selber schuld, wegen langsamer Abfertigungen aufgrund von Personalmangel. Anderes ist ausserhalb seines Einflusses, etwa verspätete Anschlussflüge oder die Überlastung des europäischen Luftraums. Dennoch verspricht er mehr Nachtruhe, was SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf als «relativ frivol» anprangerte.
Sie wohnt in der Flughafengemeinde Kloten und meinte, der Bevölkerung werde bei diesem Thema «Sand in die Augen» gestreut. Selbst Mitte-Nationalrätin Nicole Barandun musste einräumen, man werde «die Verspätungen nicht wegbringen». Letztlich geht es um fehlendes Vertrauen: «Wir wurden immer und immer wieder an der Nase herumgeführt», so Seiler Graf.
Dies tangiert einen weiteren heiklen Punkt: Die Gegner wittern hinter der Pistenverlängerung eine verkappte Kapazitätserhöhung. Nüchtern betrachtet ist dies ein wackeliges Argument. Im Jahr 2000 wurden in Zürich 325’000 Flugbewegungen verzeichnet, mit dem heutigen Pistensystem. Vor der Pandemie waren es noch 275’000, bei deutlich mehr Passagieren.
Im Flughafengesetz ist zudem eine Höchstzahl von 320’000 Flugbewegungen enthalten. Dennoch ist das Misstrauen erklärbar. Denn 2000 markierte nicht nur den Höhepunkt der Hunter-Strategie, die die Swissair zum Absturz brachte. Auch die privatisierte Flughafen AG war auf Wachstumskurs und verpasste sich den hochtrabenden Namen Unique.
Beim Parlament in Bern lobbyierte sie erfolgreich gegen den Staatsvertrag, mit dem die deutsche Grenzregion im Norden vom Fluglärm entlastet werden sollte. Das Nein war ein Eigengoal der Extraklasse, denn die deutsche Regierung erliess prompt die Verordnung, mit der Ost- und Südanflüge, die man eigentlich verhindern wollte, «institutionalisiert» wurden.
Damals kursierten Szenarien mit bis 400’000 Flugbewegungen pro Jahr. Beklagt wurden in Effretikon auch gebrochene Versprechen rund um den Zürcher Fluglärm-Index (ZFI). «Der Flughafen will weiter wachsen», meinte der grüne Kantonsrat Urs Dietschi. Und selbst SVP-Präsident Ledergerber fand, man müsse «den Flughafen in die Pflicht nehmen».
Kanton und Flughafen haben sich fehlendes Vertrauen primär selbst zuzuschreiben. Die Befürworter der Pistenverlängerung werden im Hinblick auf den 3. März trotzdem kaum schlecht schlafen, denn das Zürcher Stimmvolk hatte in der Vergangenheit immer pro Flughafen votiert. Und in einer Umfrage vom letzten Oktober resultierte ein klares Ja.
Besser wäre es, endlich ein Parallelpistensystem umzusetzen. Die aktuelle Lösung ist komplex und führt zu unnötigen Kreuzungen der Flugschneisen.
Ja, man hat beim Flughafenbau früher Fehler gemacht, v.a. auf Druck des Militärs (wegen Dübendorf). Wäre Zeit, diese Fehler nun zu korrigieren.
Auch mit Deutschland sollte man wieder das Gespräch suchen. Ziel sollte sein, die Flugstrassen so zu planen, dass Sicherheit und Umweltbilanz optimiert werden. Das wäre mit parallelen Pisten möglich. Pist 28 wäre nur noch zum Ausweichen.
Die aktuelle Lösung ist Pflästerlipolitik.