Natürlich sind wir frivole Vögel. Aber auch wir haben ein Herz, einen Kopf und einen Job. Den Journalismus. Trotzdem staunten wir, als eines Tages ein Herr namens Dieter Fahrer in unserer Redaktion stand und sagte, er wolle einen Film über die Medienszene Schweiz machen und uns als eine von vier Redaktionen porträtieren.
Der Dieter ist nämlich a) ein Berner, b) ein ernsthafter Berner und c) ein medial total altmodisch sozialisierter Berner. Und auch die Mitarbeiter, die der Dieter mitbrachte, waren allesamt Männer mit träumenden Augen, die aussahen, als würden sie lieber im Emmental Schafe beobachten als mit uns die Welt ins Internet zu bringen.
Die Berner standen uns ein gefühltes halbes Jahr lang im Weg, schauten uns über die Schulter, sagten: «Jetz fiumeni mau eifach dini Händ.» Sie fiumten Computer, Hände und Tattoos, die Madeleine, die Rafaela (die jetzt nicht mehr bei uns ist), den Maurice, den Peter und ein paar andere und irgendwann zogen sie wieder ab, die Kameras, an die wir uns inzwischen gewöhnt hatten, waren nicht mehr da, wir fühlten uns leer und unwichtig und fragten uns: Wie werden sie uns darstellen? Werden sie uns verspotten, wie es andere schon getan haben? Als Büsiportal, Schülerzeitung, Clicksau und Native-Ad-Bomber?
Jetzt gibt's den Film. Er heisst «Die vierte Gewalt». Es kommen vor: Der «Bund», das «Echo der Zeit», watson und die «Republik», die zum Zeitpunkt des Drehs noch nicht viel mehr war als das vollmundige Pathos der Verkündigung. Seit dem 14. Januar 2018 ist auch sie ein existierendes Medium. Es stehen also im Film – der selbst ein elektronisches Medium ist – drei elektronische Produkte gegen ein gedrucktes. Der Verlierer steht irgendwie schon fest.
Der Film beginnt denn auch mit einem Blick in die «Bund»-Druckerei – man meint sich in den Innereien eines Sauriers, es ist von anachronistischer Majestät. Der «Bund» ist das Leibblatt von Dieter Fahrers Eltern, der Vater besitzt ein riesiges Album, auf die linken Seiten klebt er ausgeschnittene Zeitungsartikel, rechts zeichnet er, wozu ihn der Artikel inspiriert, meist irgendwas mit Natur, was Meditatives.
Die Mutter entsorgt Kartoffelschalen in Zeitungspapier. Die Eltern ziehen ins Alterszentrum, ihre leergeräumte Wohnung gleicht einer letzten, für immer leeren Zeitungsseite und den Büros, die der «Bund» räumen muss, in der Hoffnung, sie teuer weitervermieten zu können. Die Zeit im Alterszentrum und beim «Bund», sie steht nicht still, aber sie wird traurig gedehnt. Wobei das vielleicht aber auch nur der Effekt von so viel Berndeutsch ist.
Beim «Echo der Zeit» dagegen die hochprofessionelle, schnelle, blitzkompetente Nachrichtenverarbeitung. Die Leute dahinter: abgebrüht, cool, gelegentlich zynisch. Wieso stellt man die sich immer so nett, warmherzig und um die Welt besorgt vor, wenn man sie im Radio hört? Weil sie verdammte Profis sind.
Und dann also watson. Und schnell ist klar: Der Dieter, der als neugieriger Skeptiker zu uns kam, hat sich in uns verliebt. Täuscht es, oder gehört uns die meiste Filmzeit? Täuscht es, oder sind wir – neben ein paar Szenen, in denen wir wie eine sexy Sekte für Unterhaltungsexpertise erscheinen – nicht auch Leute, die schwer und klassisch journalistisch schuften? Die dauernd in die Welt hinausgehen, Flüchtlinge besuchen, die Trump-Wahl live aus New York kommentieren? Während der Wahlnacht ist Dieter bei uns, filmt, wie unser Videoteam (Emily!) alle Artikel durch den Schredder lässt, die wir schon über Präsidentin Hillary Clinton geschrieben haben.
Bei uns entdeckt er auch die Poesie dieser verborgenen Winkel im Internet, die Webcams, die irgendeine Strassenkreuzung in Jackson Hole filmen, oder den Flughafen von Hokkaido, über den sich ein Vogelschwarm erhebt. Die Live-Feeds werden für Dieter, was das Artikel-Album für seinen Vater ist: ein Teppich aus ruhiger Alltäglichkeit, auf den er seinen Film legt, wenn die Nachrichtenlage gerade explodiert. Die allgemeine und die persönliche. Wenn Trump gewinnt. Wenn Dieters Vater stirbt. Der Timecode unter den Vögeln über Hokkaido zeigt den Todeszeitpunkt.
So viel Leben und Zukunft wie der Dieter hat noch selten einer in uns gesehen. Da darf er zwischendurch auch klingen wie ein moralisierender Vater, der einen Pedro Lenz gefrühstückt hat: «I bin e User und wirde gused.»
Wann im Film kommen eigentlich die Kollegen von der «Republik»? Ah, nach einer Stunde und neun Minuten! Sie haben da noch den charmanten Vorteil, nicht von der Routine des Büroalltags geschlagen zu sein. Constantin Seibt, der immerzu hüpfend durch die Welt geht, als sei er auf einem lebenslangen Kindergeburtstag, und Christof Moser in seinem Graf-Dracula-Mantel haben noch nichts anderes zu tun, als zu erzählen, wie geil die «Republik» einmal wird.
Aber gut, das haben wir von watson vor fünf Jahren auch nicht anders gemacht. Seit genau vier Jahren sind wir online. Dass uns der Dieter seinen Film zum Geburtstag schenkt, macht uns gerade ganz mürbe vor Rührung. Danke!
«Die vierte Gewalt» ist am 27. und 30. Januar an den Solothurner Filmtagen zu sehen und ab 8. Februar im Kino.