Der ungarische Parlamentspräsident László Kövér weilt am Mittwoch in der Schweiz. Der diplomatischen Gepflogenheit folgend, hatte dessen Schweizer Amtskollegin Marina Carobbio (SP) Kövér zum Gegenbesuch eingeladen. Ihre Amtsvorgängerin Christa Markwalder (FDP) war 2016 nach Ungarn gereist.
Doch kaum hatte Parlamentspräsidentin Carobbio den hohen Gast auf der Zuschauertribüne des Nationalratssaales begrüsst, standen Vertreter von SP und Grünen auf und verliessen den Saal. Das Parlamentsvideo zeigt viele leere Sitze. Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier protestierten damit gegen die Politik Ungarns. Kövér wurde im Saal insgesamt nur mit verhaltenem Klatschen begrüsst.
Das fanden nicht alle korrekt: Beleidigend fand dies SVP-Präsident Albert Rösti, wie er dem Blick sagte.
Doch Ungarn hat auch Freunde unter der Bundeshauskuppel: Schweizer Parlamentarier bauten in den letzten Wochen ihre Beziehungen zu ungarischen Politikern aus - ausgerechnet jetzt, wo die europäischen Konservativen mit ihren Kollegen aus Ungarn im Streit liegen. Das alles ist kein Zufall. Denn die Schweiz und Ungarn eint die Skepsis der EU gegenüber - auch wenn es Unterschiede in den Positionen gibt. Die parlamentarische Gruppe Schweiz-Ungarn hat Kövér am Mittwochmorgen getroffen.
Ungarn wird aus Sicht der Schweiz und der EU zusehends als autokratischer Staat unter Präsident Viktor Orban wahrgenommen. Kövér ist ein Gefolgsmann von Orban, gemeinsam haben sie die regierende Partei Fidesz gegründet. Gleichzeitig jedoch sucht die Schweiz einen von der EU unabhängigen Weg.
SP-Fraktionspräsident Roger Nordmann blieb im Saal, wie er dem Blick schilderte: «Es war eine spontane Aktion aus Abneigung gegenüber Viktor Orbans Regime, welches immer mehr autoritäre Züge annimmt.» Und weiter: «Ich bin aber im Saal geblieben, aus Respekt gegenüber dem ungarischen Parlament als Institution.» Denn eine Parlament sei wichtig als Gegengewicht zu einer autoritären Regierung. Für Nordmann ist zudem klar: Man muss auch mit jenen reden, die eine andere Meinung vertreten.
Verurteilen will der Fraktionspräsident seine Kollegen aber nicht: «Ich verstehe meine Kollegen.»
Im Gegensatz zu Nordmann hat auch der Grüne Balthasar Glättli den Raum verlassen. «Als auf den Bildschirmen, wo üblicherweise die Abstimmungsresultate angezeigt werden, das Wappen Ungarns eingeblendet wurde, habe ich für mich entschieden, rauszugehen», sagt dieser. Er habe keine Lust gehabt, dem ungarischen Vertreter zu applaudieren. Ein stiller Protest mit einem leeren Platz sei ihm aber höflicher erschienen, als im Saal zu bleiben und demonstrativ nicht zu klatschen.
Carobbio verhielt sich derweil standeskonform: Sie hiess Kövér «herzlich Willkommen» und wünschte ihm einen «angenehmen Aufenthalt in der Schweiz». Die beiden treffen sich am Mittwoch noch zu informellen Gesprächen. (jk/cma/sda)