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Der Wutbürger: Er ist ängstlich, veränderungsscheu, xenophob und nationalkonservativ. Weil er lieber Demagogen als Experten glaubt, gilt er als Gefahr für die Demokratie. Ja, der Wutbürger, der geht so richtig auf den Sack.
Doch es gibt auch den linken Wutbürger. Er ist zwar weniger offensichtlich, weniger plump und deshalb auch weniger angreifbar – doch nicht minder ärgerlich. Die Rede ist vom Political-Correctness-Polizisten, kurz PCP.
Der klassische PCP ist jünger und weniger wohlhabend als der Wutbürger, dafür verfügt er über eine hohe Ausbildung und einen lebendigen Twitter-Kanal. Ja, Twitter – der Güllenwagen unter den Sozialen Medien. Denn Facebook ist für Muttis, Instagram für Narzissten und Snapchat für Perverse.
In seinem Twitter-Profil beschreibt sich der PCP selbst als «Denker», «Weltverbesserer» oder als «Créateur de beauté». Und er meint es ernst – wie auch alles andere im Leben.
Getragen von der warmen Abluft seines eigenen moralischen Rigorismus kreist der PCP am liebsten wie ein Geier hoch über den Köpfen seiner Mitbürger. Theoretisch würde seine Perspektive dort oben das Erkennen von grösseren Zusammenhängen erlauben, doch dazu fehlt ihm, genau wie dem Wutbürger, die «Contenance».
Nein, der Fokus des PCPs richtet sich auf kleinste Details, und nur schon der Verdachtsmoment einer Verletzung der Political Correctness reicht aus, um mit erigiertem Moralfinger loszuprügeln.
Es ist diese Übersensibilität, die ihn letztlich von den vernünftigen kritischen Geistern unterscheidet. Und es ist diese Übersensibilität, die am Ende so viel Schaden anrichtet. Denn der PCP ist wie die Frau, die eine Vergewaltigung erfindet: Er schadet den wahren Opfern, verwässert das eigentliche Problem und schwächt damit die Bewegung. Und er verunsichert Otto Normalbürger, der nicht mehr weiss, ob er jetzt noch «schwul» sagen darf. Und wo die Verunsicherten Halt finden, ist klar.
Doch dies alles bleibt dem PCP verborgen. In aller Öffentlichkeit stellt er sein Opfer an den Pranger und schlägt damit zwei Fliegen mit einer Klappe: Das Opfer wird diffamiert, während sich der PCP selbst profiliert. Im Zeitalter von Social Media ist der Moralfinger nicht nur Keule, er ist auch Selfiestick.
Gelingt es dem PCP, genügend Staub aufzuwirbeln, zieht das weitere Exemplare seiner Zunft an. Von der Angst getrieben, das Opfer könnte bereits erlegt sein, stürzen auch sie sich ohne weitere Reflektion der Sachlage darauf. Das nennt man dann Shitstorm. Und ein solcher ist quasi die Ehrenmedaille aller PCPs.
Mit zu den beliebtesten Opfern von PCPs gehören lustige Menschen. Stephen Fry zum Beispiel, einer der eloquentesten und inspirierendsten Twitterer ever, wurde von PCPs nach einer liebevoll-hämischen Bemerkung einer Freundin gegenüber derart kaputt gemacht, dass er Twitter verliess. Ist jetzt kein Drama, für die 10 Millionen Follower wurde das Leben an diesem Tag aber ein klein wenig unlustiger. Ein anderes Beispiel ist Chris Rock. Der Comedian tritt wie viele seiner Kollegen nicht mehr an Unis auf – weil diese fest im Griff der PCPs sind und kantige Witze nicht mehr geduldet werden.
Ja, um den Elefanten im Raum auch noch anzusprechen, als liberales Medium mit Linksdrall hat auch watson gelegentlich mit PCPs zu kämpfen: Unter den Usern – aber auch unter den Mitarbeitern. Ich selbst nehme mich davon nicht gänzlich aus.
Doch zum Glück gibt es ein ziemlich probates Mittel, PCPs ruhig zu stellen. Ein simples «Mimimi» tut’s meistens. Oder auch die Erwähnung eines bekannten Schoko-Riegels. In diesem Sinn: Contenance wahren, auch wenn es gerade etwas schwerer fällt. Alles andere ist ein Murks.