Was für Autofahrer im Sommer ein gewohntes Übel ist, müssen dieses Jahr auch die Bahnkunden erdulden: Baustellen. Dreissig sind es an der Zahl, drei davon sind Grossbaustellen. So trifft es in der Nordwestschweiz die Verbindungen zwischen Basel und Zürich sowie zwischen Basel und Bern, da der Abschnitt Gelterkinden-Tecknau nur einspurig befahren wird. Hinzu kommen grössere Arbeiten vor St. Gallen sowie die Totalsperrung eines Abschnitts zwischen Lausanne und Bern.
Für Unmut sorgt insbesondere, dass nur die Kunden in der Romandie für die Unannehmlichkeiten entschädigt werden. Reisende in der Deutschschweiz dagegen gehen leer aus. Dies sorgt wiederholt für Kritik, wie sich etwa am Beispiel einer berufstätigen Mutter zeigt. Sie pendle zwischen Zürich und Basel und komme aufgrund der Zugsausfälle und der «massiv verlängerten Fahrtzeit» an ihre Grenzen, schreibt sie auf der Facebook-Seite der SBB. «Ich finde es ja wirklich toll, dass ihr den Pendlern zwischen Lausanne und Bern eine Entschädigung anbietet. Aber was ist mit all denjenigen, die zwischen den beiden Deutschschweizer Städten pendeln?», fragt sie. Zwei Monate – effektiv sind es sechs Wochen – seien in diesem Fall eine wahnsinnig lange Zeit. «Nichts für ungut. Aber bei den GA-Preisen würde ich echt etwas anderes erwarten.».
Die Vereinigung Pro Bahn fordert von den SBB, den Kreis der Entschädigten auszuweiten. Schliesslich seien die Einschränkungen für die Bahnkunden erheblich. Neben den drei Grossbaustellen seien auch andere Regionen tangiert, sagt Präsidentin Karin Blättler. Alle betroffenen Passagiere sollten unkompliziert entschädigt werden, sagt sie. Die beste Lösung wäre eine generelle Verbilligung der Bahntarife von einigen Prozenten auf alle Tarife, solange die Baustellen die Kunden in grossem Umfang aufhalten würden.
Die Entschädigung in der Romandie, ein Gutschein von 100 Franken, ist ebenfalls unter Beschuss. Voraussetzung ist eine spezielle App der SBB. Der Grund: Die Betroffenen müssen belegen können, dass sie während zehn Tagen mindestens 20 Minuten mehr Reisezeit in Kauf nehmen müssen. Dies wird von der App aufgezeichnet. Sie funktioniert aber nur auf der neusten Handygeneration. Bei gewissen Smartphones, die auf dem Betriebssystem Android basieren, funktioniert die App nicht.
Die SBB haben gestern an einer Medienkonferenz erstmals Zahlen zur Nutzung der App vorgelegt. Rund 1500 Personen haben sich für die Entschädigung registriert. Dies steht im Verhältnis zu den 13'000 Reisenden, die normalerweise täglich zwischen Lausanne und Bern unterwegs sind. Erstaunlich ist, dass diese 1500 Personen lediglich 2500 Reisen aufgezeichnet haben. Das sind im Durchschnitt weniger als zwei Reisen pro Person. Immerhin hätten die ersten Kunden die vorgegebenen zehn Tage erreicht, die es für die Entschädigung brauche.
Die Zahlen lassen den Schluss zu, dass sich zwar manche Kunden über die App registriert haben, jedoch kaum Fahrten aufzeichnen. Damit konfrontiert, sagt ein SBB-Sprecher lediglich: «Wir gehen davon aus, dass die App unterschiedlich genutzt wird». Karin Blättler von Pro Bahn spricht derweil von einer mageren Bilanz. Es zeige, dass die von den SBB gewählte Lösung zu kompliziert und zu aufwendig sei.
Die Verantwortlichen der SBB traten gestern der Kritik entgegen. «Ich möchte betonen, dass es sich um ein Pilotprojekt handelt», sagte Linus Looser, Leiter Verkehrsmanagement Personenverkehr. Und als dieses müsse es auch gewertet werden. Noch funktioniere es nicht perfekt, deshalb würden laufend Verbesserungen vorgenommen. Werde eine Strecke etwa nicht richtig aufgezeichnet, so zeigten sich die SBB kulant, sagte Looser weiter. Mit der in Europa «einzigartigen Innovation» wolle man testen, ob man künftig auch andere Entschädigungsmassnahmen über die App abwickeln könne. Die Romandie hätten die SBB ausgewählt, weil dort die Auswirkungen auf die Kunden am grössten seien. Zudem sei die Aufzeichnung der Strecken technisch anspruchsvoll, daher habe man das Pilotprojekt regional eingegrenzt, sagte Looser.
Es sei derzeit noch zu früh, um zu sagen, ob sich die gewählte Form der Entschädigung durchsetzen werde. Im Zeitalter der Smartphones sei es jedoch ein Weg, den es zu prüfen gelte.
Insgesamt ziehen die SBB ein positives Fazit, was die bisherigen Erfahrungen mit dem Sommerfahrplan anbelangt. Der Betrieb verlaufe weitgehend störungsfrei und stabil, sagte Looser. So bewege sich auch die Pünktlichkeit auf dem gewohnten Niveau. Das Passgieraufkommen falle im erwarteten Rahmen aus, da man in der Planung davon ausgegangen sei, dass viele Kunden in dieser Zeit in den Ferien seien. Entsprechend sei auch das Sitzplatzangebot ausreichend. Selbst die Zahl der Reaktionen der Kunden entspreche den Erwartungen. (aargauerzeitung.ch)