Die ETH Zürich reagiert auf die anhaltende Kritik und leitet eine Untersuchung gegen eine Professorin des inzwischen aufgelösten Instituts für Astronomie ein. Die ETH-Leitung beauftragt in den nächsten Tagen eine externe Fachperson mit der Durchführung der Administrativuntersuchung. Am Wochenende wurde bekannt, dass eine Professorin am Institut für Astronomie über zehn Jahre lang ihre Doktoranden schikaniert haben soll. Sie habe Frauen als schwache Wesen bezeichnet und aufgefordert, weniger Zeit für Make-up und mehr für die Forschung aufzuwenden.
Grund zum Mobbing fand die Professorin offenbar immer: «Schon eine vermeintlich falsche Körperhaltung ihr gegenüber konnte zu langen Diskussionen führen», sagte eine ehemalige Postdoktorandin zur «NZZ am Sonntag». Wie die Zeitung berichtet, brachen Frauen wie Männer in ihrem Büro in Tränen aus, mindestens eine Person habe psychologische Hilfe in Anspruch genommen. Erst als sich eine junge Doktorandin gegen die Praktiken der Professorin auflehnte und sich bei der Leitung beschwerte, reagierte die ETH: Die Schulleitung schickte die Professorin und ihren Ehemann, mit dem sie das Institut leitete, für sechs Monate in einen Sonderurlaub und löste das Institut auf. Dass die renommierte Hochschule erst dann einschritt, sorgt seit Tagen für Kritik in den Medien. Von «Schreckensherrschaft» und «Machtmissbrauch an der ETH» war die Rede.
Der Fall sorgte über die Landesgrenzen hinaus für Aufsehen. Auch die «Süddeutsche Zeitung» berichtete über die «Elite-Professorin, die Doktoranden demütigt». Doch damit nicht genug. Wir fanden gestern weitere junge Wissenschafter, die an der ETH schikaniert wurden: «Professoren sind kleine Könige in ihrem Königreich», beklagte sich eine ehemalige Doktorandin. «Kontrollmechanismen seitens der ETH-Leitung gibt es quasi kaum.»
Lino Guzzella, Präsident der ETH Zürich, verteidigt das Vorgehen. «Innert kürzester Frist wurden die betroffenen Doktorierenden bereits im März einer anderen Betreuungsperson zugeteilt», heisst es in einer Mitteilung der Hochschule. «Die Vorwürfe stehen in klarem Widerspruch zu dem, was wir von unseren Professoren und Professorinnen erwarten, deshalb haben wir schnell gehandelt», sagt Guzzella. Sollte die Professorin in Zukunft wieder Doktoranden betreuen, werde sie eng begleitet. Die ETH räumt ein, dass es rückblickend ungünstig war, ein Professoren-Ehepaar im gleichen Institut anzustellen. Heute wäre eine solche Konstellation nicht mehr möglich, heisst es in der Mitteilung. Der Fall hat eine Debatte über den Umgang mit Doktoranden an den Hochschulen und die Macht der Professoren ausgelöst. Gerade in exotischen Fächern haben angehende Wissenschafter kaum Ausweichmöglichkeiten. Die Universität Zürich will deshalb eine neue Anlaufstelle für Konfliktfälle gründen, die von einer unabhängigen Fachperson geführt wird. Sie soll zusätzlich zum Ombudsmann entstehen.
Die Universität treibt zudem eine weitere Massnahme voran, um die Macht der einzelnen Professoren einzudämmen. Die Doktoranden sollen künftig von mehreren Professoren begleitet werden. «Im angelsächsischen Raum sind drei bis vier Betreuer die Regel», sagt Michael Hengartner, Rektor der Universität Zürich, der an der US-EliteHochschule MIT promovierte und jahrelang in den USA forschte. «Als ich nach Zürich kam, war ich überrascht, dass sich die Doktoranden nur an einen Professor wenden können.»
Was an einigen Instituten bereits umgesetzt wird, soll nun flächendeckend eingeführt werden. Hengartner, der auch als Präsident der Rektorenkonferenz amtet, empfiehlt allen Hochschulen, das Mehr-Betreuer-System einzuführen. Die Universität Bern hegt ähnliche Pläne: «Wir streben eine flächendeckende doppelte Betreuung an», heisst es vonseiten der Medienstelle. Andere Hochschulen dürften diese Art der Doktorats-Betreuung forcieren. Wie es im Fall der Professorin an der ETH weitergeht, ist offen. Weitere Massnahmen könnten vorgeschlagen werden, heisst es in der Mitteilung. Bis zum Abschluss der Untersuchung will sich die ETH allerdings nicht mehr zur Professorin äussern.