Der Bericht über den Mobbing-Fall an der ETH schlug hohe Wellen. Laut Recherchen der NZZ am Sonntag schikanierte und mobbte eine Professorin am Institut für Astronomie über zehn Jahre lang Doktoranden. Kaum jemand wagte sich zu wehren, aus Angst um die Karriere. Denn besagte Professorin war nicht alleine, auch ihr Mann war Professor am Institut.
Erst als sich eine junge Doktorandin traute, die Stimme zu erheben, wurden die Missstände bekannt. Wegen «nicht tolerierbarem Führungsverhalten» wurde das Institut für Astronomie an der ETH Zürich quasi über Nacht geschlossen. Das zuständige Professoren-Ehepaar befindet sich momentan in einem sechsmonatigen Sabbatical.
Das Problem scheint sich nicht auf das Institut für Astronomie zu beschränken. Auf Anfrage von watson berichten zwei ehemalige Doktoranden der ETH von ihren Erfahrungen. Beide möchten anonym bleiben, zu gross ist die Angst vor den Konsequenzen.
Melanie* freute sich über die Zusage zur Doktoratsstelle an der ETH. Doch die Freude war von kurzer Dauer. Bereits im ersten Monat gab es Probleme mit der Betreuerin. «Sie hat gedroht, mir zu kündigen», berichtet Melanie und ergänzt: «Ich habe mich extrem unter Druck gesetzt gefühlt.»
Daraufhin sass Melanie mit ihrer Betreuerin zusammen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Laut Professorin funktioniere die Zusammenarbeit nicht, primär aus persönlichen Gründen. Auf Nachfrage von Melanie konnte sie die Gründe aber nicht genauer nennen. «Sie sagte, es sei mehr so ein Gefühl. Zudem machte sie einen Kommentar über mein Aussehen und mein Make-up. Das war sehr unprofessionell. Ich habe mich diskriminiert gefühlt», erzählt Melanie.
Nach dem Gespräch wandte sich Melanie an die Ombudsstelle der ETH. Denn auch in ihrem Fall waren die persönlichen Verstrickungen innerhalb des Instituts gross: Der Zweitbetreuer war der Ehemann ihrer Professorin.
Im persönlichen Gespräch mit der Ombudsstelle erhielt Melanie zwar Tipps, wie sie mit der Situation und ihrer Betreuerin umgehen solle, viel habe dies aber nicht geholfen, so die ehemalige Doktorandin.
Mittlerweile hat sie die Doktorandenstelle gekündigt. Zu gross war der Druck und ihre Wut. «Ich konnte es nicht ausstehen, so respektlos behandelt zu werden. Eine Zusammenarbeit mit meiner Betreuerin war nicht mehr möglich, das Vertrauen war zerstört», sagt Melanie.
Nach ihrer Kündigung hat das zuständige Departement nicht mehr reagiert. Dabei wollte sie nur zukünftige Doktoranden vor dem gleichen Schicksal bewahren. «Das war eine sehr schlechte Erfahrung und ich trage es immer noch mit mir rum», sagt Melanie heute.
Petra*, eine ehemalige Doktorandin der ETH, spricht von einem strukturellen Problem. Die Macht der Professoren innerhalb ihrer Lehrstühle sei nahezu unkontrolliert. «Sie sind kleine Könige in ihrem Königreich», sagt sie und ergänzt: «Kontrollmechanismen seitens der ETH-Leitung gibt es quasi kaum.»
Oftmals seien die Doktoranden den Professoren ausgeliefert – umgehen könne man das Problem kaum. «Bei einem normalen Job kann man einfach kündigen und sich einen neuen Job suchen. Eine abgebrochene Dissertation sieht ganz anders aus im Lebenslauf. Eine andere Doktorandenstelle zu finden, ist meist auch nicht so einfach und verlangt grosse geographische Mobilität», so Petra.
Das Verhältnis zwischen Doktoranden und ihren Betreuern sei alles andere als einfach, bestätigt auch der Ombudsmann der ETH Zürich, Dr. Wilfred F. van Gunsteren. Denn der Betreuer hat mehrere Funktionen zugleich, er ist Professor, Vorgesetzter, Betreuer für die Doktorarbeit und muss diese auch bewerten. «Das ist oftmals eine schwierige Situation, denn diese unterschiedlichen Funktionen lassen sich nicht voneinander trennen», erklärt van Gunsteren.
Laut dem Jahresbericht beanspruchten 2016 108 Personen die Ombudsstelle der ETH. 42 davon waren Doktoranden. Das sei jedoch keine ungewöhnliche Zahl, so van Gunsteren: «Schliesslich sind sie auch eine grosse Gruppe an der ETH, nämlich rund 4000.»
Als Ombudsperson, so van Gunsteren, fungiere er als Sicherheitsventil. «Ich bin ein unabhängiger Mentor für Doktoranden in Schwierigkeiten.» Van Gunsteren vermittelt zwischen Doktorand und Betreuungsperson, findet er keine Lösung, nimmt er mit der zuständigen Leitung des Departements Kontakt auf. «Kann auch die Departementsleitung den Missstand nicht beheben, kommt die Schulleitung ins Spiel, das passiert aber sehr selten», sagt er.
Zum Fall am Institut für Astronomie nimmt er keine Stellung. Dass Ehepartner aber im gleichen Institut angestellt sind, wie es auch bei Melanie der Fall war, sei töricht, sagt er. «Da sollte man sehr strikt sein, denn das ist ein wirkliches Problem. Das steht aber auch im Reglement.»
Tatsächlich ist in den Richtlinien der ETH folgender Absatz zu lesen: «Sie [Ehegatten/-innen oder Lebenspartner/-partnerinnen] sind zudem in einem anderen Bereich (z. B. Institut, Professur, Abteilung) einzubinden als der Ehegatte/die Ehegattin oder der Partner/die Partnerin tätig ist. Scheinkonstrukte sind nicht erlaubt.» Erlassen wurden die Richtlinien aber erst im Jahr 2013.
Melanie hat dieses Reglement nicht viel gebracht. Sie hätte sich von Seiten der ETH mehr Unterstützung gewünscht. Und allen voran zwei unabhängige Betreuer, die nicht miteinander verheiratet sind. «Meiner Meinung nach braucht es bei jedem Doktoratsabbruch ein Austrittsgespräch. So können Missstände schneller aufgedeckt werden», sagt sie heute.
Auch Petra sieht Möglichkeiten für eine Verbesserung. «In England funktioniert es in meinen Augen besser. Da suchen sich Doktoranden Kooperationen mit verschiedenen Professoren und sind nicht von einer einzigen Person abhängig.» Denn Professoren werden nach ihrer Reputation als Forscher ausgewählt. «Ein guter Forscher ist nicht zwangsläufig ein guter Manager oder Betreuer», sagt Petra. Eine Verteilung auf mehrere Professoren würde das Abhängigkeitsproblem ihrer Meinung nach entschärfen.
*Name der Redaktion bekannt