Licht, Farben, Musik – und immer wieder der Gotthard-Basistunnel. Die Schweiz ist stolz auf den längsten Bahntunnel der Welt, der am Mittwoch eingeweiht wurde. Der 1. Juni 2016 ist zum historischen Tag geworden.
Doch während die Schweiz und Europa feierten, folgten die Schweizer Bundesräte einer Agenda mit zwei Botschaften:
Bundespräsident Johann Schneider-Ammann und Verkehrsministerin Doris Leuthard waren das offizielle Gesicht der Schweiz an diesem Freudentag. Sie waren es auch, die diese Botschaft verschickten. Immer öffentlich. Immer mit einer Botschaft zwischen den Zeilen.
Warum? Es geht um die Masseneinwanderungs-Initiative, deren Umsetzung zum Streit zwischen der Schweiz und der Europäischen Union geführt hat. In diesem Jahr stehen entscheidende Gespräche an, denn das Stichdatum zur Umsetzung ist der 9. Februar 2017. Doch das Wort fällt in keinem Moment. Zumindest nicht öffentlich.
Doch da war noch der geschlossene Bereich für «Very VIPs» auf dem Festgelände. Leuthard gab im Interview mit SRF zu verstehen, dass sie dort hinter verschlossenen Türen die Gelegenheit nutzen wolle, wenn schon mit Merkel, Hollande und Renzi wichtige europäische Partner in der Schweiz weilen. Die Gelegenheit wofür?
Leuthard lässt durchblicken: Sie will den Staatsgästen im privaten Rahmen erklären, dass die Schweiz den Tunnel für Europa gebaut hat. Dafür wolle die Schweiz etwas zurück, sagt sie gegenüber SRF. Sie spricht die Masseneinwanderungs-Initiative nicht an. Doch das ist aktuell der wichtigste Streitpunkt.
Und Bundespräsident Schneider-Ammann? Bei ihm klingt das dann so: «Die Schweiz gehört zur europäischen Familie. Die Schweiz ist ein Mitglied, auf das man sich verlassen kann.» Das habe sie mit dem Bau des Gotthardtunnels gezeigt. Auch wenn die Schweiz nicht Mitglied der EU sei, so gelte es doch die Zukunft gemeinsam zu gestalten.
Der Tunnel komme zum Richtigen Zeitpunkt, so Schneider-Ammann. Zu einem Zeitpunkt, wo die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU schwierig seien. Auch er spricht damit die Verhandlungen zur Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative an, ohne diese beim Wort zu nennen.
Schneider-Ammann ruft auf dem Festplatz in Pallegio (TI) den europäischen Gästen zu: «Für die Schweiz bleiben Sie die wichtigsten Partner.»
Ist die Botschaft in Europa angekommen?
Immerhin. Die Europäer lobten die Schweiz. Frankreichs Präsident François Hollande anerkannte, dass der Gotthard-Tunnel ganz Europa nutze. «Die Schweiz hat eine Zukunft für Europa gebaut.» Er sagte aber auch: Der Gotthard-Tunnel stehe nicht nur für den freien Warenverkehr in Europa, sondern auch für den Personenverkehr. Ein Seitenhieb an die Schweiz? Hollande liess sich öffentlich nicht in die Karten blicken.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte im Tessin: «Der Gotthard-Tunnel ist ein Wunderwerk der Technik.»
Dann wurde auch sie politisch: Die Bundeskanzlerin wünscht sich in Zeiten, wo immer mehr Binnengrenzen in Europa hochgezogen werden, «mehr Verbindendes» – «dafür steht der Gotthard-Tunnel.» Ist auch dies ein Zeichen an die Schweiz?
(aargauerzeitung.ch)