Es wird langsam zur unschönen Gewohnheit: Einmal mehr müssen die eidgenössischen Räte eine gewichtige Vorlage in einer einzigen Session durchpeitschen. Dieses Mal geht es um den grossen AHV-Steuer-Deal, der je nach Standpunkt als «Kuhhandel» gerühmt oder geschmäht wird. In einem Punkt ist sich die Politik weitgehend einig: Es handelt sich um das wichtigste parlamentarische Geschäft des Jahres.
Der Ständerat, dessen Wirtschaftskommission die Vorlage im stillen Kämmerlein ausgebrütet hat, stimmte in der Sommersession zu. Nun ist der Nationalrat am Zug. Er wird am Mittwoch in einer vermutlich ausufernden Sitzung über das Paket beraten. Wenn er es nicht versenkt, soll die Differenzbereinigung bis zum Ende der Herbstsession in knapp drei Wochen abgeschlossen werden.
Verschiedene Kantone gewähren ausländischen Unternehmen Steuerprivilegien, mit denen sie ihre fiskalische Belastung massiv senken können. Diese Praxis wird international nicht länger akzeptiert. Der Druck ist gross: Bereits im März könnte die Schweiz auf eine schwarze Liste der Organisation für Wirtschaft und Zusammenarbeit in Europa (OECD) gesetzt werden.
Den Zeitdruck hat sich die Schweiz selbst zuzuschreiben. Einen ersten Anlauf zur Abschaffung der Privilegien in Form der Unternehmenssteuerreform III versenkte das Stimmvolk am 12. Februar 2017 mit 59,1 Prozent Nein klar. Der Widerstand kam von den Linken und vom Städteverband. Sie befürchteten hohe Steuerausfälle, für die am Ende die Bevölkerung hätte bezahlen müssen.
Finanzminister Ueli Maurer (SVP) legte rasch eine neue Reform vor, genannt Steuervorlage 17. Sie sah einen sozialen Ausgleich für die Steuerausfälle in Form von höheren Kinderzulagen vor. Diese Idee stiess auf wenig Begeisterung, da nur ein Teil der Bevölkerung profitiert hätte. Die Wirtschaftskommission (WAK) des Ständerats erarbeitete deshalb im Frühjahr den «Kuhhandel».
Bei den Steuern hat sie Korrekturen zur USR III vorgenommen. Die umstrittene zinsbereinigte Gewinnsteuer etwa wurde so gestaltet, dass sie eigentlich nur im Kanton Zürich anwendbar ist, der intensiv für dieses Instrument geweibelt hat. Die Einnahmenausfälle bei Bund, Kantonen und Gemeinden durch die Steuervorlage werden auf rund zwei Milliarden Franken geschätzt. Bei der abgelehnten Reform waren es knapp drei Milliarden.
Im Gegenzug soll die AHV, deren Reform 2017 mit dem Nein zur Altersvorsorge 2020 gescheitert war, eine Finanzspritze von ebenfalls zwei Milliarden Franken erhalten, finanziert durch Lohnabzüge, Mehrwertsteuer und eine Erhöhung des Bundesbeitrags. Die beiden eigentlich sachfremden Vorlagen sind miteinander verknüpft. Sie können nur gemeinsam oder gar nicht in Kraft treten.
Obwohl der AHV-Steuer-Deal auf den ersten Blick wie ein kleiner Geniestreich wirkt, ist die Gegnerschaft vielfältig. BDP, GLP und Grüne lehnen die Verknüpfung ab, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Die BDP hat staats- und demokratiepolitische Bedenken, die Grünen warnen vor Steuerdumping und die Grünliberalen sind gegen die «Scheinrevision» der AHV.
Skeptisch ist der Städteverband, dessen Opposition zum Scheitern der USR III beigetragen hat. Nach der Debatte im Ständerat kritisierte er, die Beschlüsse führten zu höheren Steuerausfällen, insbesondere wegen der Senkung der kantonalen Minimalbesteuerung der Dividenden von 70 auf 50 Prozent. Auch Exponenten wie die Bieler Finanzdirektorin Silvia Steidle (FDP) und ihr Zürcher Kollege Daniel Leupi (Grüne) äusserten sich kritisch bis ablehnend.
Die SP hadert mit dem Kuhhandel, obwohl ihre Schwergewichte im Ständerat – vor allem Parteipräsident Christian Levrat und Gewerkschaftsboss Paul Rechsteiner – ihn massgeblich mitgestaltet haben. Mit den Beschlüssen des Ständerats sei die Schmerzgrenze erreicht, liess die Partei durchblicken. Eine Verwässerung durch den Nationalrat werde man nicht mittragen.
Bereits heute ist der Widerstand gegen den Steuerteil von Vertretern des linken SP-Flügels, der Westschweiz und der Juso gross. Sie liebäugeln mit einem Referendum, allenfalls gemeinsam mit den Grünen. Die SP will deshalb an einer ausserordentlichen Delegiertenversammlung am 29. September in Olten, nur einen Tag nach Abschluss der Herbstsession, über die Vorlage beraten.
Sie eiert herum. Anfangs machte sie eine Erhöhung des Frauenrentenalters zur Bedingung für ein Ja. Die Bündner Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher erklärte, sie könne mit dem Deal leben. Letzte Woche erfolgte die Kehrtwende: Die SVP will die Vorlage am Mittwoch an den Bundesrat zurückweisen. Sie fordert eine «schlanke» Steuerreform ohne Kompensation bei der AHV.
Bei den anderen Parteien sorgt sie für Kopfschütteln, denn dies würde auf eine Neuauflage der gescheiterten USR III hinauslaufen. Der Vorstoss ist deshalb zum Scheitern verurteilt. Ohnehin sind die Reihen in der Volkspartei nicht geschlossen. Der Freiburger Nationalrat Jean-François Rime, Präsident des einflussreichen Gewerbeverbands, will mit Ja stimmen.
In den Medien liessen Exponenten wie der Zürcher Nationalrat Thomas Matter und Parteipräsident Albert Rösti durchblicken, sie könnten dem Geschäft bei einer Aufteilung der Vorlage zustimmen. Faktisch gesteht die SVP damit ein, dass es für sie als selbsternannte Wirtschaftspartei schwierig wäre, Seite an Seite mit der äusseren Linken gegen eine Steuerreform zu kämpfen.
Angesichts der zunehmenden Opposition haben Vertreter von Wirtschaft und Kantonen am Wochenende das Lobbying intensiviert. Economiesuisse-Präsident Heinz Karrer warnte in der NZZ, das «für unseren Unternehmensstandort katastrophale Szenario einer schwarzen Liste» müsse die Schweiz unter allen Umständen vermeiden.
Man brauche diese Steuerreform, «und zwar dringend», sagte Charles Juillard (CVP), der Präsident der kantonalen Finanzdirektorenkonferenz, in der NZZ am Sonntag. Es ist deshalb absehbar, dass der Nationalrat dem AHV-Steuer-Deal zustimmen und sich weitgehend an die Vorgabe der kleinen Kammer halten wird. Ein Referendum von links im Gegenzug ist wahrscheinlich.
Die Abstimmung dürfte am 19. Mai 2019 stattfinden. Die Kantone würden am liebsten schon am 10. Februar darüber befinden, doch das ist aus organisatorischen Gründen so gut wie unmöglich. Denn die Referendumsfrist läuft erst am 10. Januar 2019 ab.