Für Guy Parmelin war es ein echter Tiefschlag. Kaum hatte der Sportminister vor den Medien erläutert, warum der Bundesrat die Olympiakandidatur Sion 2026 mit bis zu einer Milliarde Franken unterstützen will, wurde er von der eigenen Partei gefoult. Dieser Entscheid sei «zum heutigen Zeitpunkt völlig unverständlich», teilte die SVP mit. Die Landesverteidigung habe Priorität.
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums wurde beklagt, dass der Bundesrat gleichentags einen Vaterschaftsurlaub abgelehnt hat. Derartige Aufrechnungen haben einen populistischen Beigeschmack. Mühsam ist auch die Erbsenzählerei der NZZ, die dem Bundesrat vorrechnet, wofür er die Olympia-Milliarde «in Zeiten klammer Kassen» besser ausgeben sollte.
Es gäbe genug andere Gründe, um eine Schweizer Olympia-Bewerbung zu hinterfragen. Wenn selbst der «Blick», der in sportlichen Belangen gerne euphorische bis chauvinistische Töne anschlägt, in seinem Kommentar Skepsis durchblicken lässt, ist etwas oberfaul. Olympische Spiele sind kein Ereignis mehr, das zum Träumen verleitet. Sie sind zum Albtraum geworden.
Dabei ist die olympische Idee, Sportler aus verschiedenen Disziplinen zum friedlichen Wettstreit zusammenzubringen, eine wunderbare Sache. Und die Spiele selbst sind ein tolles Erlebnis. Ich kann es beurteilen, ich war als Berichterstatter an den Winterspielen 2002 in Salt Lake City. Es war ein absoluter Höhepunkt meiner beruflichen Laufbahn, an den ich gerne zurückdenke.
Heute ist die Einstellung zu diesem Event bei vielen Menschen zwiespältig. Sie fiebern als Fans während den Wettkämpfen mit, stehen der Organisation der Spiele aber kritisch gegenüber. Mit gutem Grund: Olympia in Salt Lake City wurde durch einen Korruptionsskandal überschattet. Das Internationale Olympische Komitee (IOK) versprach Abhilfe. Geschehen ist wenig.
Gerade erst wurde der Olympia-Chef von Rio de Janeiro 2016 wegen Verdachts auf Stimmenkauf festgenommen. Um die Sommerspiele 2020 in Tokio kursieren ebenfalls Korruptionsgerüchte. Noch immer gibt es zu viele IOK-Mitglieder, die sich bei der Vergabe der Spiele nicht von sportlichen Kriterien leiten lassen, sondern von der Frage, wer sie am besten schmiert.
Die Dopingskandale werfen ebenfalls einen Schatten auf die olympische Idee. Nichts aber hat ihr in den letzten Jahren mehr geschadet als der Gigantismus und die damit verbundenen Ausgaben. Wenn Jean-Philippe Rochat, Präsident des Kandidaturkomitees von Sion 2026, die Kosten für die Sportstätten mit 97 Millionen Franken beziffert, kann man nur den Kopf schütteln.
Wo in letzter Zeit Winter- oder Sommerspiele stattfanden, liefen die Kosten aus dem Ruder. Sotschi 2014 mag ein besonders übler Ausreisser sein. Aber für Tokio 2020 musste das Budget bereits verdoppelt werden, von sechs auf zwölf Milliarden Franken. Und die Gouverneurin der Provinz warnte Ende letzten Jahres vor einer Vervierfachung.
Die Kosten für zusätzliche Infrastrukturen und Sicherheit sind dabei meist nicht enthalten. Und am Ende werden viele aufwändig erstellte Sportstätten kaum mehr genutzt. Besonders schlimm steht es um die Arenen für Athen 2004, für die der Dauerkrisenstaat Griechenland kein Geld hat. Auch in Rio zeigen einige Anlagen nur ein Jahr nach den Spielen bereits Verfallserscheinungen.
Solche Beispiele versetzen der Olympia-Euphorie einen gehörigen Dämpfer. Das Bündner Stimmvolk versenkte im Februar mit 60 Prozent Nein zum zweiten Mal eine Olympia-Bewerbung. Am letzten Wochenende lehnten die Tiroler eine Kandidatur für 2026 ab. In der Alpenmetropole Innsbruck, die 1964 und 1976 erfolgreich Winterspiele durchgeführt hatte, sagten zwei Drittel Nein.
Vor einiger Zeit rissen sich die Städte noch um die Spiele. Heute gehen dem IOK die Bewerber aus. Die Doppelvergabe der Sommerspiele 2024 und 2028 an Paris und Los Angeles war auch aus der Not geboren. Mehrere Kandidaten hatten sich zuvor zurückgezogen. In Rom zog die neue Stadtpräsidentin der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung die Notbremse, in Hamburg sagte das Stimmvolk Nein, und zuletzt verzichtete Budapest wegen der Opposition in der Bevölkerung.
Immerhin sind Paris und Los Angeles traditionsreiche Sportstädte. Beide haben bereits zweimal Olympische Sommerspiele veranstaltet. Und beide wollen fast ausschliesslich bestehende Sportanlagen nutzen. Das entspricht der Agenda 2020 von IOK-Präsident Thomas Bach. Er möchte die Spiele bescheidener und nachhaltiger durchführen und damit mehrheitsfähig machen.
Solche Bekenntnisse gegen den Gigantismus aber hat man zu oft gehört, um sie einfach zu glauben. Würde das IOK zum Beispiel einwilligen, wenn bei Sion 2026 das Skispringen auf der Grossschanze in Engelberg (OW) stattfindet, weil die Berner keine Lust haben, eine solche Anlage in Kandersteg zu bauen, wo diese Wettkämpfe eigentlich durchgeführt werden sollen?
Ein Knackpunkt ist auch die in Aigle (VD) geplante Eisschnelllauf-Halle. Die Organisatoren fürchten auch in diesem Fall die jährlichen Folgekosten. Sie schlagen als Alternative eine temporäre Freiluft-Anlage vor. Es wäre ein Back to the Roots. Eisschnelllaufen fand früher stets im Freien statt, auch an Olympia bis Albertville 1992. Ob das IOK zustimmen würde, ist eine offene Frage.
Vielleicht muss sie nie beantwortet werden. Am 10. Juni 2018 stimmen die Walliser über das Projekt ab. Sagen sie Nein, ist eine weitere Schweizer Olympia-Bewerbung am Ende.
Bislang sagten sie mehrfach Ja, zuletzt vor 20 Jahren zur gescheiterten Kandidatur Sions 2006. Doch die Begeisterung hat sich auch im Wallis abgekühlt, wie SRF berichtet. Man fürchtet die hohen Kosten und hat nicht vergessen, wie Sion 2006 als technisch beste Bewerbung gegen das raffinierte Lobbying der vom Fiat-Konzern unterstützen Italiener aus Turin unterlag.
Komiteechef Jean-Philippe Rochat ist sich bewusst, dass es Widerstand von vielen Seiten gibt, «den wir überwinden müssen». Es wäre keine Überraschung, wenn er scheitert. Die olympische Idee ist eine tolle Sache, doch das IOK hat ihre Glaubwürdigkeit ruiniert. Es wird mehr brauchen als nur schöne Worte von Thomas Bach, um sie wiederzubeleben.