Stell dir vor, es wird abgestimmt, und niemand weiss worüber. Oder anders ausgedrückt: Willkommen zur ersten «Arena» nach der Sommerpause! Ernährungssicherheit hiess das Thema der Sendung, denn darüber stimmen wir am 24. September ab.
Dass die Vorlage bisher kaum Beachtung fand, liegt nicht nur daran, dass sie im Schatten des Jahrhundert-Projekts Altersvorsorge 2020 steht, das gleichentags an die Urne kommt. Viel wichtiger: Niemand kann genau sagen, was ein Ja zum Ernährungsartikel eigentlich bedeuten würde. So sprechen sich alle Parteien im Bundeshaus dafür aus – wenn auch aus diametral unterschiedlichen Gründen.
Mit einem «Rorschachtest» verglich Politgeograf Michael Hermann die Vorlage, der als Experte im Studio stand. Wie bei den Tintenklecks-Bildern, die Psychologen ihren Patienten vorlegen, sieht jeder etwas anderes darin. «Mehr Freihandel!», rufen Liberale. «Mehr Wertschätzung für die Bauernfamilien!», fordern Landwirtschaftsvertreter. «Kampf dem Foodwaste!», jubilieren Ökopolitiker.
Aber der Reihe nach: Die Vorlage ist ein Gegenentwurf zur inzwischen zurückgezogenen Ernährungssicherheits-Initiative des Bauernverbands. Während die Initiative die einheimische Produktion von Lebensmitteln stärken wollte, ist das Ziel der neuen Vorlage schlicht, dafür zu sorgen, dass wir auch künftig genug zu essen auf dem Teller haben – und zwar Lebensmittel aus dem In- und aus dem Ausland.
Wie dies garantiert werden soll, ist nur vage umrissen: So sollen die «Grundlagen für die landwirtschaftliche Produktion» gesichert werden, insbesondere das Kulturland. Aber auch eine ressourceneffiziente und auf den Markt ausgerichtete Lebensmittelproduktion sowie grenzüberschreitende Handelsbeziehungen sollen ihren Teil dazu beitragen.
Er könne nicht versprechen, dass bei einem Ja nur «das Allerkleinste» passiere, konfrontierte Moderator Jonas Projer – mit Bart aus der Sommerpause zurück – Bundesrat Johann Schneider-Ammann gleich zu Beginn der Sendung. «Wenn Sie jetzt heute Abend mit mir unter vier Augen die Hand aufs Herz legten, müssten Sie doch auch sagen: Eigentlich lautet das Motto: Nützts nüt, so schadts nüt.»
«So freundschaftlich können wir uns jetzt nicht finden. Sonst können wir die Sendung ja gleich aufhören», liess der Wirtschaftsminister den Moderator ins Leere laufen, und erntete dafür Lacher aus dem Publikum. Es sei «gar nicht falsch», den Ernährungsartikel in die Verfassung aufzunehmen, so der FDP-Bundesrat. Das Konzept umfasse die ganze Wertschöpfungskette von der «Furche bis zur Fourchette – das ist die Gabel, die auf dem Tisch liegt». Die Landwirtschaft bekomme damit eine neue Grundlage für künftige Gesetze.
Neben dem FDP-Bundesrat waren auch Bauernpräsident Markus Ritter (CVP), GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy und SVP-Mann Werner Salzmann angetreten, um die Vorzüge des Ernährungsartikels aufzuzeigen. Als Gegner standen Peter Grünenfelder, Direktor des liberalen Think Tanks Avenir Suisse, und Hans Egli, EDU-Kantonsrat aus Zürich, im Studio.
Nur war es zeitweise gar nicht so einfach, die Lager auseinanderzuhalten. Zu unterschiedliche Formen und Figuren sahen die Gäste im Tintenklecks, der bald als Artikel 104a unsere Verfassung zieren soll.
Während GLP-Frau Kathrin Bertschy auf eine «ökologischere, marktfähigere Landwirtschaft» hofft, polterte Sitznachbar Werner Salzmann aus der SVP: «Genau das Gegenteil von dem, was Frau Bertschy sagt, ist richtig.» Anstelle der Ökologie müsse wieder die Produktion in den Vordergrund rücken, damit die Bauern ein besseres Einkommen erzielen könnten. Moderator Projer kam nicht darum herum, die Zuschauer daran zu erinnern, dass die beiden eigentlich demselben Lager angehören.
Ähnlich verhielt es sich beim Duo Schneider-Ammann / Ritter. Ersterer warb enthusiastisch für neue Freihandelsabkommen mit Ländern wie Indonesien. Es sei klar, dass da auch die Bauern «gewisse Konzessionen machen» müssten. Den aufgeregten Protest Ritters quittierte er, indem er dem «lieben Bauernpräsidenten» beschwichtigend die Hand auf den Arm legte und den Bauernverband als «wichtige Institution» würdigte. Ritter konnte sich angesichts der absurden Situation ein gequältes Lachen nicht verkneifen. «Danke.»
Wer solche Mitstreiter hat, braucht eigentlich keine Gegner mehr. Doch auch die standen bereit: Der Bauernverband habe seine gute Initiative «kampflos aufgegeben» und begebe sich nun mutwillig «auf die Verliererstrasse», attackierte EDU-Kleinbauer Hans Egli den Bauernpräsidenten. Avenir-Suisse-Direktor Grünenfelder schliesslich prangerte die «verfassungsrechtliche Haarspalterei» an und kritisierte den Artikel als teuren Marketing-Streich des Bauernverbands. Warum nur unterstützen sämtliche Parteien etwas, was kaum etwas Neues bringt?
An dieser Frage schien auch Moderator Projer zunehmend zu verzweifeln. «Helfen Sie mir! Helfen Sie unseren Zuschauern!», flehte er den Politologen Michael Hermann an. Dessen Analyse kam prompt: Keine Partei habe etwas davon, einen solch allgemein gehaltenen Verfassungsartikel zu bekämpfen. Besser sei es, sich selber um die Deutungshoheit zu bemühen – und dann ein Ja an der Urne als Zuspruch für die eigene Vision auszulegen.
Moderator Projer sinnierte, die Vorlage komme ihm vor wie eine Wundertüte, aus der Seifenblasen aufsteigen. Doch wüssten alle, was passiert, wenn wir die Seifenblasen anfassen.