Die Szene ist auf YouTube bis heute ein Hit. Sie spielt im Herbst 1999 und zeigt den damaligen SVP-Präsidenten Ueli Maurer, wie er aus dem «Tele Züri»-Studio stürmt. Kurz davor hat ihn Fernsehmann Roger Schawinski als «Parteipräsidenten von Blochers Gnaden» bezeichnet.
Sommer 2016, knapp 17 Jahre später. Nationalrat Albert Rösti hat vor kurzem die Geschicke der SVP übernommen. Vieles ist anders als in den 90er-Jahren, vieles nicht. So muss sich Rösti wie damals Ueli Maurer bei jedem zweiten Interview fragen lassen, ob er ein Adlate Blochers sei.
Der freundliche Berner erzählt dann stets die gleiche Geschichte: Er habe nach seiner Wahl zum Parteioberhaupt ausdrücklich gewünscht, dass Alt-Bundesrat Blocher der SVP als Strategiechef erhalten bleibe. Präsident sei er. Rösti als starker Mann der SVP? Stimmt das?
Einflussreiche Stimmen aus dem Berner Politbetrieb zeichnen ein anderes Bild. Der 75-jährige Blocher sei in TV-Diskussionen vielleicht nicht mehr ganz so schlagfertig wie in seinen besten Jahren, in seiner Partei habe aber immer noch er das Sagen und nicht Rösti.
Zu dieser Einschätzung passt die jüngste Ausgabe von «Tele Blocher». In seiner persönlichen Internetsendung lässt der SVP-Parteistratege vergangenes Wochenende eine Bombe platzen: Er fordert zwei Monate vor den Basler Regierungs- und Grossratswahlen den Rücktritt des SVP-Kantonalpräsidenten Sebastian Frehner und bezeichnet den Nationalrat als «Berufspolitiker». Wer Blocher kennt, weiss: Wenn er «Berufspolitiker» sagt, dann ist das ein Schimpfwort. Dass er der Basler SVP so kurz vor den Wahlen Schaden zufügen könnte, scheint ihn nicht zu kümmern.
Parteipräsident Rösti ist dem Vernehmen nach nicht begeistert über den Affront, wagt es aber nicht, Blocher öffentlich in die Schranken zu weisen: «Von Christoph Blocher ist man gewohnt, dass er Klartext redet», lässt er gestern verlauten.
Röstis Beziehung zum SVP-Übervater ist weniger eng als die seines Vorgängers Toni Brunner, der in diesem einen Mentor sah. Er gilt aber in- und ausserhalb seiner Partei als intelligenter Politiker. Trotzdem trauen ihm wenige zu, aus Blochers Schatten zu treten. «Solange Blocher fit ist, wird sich niemand von ihm emanzipieren können», sagt ein namhafter bürgerlicher Parlamentarier.
Der Einfluss Christoph Blochers in der SVP beschränkt sich bis heute nicht nur darauf, zu sagen, was er will und wann er will. Auch inhaltlich dominiert der alt Bundesrat seine Partei nach Aussagen von Beobachtern weiterhin.
Als sich die Wirtschaftsverbände vergangenen Herbst mit der SVP und den anderen bürgerlichen Parteien zusammensetzen wollen, um über die Umsetzung der Masseneinwanderungs- Initiative zu sprechen, kommt von mindestens einem der Teilnehmer eine klare Bedingung: Nicht der damalige Präsident Toni Brunner, sondern Blocher müsse an den Gesprächen teilnehmen. Der Grund ist simpel: Ausser Blocher könne niemand verbindliche Zusagen machen, so eine gut informierte Person. «Die Partei gehört ihm.»
Was nach Blocher kommt, gilt als ungewiss. Der Abgang des langjährigen Generalsekretärs Martin Baltisser diesen Frühling – interner Spitzname: «General» – habe in der Partei ein Vakuum hinterlassen, was die strategische Koordination anbelange. Gleichzeitig seien mit den Sitzgewinnen bei den Nationalratswahlen 2015 zahlreiche «neue Alphatiere» zur SVP-Fraktion gestossen, die mehr oder weniger offensiv um ihre Reviere kämpften. Die zwei prominentesten Beispiele heissen Roger Köppel und Magdalena Martullo-Blocher, Christoph Blochers Tochter.