Letzte Woche scheiterten im Parlament zwei Anläufe, um Drittstaaten die Weitergabe von Schweizer Waffen an die Ukraine zu ermöglichen. Am Montag lehnte der Ständerat eine Motion von FDP-Präsident Thierry Burkart ab – mithilfe der SP. Am Mittwoch versenkte der Nationalrat den entscheidenden Teil einer von der SP angeregten Motion – mithilfe der FDP.
Dabei hatte Burkart im Vorfeld zur Annahme der beiden Vorstösse aufgerufen: «Sonst ist der Schaden für unser Land gegenüber den westlichen Partnerstaaten gigantisch.» Doch eine Kombination aus Überforderung, parteipolitischen Ränkespielen und dem Reflex, sich bei Gegenwind hinter der Neutralität zu verkriechen, hatte zum doppelten Absturz geführt.
Selbst SP-Co-Präsident Cédric Wermuth räumte gegenüber «CH Media» ein, dies sei «keine Sternstunde des parlamentarischen Schaffens» gewesen. Gleichzeitig ist Thierry Burkarts Warnung ernstzunehmen. Denn während die Schweiz wieder einmal Nabelschau-Politik betreibt, wird die Debatte über die Waffenausfuhr in Europa und den USA genau verfolgt.
Dies zeigte sich im Januar am WEF in Davos. Während Bundespräsident Alain Berset behauptete, die Schweizer Neutralität werde im Ausland «gut verstanden», äusserten sich Schwergewichte wie der deutsche Vizekanzler Robert Habeck, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg exakt gegenteilig.
Führende Medien in Europa und den USA haben sich die Schweizer Haltung zum russischen Angriffskrieg ebenfalls vorgeknöpft. Die französische Zeitung «Le Monde» widmete den verweigerten Waffenlieferungen an die Ukraine im Februar einen Leitartikel mit dem vielsagenden Titel: «Die Schweiz kann sich nicht hinter ihrer Neutralität verschanzen.»
Schweiz-Korrespondent Serge Enderlin erklärte gegenüber watson, wie der westliche Nachbar die hiesige Debatte beurteilt: «Was wir derzeit beobachten, ist die Angewohnheit der Schweiz, sich bei Gewitter zu verstecken. Es ist nicht die Schweizer Neutralität, die derzeit unverständlich ist, sondern der Diskurs der Schweiz über ihre Neutralität.»
Weitaus polemischer tönte es aus dem deutschen Magazin «Der Spiegel». Der Politik- und Wirtschaftskolumnist Michael Sauga bezeichnete die Schweiz als «willigen Helfer des Kreml», auf den sich Putin «noch immer verlassen» könne. Bei der Lieferung von Munition entspreche sie weitgehend «den Idealen von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer».
Den grössten Teil seiner Kolumne widmete Sauga den in der Schweiz vermuteten Geldern russischer Oligarchen. Beim Aufspüren lege die Schweiz «keinen sonderlichen Ehrgeiz an den Tag». Beobachter gehen von 200 Milliarden Franken aus, von denen die Behörden ganze 7,5 Milliarden eingefroren hätten, «eine vergleichsweise bescheidene Summe».
Auf die enorme Diskrepanz zwischen vermuteten und blockierten Vermögenswerten geht auch die «New York Times» in einem am Wochenende veröffentlichten Artikel ein. Washington und Europa seien besorgt, dass die Schweiz die Sanktionen gegen Russland «nicht streng genug durchsetzt». Es gehe dem Land «weniger um Idealismus als ums Geschäft».
Westliche Diplomaten hätten das Gefühl, die Schweiz verfolge «eine Neutralität nach wirtschaftlichem Nutzen», zitierte die Zeitung einen westlichen Regierungsvertreter, der nicht namentlich genannt wurde, weil er «mit den Schweizern verhandelt». Es ist ein Vorwurf, mit dem die Schweiz von den USA schon nach dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert wurde.
Die Waffenfrage wird von der «New York Times» ebenfalls thematisiert. Sie verweist darauf, dass die Schweiz faktisch seit Jahrzehnten von den NATO-Mitgliedern beschützt werde und nun «keine Bereitschaft zeigt, diesen Ländern zu helfen». Zum Schaden ihrer eigenen Rüstungsindustrie, die laut einem Swissmem-Sprecher keine Bestellungen mehr erhalte.
Interessant sind auch die mehr als 300 User-Kommentare unter dem NYT-Artikel, die überwiegend Schweiz-kritisch sind. So werden die Schweizer etwa als «Feiglinge» und «Geschäftemacher» angeprangert. Ein Kommentar bringt es auf den Punkt: «Die Schweiz kann sich den Luxus der ‹Neutralität› leisten, weil andere Länder nicht neutral sind.»
Man könnte weitere Beispiele anführen. So hat das eher rechtslastige «Wall Street Journal» die Schweiz als «Stolperstein für die westliche Militärhilfe an die Ukraine» bezeichnet. Und ein Kommentar auf der Website Defense News erinnerte daran, dass der Bundesrat 2016 die Ausfuhr von Kriegsmaterial für die Flugabwehr an Saudi-Arabien bewilligt habe.
Dabei ging es um die Abwehr von Drohnenangriffen durch die Huthi-Rebellen im Jemen. «Genauso würde die Schweizer Flugabwehr-Munition in der Ukraine verwendet werden, sogar gegen die gleichen Drohen aus iranischer Produktion», schrieben die Analysten, die den Kommentar auf Defense News verfasst haben und mehr Druck auf die Schweiz fordern.
Der Vergleich hinkt, denn der Jemen-Krieg wird nicht als völkerrechtswidriger Angriff beurteilt, sondern als interner Konflikt, in dem sich Saudi-Arabien auf Seiten der international anerkannten Regierung engagiert. Die Kontroverse war jedoch ein Faktor, der zur Verschärfung des Kriegsmaterialgesetzes durch das Parlament vor zwei Jahren führte.
Sie ist neben dem Neutralitätsrecht der Hauptgrund, warum die Schweiz keine Weitergabe von Waffen an die Ukraine bewilligt. Die Berichte in den ausländischen Medien deuten darauf hin, dass sich das Verständnis in Europa und mehr noch in den USA in Grenzen hält. Und es dürfte weiter abnehmen, je länger der Krieg in der Ukraine andauern sollte.
Jetzt müsste diese Botschaft nur noch im Parlament ankommen. Und beim Bundesrat. Der bekräftigte am letzten Freitag ohne ersichtlichen Grund seine ablehnende Haltung in der Waffenfrage. Offenbar spürt er den Druck aus dem Ausland. An Einsicht aber mangelt es weiterhin, wie das Interview mit Alain Berset in der NZZ am Sonntag zeigt.
Auch wenn ein Wahljahr ist ist nicht die Zeit für parteipolitische Ränkespiele. Die Welt schaut zu und kratzt sich am Kopf.