Am Ende herrschten Konfusion und eine Menge Ärger. Der Nationalrat hat am Mittwoch entschieden, die Weitergabe von Schweizer Waffen durch Drittstaaten zu erleichtern. Er verlangt dafür jedoch eine Resolution des UNO-Sicherheitsrats. Die Verurteilung eines Angriffskriegs durch eine Zweidrittelmehrheit der UNO-Generalversammlung genügt nicht.
Über diesen Punkt wurde auf Antrag der FDP separat abgestimmt. Prompt trug sie dazu bei, ihn klar zu versenken. In der Wandelhalle enervierten sich Mitglieder von SP, GLP und Mitte nach der teilweise polemisch geführten Debatte über dieses Störmanöver. Es nützt der Ukraine nichts, weil der Sicherheitsrat durch Wladimir Putins Veto lahmgelegt ist.
Die Gesuche von Dänemark, Deutschland und Spanien für eine Weitergabe von Schweizer Waffen und Munition an das von Russland angegriffene Land bleiben blockiert. «Die Ukraine verteidigt unsere Werte», betonte die Zürcher SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf als Sprecherin der Sicherheitspolitischen Kommission (SiK). Doch sie fand kein Gehör.
Die Vorlage, über die am Mittwoch abgestimmt wurde, ging auf eine Anregung der SP zurück. Aus ihren Reihen wurde die Vermutung geäussert, das Nein der Freisinnigen sei eine Retourkutsche dafür, dass die SP am Montag eine andere Motion von FDP-Präsident Thierry Burkart zur Weitergabe von Waffen im Ständerat abgelehnt hatte. Dafür spricht einiges.
Denn kurz nach der Debatte bezeichnete die FDP in einer Mitteilung eine im Februar von der SiK beschlossene Kommissionsinitiative als «gangbaren Weg». Diese ist eigentlich ein «Kuhhandel», der die beiden Vorstösse von FDP und SP kombiniert. Und sie enthält auch den Passus zur UNO-Generalversammlung, den die FDP am Mittwoch bekämpft hat.
Mit anderen Worten: Billige Parteispielchen sind dafür verantwortlich, dass die Schweiz auf absehbare Zeit keine Wiederausfuhr von Kriegsmaterial an die Ukraine bewilligen kann. Etwas wohlwollendere Stimmen sehen darin einen (weiteren) Beleg dafür, dass ein Milizparlament mit solchen komplexen und dringlichen Vorlagen überfordert ist.
In einem Punkt aber sind sich Befürworter und selbst Gegner der Ukraine-Waffenhilfe einig: Eigentlich müsste der Bundesrat bei solchen Geschäften den Lead übernehmen. Doch der versteckt sich hinter dem Neutralitätsrecht, das eine Gleichbehandlung aller Kriegsparteien verlangt. Die Schweiz müsste demnach auch die Weitergabe an Russland ermöglichen.
«Die Annahme der Motion würde den Bundesrat in eine sehr schwierige Lage bringen», warnte Wirtschaftsminister Guy Parmelin am Mittwoch. Es fragt sich, wie lange die Schweiz damit durchkommt. Denn der Druck aus dem Ausland wird kaum abnehmen. So haben auch die in der Ostschweiz «eingemotteten» 96 Leopard-2-Panzer Begehrlichkeiten geweckt.
Ein Warnsignal ist zudem ein Doppelinterview mit der niederländischen Botschafterin Hedda Samson und ihrem französischen Kollegen Frédéric Journès in der «NZZ am Sonntag». Er warf der Schweiz vor, mit der blockierten Lieferung von Waffen und Munition ein europäisches Land daran zu hindern, «seine eigene Sicherheit zu verteidigen».
«Die EU-Länder verfolgen die derzeitige Debatte im Parlament sehr gespannt», sagte Samson. Sie vertritt ein Land, das der Schweiz in mancher Hinsicht ähnlich ist, etwa in der Offenheit für den Welthandel. Frankreich wiederum ist ein Schwergewicht in der EU und ein Nachbar, mit dem die Schweiz sprachliche und kulturelle Gemeinsamkeiten teilt.
Beide gehören zu jenen westeuropäischen Ländern, die zu lange viel zu nachsichtig gegenüber Wladimir Putin waren. Und die nun jene steile Lernkurve absolviert haben, mit der sich die Schweizer Politik trotz Übernahme der EU-Sanktionen gegen Russland weiterhin schwertut. Das könnte die Schweiz irgendwann teuer zu stehen kommen.
Zum Beispiel beim Handel mit Kriegsmaterial. In der am Montag veröffentlichten Exportstatistik 2022 stehen unter anderem Dänemark und Deutschland an der Spitze. Also zwei jener Länder, denen die Schweiz die Weitergabe an die Ukraine verbietet. Die Deutschen fragen sich bereits, ob die Schweiz noch ein zuverlässiger Lieferant sein kann.
«Falls sich alle europäischen Staaten zurückziehen würden, hätte die Schweizer Rüstungsindustrie ein Problem», sagte Simon Plüss vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) am Montag vor den Medien. Dabei geht es nicht nur ums Geld, sondern auch um die Reputation, wenn nur noch Länder wie Katar oder Saudi-Arabien bei uns einkaufen.
Noch dicker könnte es kommen, wenn sich die NATO-Mitglieder fragen, warum sich die Schweiz seit Jahrzehnten als Trittbrettfahrerin von ihnen beschützen lässt, wenn sie nicht einmal zu einer bescheidenen Gegenleistung bereit ist. Es ist durchaus vorstellbar, dass uns dafür irgendwann eine ziemlich gesalzene Rechnung ins Haus flattern wird.
Den Ernst der Lage scheint einzig Verteidigungsministerin Viola Amherd erkannt zu haben. Sie erfuhr kürzlich an der Münchner Sicherheitskonferenz, dass niemand Verständnis dafür hat, dass die Schweiz die Wiederausfuhr von bereits gekauften Waffen an die Ukraine blockiert. Und das in vermutlich deutlichen Worten, wie es im militärischen Bereich üblich ist.
In Interviews war Amherd ihr Unwohlsein anzumerken. Im Gesamtbundesrat und im Parlament aber stellt man sich taub. Das gilt nicht nur für die Neutralitäts-Fundis bei der SVP und die sich an ihr Pazifismus-Ideal klammernden Grünen. Auch der Zürcher SP-Ständerat Daniel Jositsch hielt am Montag ein feuriges Plädoyer für die Neutralität.
«Müssen wir jetzt jedem auf dieser Welt gefallen?», fragte er in der Debatte über die Motion von Thierry Burkart rhetorisch. Es wirkte wie ein spätes Echo auf ein Votum des damaligen Finanzministers Hans-Rudolf Merz (FDP) 2008 im Nationalrat: «An diesem Bankgeheimnis werdet ihr euch die Zähne ausbeissen», ermahnte er das Ausland.
Man muss nicht erwähnen, wie das am Ende herausgekommen ist.
Im Sinne der Ressourceneffizienz plädiere ich dafür, die Rüstungsindustrie der Schweiz herunterzufahren, damit erübrigt sich auch der Gewissenskonflikt und die Neutralitätsfrage ist auch geklärt.
Bestellt keine Waffen mehr in der Schweiz. Wir sind schwer auszurechnen. Einerseits liefern wir an Katar, andererseits nicht an die Ukraine. Und wegen der Weitergabe machen wir ein unsägliches Theater.
Wir sind ein Witz.