Der 1. August wird uns mehr oder weniger gehaltvolle Ansprachen bescheren. Dieses Jahr werden sie Hinweise liefern auf die Themen, mit denen die Parteien bei den Wahlen am 20. Oktober punkten wollen. Sie können sich am SRG-Wahlbarometer orientieren. Es zeigt nicht nur den Formstand der Parteien, sondern auch die grössten Herausforderungen für die Politik aus Sicht der Wählerschaft.
Auffällig dabei: Die Angst vor Arbeitslosigkeit, die auf der Sorgenliste lange weit oben rangierte, beschäftigt nur noch eine Minderheit. In der Schweiz herrscht praktisch Vollbeschäftigung, das nimmt diesem Thema die Brisanz. Auch Kriminalität oder Verkehr sind keine zugkräftigen Themen, wie das neuste Wahlbarometer von Anfang Juni zeigt. Was aber zieht beim Wahlvolk?
An alle bürgerlichen Politiker, die auf einen kühlen und feuchten Sommer gehofft haben: Pech gehabt! Zwei Hitzewellen liegen bereits hinter uns, mit Temperaturrekorden in Teilen Europas. Die Trockenheit ist nicht so extrem wie letztes Jahr, aber auch in diesem Sommer hoffen die Bauern nicht wie früher auf mehrere schöne und warme Tage, sondern eine längere Regenperiode.
Im Juni-Wahlbarometer wurde der Klimawandel erstmals als wichtigster Wahlgrund genannt. Dieser Trend wird sich verstärken. Im Hinblick auf die Wahlen lautet die Frage deshalb nicht, ob die Grün-Parteien zulegen, sondern wie stark. Für die anderen wird es schwieriger. Die FDP könnte mit ihrer intern umstrittenen «Öko-Kehrtwende» zu den Profiteuren gehören.
Für die Wählerschaft sind die Beziehungen zur EU durchaus relevant. Ob sie zu einem grossen Wahlkampfthema werden, ist jedoch zweifelhaft, aus drei Gründen: Das Rahmenabkommen wird von den meisten Parteien skeptisch bis ablehnend beurteilt. Nur BDP und GLP bekennen sich vorbehaltlos dazu, während die FDP ihr «Ja aus Vernunft» bereits wieder relativiert hat.
Einen Bruch mit der EU wollen sie aber nicht riskieren, weshalb sie versuchen, heikle Entscheide zum Abkommen bis nach den Wahlen hinauszuschieben. Und schliesslich ist das Thema für viele Wählerinnen und Wähler weit weg und kompliziert. Leidtragende ist die SVP, die seit Monaten vergeblich versucht, das Rahmenabkommen zum Thema ihres Wahlkampfs zu machen.
Für viele Menschen ist bei den Krankenkassenprämien langsam eine Schmerzgrenze erreicht. Das Thema ist auf der Sorgenliste der Bevölkerung stetig nach oben geklettert und belegt inzwischen einen Spitzenplatz. Aber taugt es auch als Wahlschlager? Wohl kaum. Die Politik tut sich seit Jahren schwer mit den notwendigen Reformen im Gesundheitswesen.
Das liegt an den Akteuren, die ihre Pfründe verbissen verteidigen, aber auch an der Bevölkerung. Wir jammern über die Prämien, aber bei der medizinischen Versorgung ist nur das Beste gut genug, inklusive Spital gleich um die Ecke. Dieser Widerspruch mag ein Grund dafür sein, dass die CVP die Unterschriften für ihre Kostenbremsen-Initiative nur mit Mühe zusammenbringt.
Den Reformbedarf hat mittlerweile auch die Bevölkerung erkannt. Der Befund aber ist der gleiche wie im Gesundheitswesen: Reformen sind leichter gesagt als getan. So fordern Bürgerliche und Wirtschaft immer dringlicher eine allgemeine Erhöhung des Rentenalters. Aber welche Partei wird so waghalsig sein und mit dieser Forderung in den Wahlkampf ziehen? Vielleicht die FDP?
Seit Anfang Juli liegen zudem Reformvorschläge für die erste und die zweite Säule auf dem Tisch. Sie nehmen der Debatte die grösste Brisanz. Als Wahlkampfthema darf man die Altersvorsorge nicht ganz abschreiben. Aber allzu hoch werden die Parteien das Thema kaum hängen.
Das Ausländerthema stand in der Sorgenliste lange ganz oben. 2015 profitierte die SVP von der Flüchtlingskrise und den Querelen um die Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative. Heute ist es nicht verschwunden, aber die grösste Brisanz ist weg. Der Rückgang bei der Zuwanderung und den Asylgesuchen sorgt dafür, dass nur ein Viertel der Wählerschaft es als wichtig erachtet.
Das bedeutet, dass sich kaum viel mehr als die Kernwählerschaft der SVP damit mobilisieren lässt. Und so lange Italiens Innenminister Matteo Salvini das Mittelmeer «abriegelt» und der Flüchtlingsdeal mit der Türkei hält, wird sich daran kaum etwas ändern.
Das Thema Gleichstellung mag im SRG-Wahlbarometer nur etwa 15 Prozent beschäftigen. Dennoch wäre es keine Überraschung, wenn es sich am Wahltag stärker manifestiert als andere, vermeintlich wichtigere Themen. Und das liegt nicht nur am Frauenstreik. Vieles deutet darauf hin, dass sich die Sitzzahl der Frauen im Parlament nach langer Stagnation deutlich erhöhen wird.
Bei den letzten kantonalen Wahlen war dies bereits der Fall. Selbst in einem eher konservativen Kleinkanton wie Appenzell Ausserrhoden legten die Frauen deutlich zu. In Zürich haben sie neu die Mehrheit in der Kantonsregierung. Selbst im Ständerat, wo es lange düster aussah, haben sich die Perspektiven für eine Zunahme des weiblichen Anteils verbessert.
Auf einen relativ hohen Wert im Wahlbarometer kommt auch der Komplex Unabhängigkeit und Souveränität, doch er dürfte in erster Linie den harten Kern der SVP-Wählerschaft umtreiben. Der wichtige Bereich Natur- und Landschaftsschutz – Stichwort Biodiversität – droht von der Klimadebatte überschattet zu werden. Andere brisante Themen sind nicht in Sicht. Es wird immer wahrscheinlicher, dass es in knapp drei Monaten tatsächlich zu einer «Klimawahl» kommen wird.
[Dieser Kommentar kann Zynismus enthalten]