Seit heute Morgen sind sie da: die US-Zölle auf Schweizer Produkte. Damit ist Realität geworden, was viele bis zum absolut letzten Zeitpunkt nicht wahrhaben wollten. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf – hat man sich doch so grosse Mühe gegeben, dem angeblichen Schweiz-Freund Donald Trump die Treue zu halten.
Die Schweizer Exportindustrie sieht sich mit unfassbar hohen Zöllen konfrontiert. Wirtschaftsverbände wie Swissmem oder Economiesuisse sind sichtlich in Aufruhr und warnen vor den Folgen. Am Montag stürzten die Börsen weltweit und in der Schweiz ab. Nach einer kurzen Erholung ging es am Mittwoch weiter nach unten. Und die Konjunkturforschungsstelle der ETH schätzt, dass die US-Zölle das Schweizer BIP je nach Umsetzung, Reaktionen und Zeithorizont um 0,2 bis 0,6 Prozent pro Jahr verringern könnten. Wirtschaftsexpertinnen und -experten weltweit rechnen zunehmend mit einer Rezession.
Dabei stand doch immer schon fest: Wenn die Schweizer Wirtschaft einmal in solch arge Not getrieben wird, dann garantiert von linker Seite.
Was müssen sich alle links der Mitte bei jedem Vorstoss, jeder Initiative anhören, wie schädlich ihre Vorschläge doch seien für die Wirtschaft. Wie sie absolut kein Ökonomie-Verständnis haben. Andernfalls wüsste man doch: Eine Erbschaftssteuer ist kompletter Unsinn, eine Elternzeit würde uns ruinieren. Der Sozialstaat muss ab- und nicht ausgebaut werden – weil er sonst zur Gefahr für die Wirtschafts- und Finanzlage wird. Grosse Konzerne dürfen auf keinen Fall stärker in die Pflicht genommen und Klimamassnahmen sollten nur in Eigenverantwortung umgesetzt werden.
Die ganze Angst, mit der bei jeder Abstimmung von bürgerlicher Seite um sich geworfen wurde, wird in diesen Tagen und Wochen komplett in den Schatten gestellt. Und zwar von der – realen – Angst bis hin zur Panik, vor dem, was jetzt im Turbo eintrifft, respektive was noch kommt.
Ausgelöst wurde das nicht etwa von höheren Reichensteuern, sondern von einer ultra-rechten Regierung – respektive vom irrationalen ökonomischen Vandalismus einer einzigen Person. Nicht bezahlbare Kitas, Diversity-Programme in den Firmen oder eine Konzernverantwortungsinitiative ruinieren in Echtzeit die Schweizer Wirtschaft, sondern ein Zerstörungswütiger im Weissen Haus.
Dabei haben sich doch so viele eine Wahl von Trump gewünscht.
Wir erinnern uns: Bundesrat Albert Rösti «tendierte eher zu Trump» als US-Präsident. Begründung: «Er ist der einzige Präsident, der Amerika vier Jahre lang nicht in einen Krieg geführt hat.» An einen Handelskrieg hat der SVP-Bundesrat offenbar nicht gedacht – obwohl Trump seit jeher damit prahlt. Derweil schreit Röstis Partei bei allem auf, was an Vorgaben aus der EU kommt, als wäre es eine Kriegserklärung.
Magdalena Martullo-Blocher gab noch vor einiger Zeit zwar zu, dass der neue US-Präsident den Märkten Unsicherheit bringen könnte. Am Schluss gehe es ihm aber immer um die Wirtschaft und wegen der Zölle machte sie sich zumindest für ihr Unternehmen keine Sorgen. Stattdessen sagte Martullo-Blocher, Trump liebe ja die Schweiz – im Gegensatz zur EU.
Weil Trump «ein Businessman» sei, könnte er aus wirtschaftlicher Sicht für positive Effekte sorgen, glaubte der ehemalige SVP-Chef Marco Chiesa. Und: «Ich erwarte keine hohen Zölle für die Schweiz, weil wir gute Produkte mit guter Qualität haben.»
Nicht nur in der Schweiz, sondern überall in Europa wird die Rechte gerade mit einer unangenehmen Realität konfrontiert und die Enttäuschung über das Verhalten eines vermeintlichen Freundes dürfte schwer wiegen. Ein Tamedia-Meinungsbeitrag brachte dies kürzlich auf den Punkt: Entgegen dem Glauben in den entsprechenden Kreisen, kann es keine internationale Rechte, also keine freundschaftliche Zusammenarbeit unter den Strömungen, geben – weil es am Schluss eben zu deren DNA gehört, dass jeder für sich selber schaut.
Doch man muss nicht mal so weit rechts schauen, um die grossen Optimisten im Hinblick auf Trumps Präsidentschaft zu finden. Es waren gerade die Stimmen aus der Wirtschaft, die kaum Probleme im Vorfeld zu erkennen mochten.
In einer SRF-«Arena» im August sagte Rahul Sahgal, CEO der Schweizerisch-Amerikanischen Handelskammer, dass es für die Schweizer Wirtschaft wohl keinen grossen Unterschied machen würde, wer in den USA Präsidentin oder Präsident werde.
Verleger und FDP-Mitglied Markus Somm meinte in derselben Sendung, dass die Schweiz mit den Republikanern stets weniger Probleme hatte als mit den Demokraten. Und sowieso:
Und doch – here we are. Und Trump kündigt Pharma-Zölle an, «wie man sie noch nie gesehen hat».
Einem Meinungsbeitrag des NZZ-Chefredaktors durfte man noch vor der Wahl entnehmen, dass die Angst vor einem Sieg Donald Trumps in Europa zu einer Hysterie geworden sei. Dabei sei Kamala Harris aussenpolitisch das grössere Risiko.
Am interessantesten war aber Karin Keller-Sutters Reaktion auf die Ankündigung der willkürlichen Zölle letzte Woche. Deren Gesichtsausdruck offenbarte eine Enttäuschung, die keinen anderen Schluss zuliess: Die Bundespräsidentin glaubte tatsächlich, dass die USA unter Trump noch immer Freund statt Feind seien – und dass der US-Präsident eine gewisse Rationalität besitze. Schliesslich ist niemand so blöd, sich derart ins eigene Fleisch zu schneiden. Auch Trump ist doch am Ende nur ein Homo oeconomicus.
Ähnlich irritiert zeigten sich übrigens ihre Parteikollegen, die Nationalräte Christian Wasserfallen und Simon Michel. Wasserfallen auf X: «Heute die Frage des Tages in vielen Ländern: Wie kommt Trump auf ‹61 Prozent Tarif›, den die Schweiz den USA belastet? Die Schweiz hat kürzlich die Industriezölle abgeschafft!» Dabei war sich Wasserfallen doch so sicher, dass «die Trump Präsidentschaft weniger heiss gegessen als sie gekocht wird».
Jö wie herzig die SP. Ihr träumt ja heute noch vom #Sozialismus, jener Staatsform, welche die Menschen einsperren und überwachen will. Hört auf zu heulen und akzeptiert diese demokratische Wahl und die Tatsache, dass #Marktwirtschaft den Menschen mehr bringt als Sozialismus! https://t.co/ePuYQ2ggrs
— Christian Wasserfallen (@cwasi) November 6, 2024
Nun ist «Zurückkrebsen» und Fehler eingestehen nie einfach, noch weniger für Politikerinnen und Journalisten. Man hat aber derzeit das Gefühl, dass es nicht mal versucht wird. Als Reaktion auf die Salve an Hiobsbotschaften aus den Staaten hörte man stattdessen jeweils eine von zwei Ausreden.
Ausrede Nummer eins: Trump setzt nur seine Wahlversprechen um! Das stimmt nicht. Sein für die Wählerschaft mit Abstand wichtigstes Wahlversprechen war es, die Verbraucherpreise «ab Tag eins» zu senken. Jetzt gehen Ökonomen davon aus, dass die Inflation in den USA wieder massiv ansteigen wird.
Ausrede Nummer zwei: Das wird er schon nicht durchziehen! Spätestens wenn er realisiere, dass seine Zölle die Preise im Inland steigern, könne Trump das nicht mehr hochhalten. Ganz so, als ob sein bisheriges Verhalten eine gewisse Rationalität versprechen könnte. Dabei müsste doch jedem, der irgendwie versucht, den nächsten Schritt dieser Administration vorherzusehen, langsam klar sein: Trump agiert nicht rational. Und: Es kommt eigentlich immer schlimmer, als man denkt.
Und selbst wenn dem so wäre und Trump morgen seine Zölle alle zurücknehmen würde – der Schaden ist längst angerichtet. Denn kein Gift ist so fatal für ein Wirtschaftssystem wie die Unsicherheit. Und diese wird uns jetzt noch lange begleiten: Kein Unternehmen ist so dumm, jetzt im grossen Stil irgendwo (geschweige denn, in den USA) zu investieren. An der Börse wird es weiter rumpeln; wo der Boden ist, weiss zurzeit niemand.
Doch auf bürgerlicher Seite herrscht noch immer verdächtig lautes Schweigen über den Urheber der ganzen Misere.
Dabei hat die NZZ, die am Mittwochmorgen – dem Morgen, an dem die Zölle in der Schweiz in Kraft traten – in einem zweiseitigen Interview der Finanzministerin noch die Gelegenheit gegeben, sich zumindest ein wenig zu korrigieren. So fragte die Zeitung Keller-Sutter: «Was dachten Sie, als Donald Trump seine Tafel mit den Zöllen hochhielt?»
Ihre Antwort: «Es ist manchmal besser, nicht alle Gedanken mit der Öffentlichkeit zu teilen.»
Es ist ein Satz, den sich Keller-Sutter lieber zu Herzen genommen hätte, als sie das Europa- und Demokratie-Bashing des US-Vize J.D. Vance lobte – und nicht jetzt, als es darum geht, Fehler einzugestehen.
Und die NZZ selbst? Der Chefredaktor zeigt sich erstaunlich verschwiegen in Bezug auf den Trump'schen Zollhammer. Ein Sinneswandel ist allerdings nicht in Sicht – noch Anfang April schrieb Gujer im Hinblick auf die US-Militärschläge gegen die Houthis doch tatsächlich: «Der Zoll-Krieger Trump verteidigt den freien Welthandel.»
Nun können Rösti, Keller-Sutter oder die NZZ natürlich nichts dafür, dass Trump gewählt wurde. Und die Zeichen mehren sich, dass Politik und Wirtschaftsvertreter die Situation ernst nehmen, die Trump-Lobhudelei bei Seite lassen und Notfallpläne schmieden.
Gleichzeitig sollten sie aber spätestens jetzt Rückgrat zeigen und die Verantwortung dafür übernehmen, im Vorfeld die Risiken einer weiteren Trump-Amtszeit so heruntergespielt zu haben. Denn damit haben sie es verhindert, Volk und Wirtschaft bereits früh genug zu signalisieren, dass jetzt Ungemach droht – und wie man als Regierung darauf reagieren könnte. Stattdessen hat man wieder, ganz in Schweizer Tradition, abgewartet, gehofft und die Lage beobachtet. Auf Selbstkritik oder die Erkenntnis, dass man sich getäuscht hat, wartet man bislang vergebens.
Dabei wäre es langsam an der Zeit, sich einzugestehen: Die grösste Gefahr für die Wirtschaft sind nicht die Regulierer von links – es sind die Zerstörer von rechts. Für die Zukunft und unsere Wirtschaft wäre es wünschenswert, wenn sich die bürgerliche Mehrheit dieser Realität annehmen könnte. Denn rechte Zerstörer lauern überall, es gibt sie nicht nur in den USA.
Ein Schmankerl ist mir aber doch ins Auge gestochen:
Schliesslich ist niemand so blöd, sich derart ins eigene Fleisch zu schneiden.
Unterschätzt nie Donny. Denn er ist der grossartigste den die Welt je sah. Er schafft das.