Ein weiterer Skandal erschütterte am Wochenende die Autobranche. Die Stuttgarter Zeitung machte publik, dass die Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit, kurz EUGT, dubiose Experimente an Abgasversuche an Affen und Menschen in Auftrag gab.
Als Vertreter des Vereins EUGT traten Faport AG, Daimler, BMW und Volkswagen auf. Als Ziel gaben sie an, den aktuellen Wissensstand zu «umweltmedizinischen relevanten Auswirkungen des Verkehrs» zu dokumentieren, Studien und Daten «insbesondere im Bereich der Komplexität von Luftgemischen» zu bewerten.
2015 wurden die ersten Abgasversuche an Affen durchgeführt. Ein Jahr später folgten Versuche mit Menschen. Federführender Wissenschaftler bei Letzteren war Thomas Kraus, Professor für Arbeits- und Umweltmedizin am Uniklinikum Aachen.
Kraus engagierte laut einem Report der EUGT 25 junge, gesunde Testpersonen, die im Wochenabstand jeweils für drei Stunden unterschiedlichen Stickstoffdioxid-Konzentrationen ausgesetzt wurden. Kraus holte dafür laut eigenen Angaben ein Votum der Ethikkommission der Fakultät ein. Die Kommission gab ihm grünes Licht und stufte den Versuch als vertretbar ein.
Ein Blick auf die Schweiz zeigt: Auch hier hätten solche Versuche durchgeführt werden können.
Ja. Die meisten Tierversuche werden vor allem durch Hochschulen und Industrie durchgeführt. Dazu gehören Wirksamkeitsprüfungen von Medikamenten oder pharmakologische Unbedenklichkeitsprüfungen. Wer medizinische Versuche an Tieren durchführen will, muss ein entsprechendes Gesuch bei der zuständigen kantonalen Behörde einreichen. Darin müssen die Forscher unter anderem aufzeigen, dass der Nutzen für die Gesellschaft stärker ins Gewicht fällt als das Leiden des Tieres.
Bei der Forschung an Menschen sieht es etwas anders aus. Lange war die Humanforschung in der Schweiz uneinheitlich und lückenhaft geregelt. Seit 2014 ist das Humanforschungsgesetz in Kraft. Es regelt jedoch nur die Forschung zu Krankheiten des Menschen und zur Funktion und Aufbau des menschlichen Körpers. Wer dazu forschen möchte, braucht eine Bewilligung des Heilmittelinstituts Swissmedic sowie der zuständigen Ethikkommission.
«Grundsätzlich ja», bestätigt Peter Kleist von der Ethikkommission des Kantons Zürich. Denn ein solcher Versuch fiele in der Schweiz, höchstwahrscheinlich nicht unter das Humanforschungsgesetz und müsste somit auch nicht von der Ethikkommission bewilligt werden. Grund dafür: Bei dem Abgasversuch handelt es sich nicht primär um Forschung am Menschen, der Zweck ist ein anderer. Wenn also eine Schweizer Firma Probanden für ein solches Projekt findet, muss sie lediglich die Bestimmungen zum Datenschutzgesetz einhalten.
«Solche Abgasversuche mit Menschen sind aber extrem bedenklich», sagt Kleist. «Die Probanden werden einem potenziell schädlichen Gas ausgesetzt, dessen Einflüsse aber nur kurzfristig überprüft werden.» Der Informationsgehalt des Versuchs sei somit extrem klein. So können laut Kleist – bei fehlendem Nutzen – auch kleinste Risiken kaum gerechtfertigt werden.
Ja. Ein Komitee sammelt derzeit Unterschriften für eine Volksinitiative, die ein Tier- und Menschenversuchsverbot verlangt. Irene Varga, Co-Präsidentin der Initiative, verurteilt die von der EUGT durchgeführten Abgasversuche scharf. «Ich wäre sehr schockiert, wenn Schweizer Unternehmen ebenfalls Menschenversuche im In- und Ausland durchführen lassen würden.» Bisher seien ihr Humanversuche nur im Pharmabereich bekannt. Diese lehnt sie ebenfalls ab.
Vargas geht davon aus, dass sich viele Probanden nur für Versuche zur Verfügung stellen, weil sie auf Geld angewiesen oder schlecht informiert sind: «Firmen locken häufig mit einem finanziellen Zustupf. Zusätzlich wird häufig der gesundheitliche Aspekt heruntergespielt und falsche Sicherheit vorgegaukelt.»
Besonders bei schwer erkrankten Personen, die an Forschungsstudien teilnehmen, spielt laut Varga ein weitere Motivation eine wichtige Rolle: «Für viele ist es der verzweifelte Griff nach dem letzten Strohhalm, in der oft irrigen Annahme, dass man nichts mehr zu verlieren habe.»