Eigentlich sollte es nur eine kleine Reparatur sein, dachte sich ein Leser unserer Zeitung. Seine Uhr der Marke Omega, die er einst günstig aus zweiter Hand erstanden hatte, wies einen Defekt auf. «Keinen schlimmen, die Uhr funktionierte schliesslich noch», sagt der Leser. Doch um die Uhr vor Folgeschäden zu bewahren, suchte er einen Uhrmacher auf. Dieser sagte ihm: Klar, die Uhr könne man reparieren, aber nicht hier. Die Uhr müsse eingeschickt werden, zu Omega, dort werde wahrscheinlich ein Vollservice fällig, da die Uhr ja schon relativ alt sei. Nur: Bei Omega summierte sich der Vollservice bei dieser Uhr auf 800 Franken. «Das war doch sehr überraschend für mich», meint der Leser, «die Uhr hat damals viel weniger gekostet.» Doch der Uhrmacher konnte im Geschäft nichts reparieren, und die Preise von Omega seien fix. Faktisch könnte eine kleine Reparatur von jedem gelernten Uhrmacher durchgeführt werden, ist sich der Leser sicher. Wieso machen sie es dann nicht?
Seit einiger Zeit sind Analoguhren wieder im Trend, erst kürzlich berichtete der britische «Guardian» darüber. Schweizer Uhren würden bei der Generation Z ein «Gefühl der Nostalgie und Vertrautheit erzeugen» und trotz des Griffs zum Handy zwecks Zeitüberprüfung vermehrt gekauft. Uhrmacherinnen und Uhrmacher haben auch deshalb immer mehr zu tun. Doch insbesondere bei Luxusuhren sind ihnen oft die Hände gebunden.
«Ein bekanntes Problem für uns», sagt ein unabhängiger Uhrmacher, «und nicht erst seit kurzem.» Er bekomme fast keine Ersatzteile für Schweizer Luxusuhren. Viele Hersteller solcher Uhren beliefern nur zertifizierte Servicecenter. Das hat vor einigen Jahren zu einer Vorabklärung durch die Wettbewerbskommission (Weko) geführt.
Auslöser für die Vorabklärung von 2018 waren Beschwerden von unabhängigen Uhrmachern gewesen, die sich durch verschiedene Uhrenhersteller benachteiligt gefühlt hatten. Im Zentrum stand die Frage, ob die Weigerung der Swatch-Gruppe, LVMH, Rolex, Richemont, Audemars Piguet und Breitling, die Unabhängigen zu beliefern, kartellrechtlich problematisch sei. Die Weko kam zum Schluss, dass es sich um «Wettbewerbsabrede» handelte und stellte fest, dass die grossen Hersteller ihre Ersatzteile nur unter bestimmten Bedingungen unabhängigen Uhrengeschäften verkauften. Doch im Einklang mit einem wegweisenden Entscheid der EU zur selben Thematik entschied sich die Weko, keine Untersuchung zu eröffnen. Punktuell würde die Behörde heute nach wie vor Meldungen aus dem Markt erhalten, wie die Weko auf Anfrage mitteilte.
Der unabhängige Uhrmacher versteht die Vorbehalte der Uhrenhersteller auch ein Stück weit. Denn die Qualität müsse stimmen. Wenn Pfuscher die Arbeit schlecht ausführten, könnte das auf die Marke zurückfallen und deren Ruf ramponieren. «Deshalb verwende ich auch ausschliesslich Originalersatzteile und keine Nachahmerprodukte.» Denn die Qualität dieser könne nicht immer so einfach überprüft werden.
Breitling schreibt auf Anfrage, dass die Firma ein globales Netzwerk von mehr als 300 zertifizierten Stellen unterhalte, die Breitling-Uhren warten können. «Damit stellen wir sicher, dass der Breitling-Qualitätsstandard eingehalten wird, und schützen so Kundschaft und Marke.» Die Swatch Group, zu der die unter anderem die Marken Longines, Omega oder Rado gehören, verhält sich ähnlich: «Um die Qualität sicherzustellen, wenden unsere Marken seit Jahren eine selektive Distribution für Ersatzteile und das Erbringen von Dienstleistungen an.» Dieses habe sich sehr bewährt. Unter der Voraussetzung, dass die von der Swatch Group vorgegebenen qualitativen Kriterien erfüllt werden, könne sich ein unabhängiger Uhrmacherbetrieb von der Marke zertifizieren lassen.
Das Beispiel des Lesers zeigt ein grundlegendes Problem bei Luxusuhren auf: Die Handhabung der Reparaturen variiert stark unter den Herstellern. Gemäss Robert Grauwiller, Präsident des Verbandes Schweizer Goldschmiede und Uhrenfachgeschäfte, veröffentlichen Uhrenhersteller Preislisten für Reparaturen als Empfehlung. Bei diesen ist der Spielraum in der Preisgestaltung für die Fachgeschäfte oft klein, denn Reparaturen sind kein Haupterwerbszweig.
Weiter führt Grauwiller aus, dass zwischen den einzelnen Uhrenmarken eklatante Unterschiede im Bereich Uhrenreparatur bestehen. Ein Fachgeschäft mit Rolex-Vertretung ist gehalten, einen Grossteil der anfallenden Rolex-Reparaturen im eigenen Atelier durchzuführen. Omega und weitere Marken der Swatch Group haben ein freiwilliges Zertifizierungsprogramm, bei welchem Uhrmacher ihr handwerkliches Können und Fachwissen unter Beweis stellen. Zusätzlich werden Forderungen zur Ausrüstung des Uhrenateliers gestellt, deren Erfüllung rasch einen mittleren fünfstelligen Betrag kostet. Andere Hersteller wiederum haben kein Zertifizierungsprogramm und liefern deshalb auch keine Ersatzteile, die für die Reparatur einer Uhr unerlässlich sind. Entsprechend ist der Endkunde hier bei einer Reparatur dem Hersteller ausgeliefert.
Vor einigen Jahren hat das Konsumentenmagazin «Espresso» darüber berichtet, dass bei einer Reparatur in den Herstellerwerkstätten zudem oft Mehrkosten anfallen würden. Es käme immer wieder vor, berichtet das Magazin nach seiner Recherche, dass Revisionen durchgeführt werden würden, die nicht zwingend nötig wären. Wenn es sich – ähnlich wie beim vorliegenden Fall des Lesers – um eine kleinere Reparatur handle, bestünde das Risiko, dass der Hersteller eine Revision dennoch für notwendig hält. Das bestätigt auch ein unabhängiger Uhrmacher, der sagt, dass «zu viele teure Revisionen durchgeführt werden». Als Laie zu beurteilen, ob eine Revision wirklich nötig sei, ist hingegen schwierig. Die Hersteller und Verkäufer empfehlen, Uhren alle fünf bis zehn Jahre revidieren zu lassen.
Dass unnötige Revisionen durchgeführt werden, verneinen die Hersteller. Breitling schreibt, dass die Uhr einen Diagnoseprozess durchlaufe, um den technischen und ästhetischen Zustand zu bewerten. Wenn die Uhr die technischen Kriterien von Breitling nicht erfülle, wird «der entsprechende technische Eingriff als erforderliche Serviceleistung vorgeschlagen». Komponenten, die die ästhetischen Kriterien nicht erfüllen, würden hingegen als Option vorgeschlagen. Danach würde dem Kunden ein Kostenvoranschlag zugestellt. Dieser werde dem Kunden nicht in Rechnung gestellt, wenn er den Service nicht in Anspruch nehmen möchte. Auch die Swatch Group schreibt auf Anfrage: «Wir bieten nicht zu viele Komplettservices an.» Bei gewissen Marken der Gruppe könne eine abgelehnte Offerte jedoch Kosten beim Kunden verursachen. Das liege daran, dass für eine Offerte, gleich wie bei Breitling, eine genaue Diagnose der Uhr durchgeführt werden müsse. Und eine solche «ist je nach Uhrenmodell zeitintensiv, da die Uhr teilweise auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt werden muss».
Der Leser unserer Zeitung hat schliesslich die für ihn «bittere Pille» geschluckt und lässt die Uhr nun bei einem zertifizierten Servicecenter revidieren. Dieses entschuldigte sich schon vorab, dass es etwas länger dauern werde – rund acht Wochen. Doch die Uhrmacherin habe dem Leser versichert, dass die Uhr «wie neu» zurückkäme. Und dann, hinter vorgehaltener Hand, dass die nächste Revision wohl erst in zwanzig Jahren fällig sein werde. Und nicht, wie die Hersteller sagen, in fünf bis zehn.
Es ist wirklich so einfach ;))