Frau Funiciello, die «Spekulationsstopp-Initiative» der Juso wurde 2016 mit 59,9 Prozent abgelehnt, die «1:12-Initiative» 2013 gar mit 65,3 Prozent. Die Prognose sei gewagt: Weil Neiddebatten in der Schweiz schlecht ankommen, werden die Juso mit der 99-Prozent-Initiative ihr schlechtestes Ergebnis machen.
Tamara Funiciello: Weshalb? Unsere Initiative hat nichts mit Neid zu tun. Heute ist es so, dass jeder Lohnfranken fünffach besteuert wird, während ein Grossteil der Kapitalgewinne steuerfrei bleiben. Das ist ungerecht – und der Gerechtigkeitssinn der Schweizer ist sehr ausgeprägt, das hat man beispielsweise beim Nein zur Unternehmenssteuerreform III (USR III) gesehen. Hinzu kommt: In der Schweiz wird momentan abgebaut, als ob es kein Morgen gebe: im Kanton Luzern werden Zwangsferien eingeführt, allerorten Prämienverbilligung gekürzt. Unsere Initiative bringt Steuereinnahmen, um diesen Abbau zu stoppen.
Bei wirtschaftspolitischen Vorlagen von links argumentieren die Gegner häufig mit dem Verlust von Arbeitsplätzen, der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und dem Steuersubstrat. Dem «Tages-Anzeiger» sagten Sie, «es sei viel zu kompliziert, einfach abzuhauen». Da müssen Sie argumentativ aber noch zulegen bis zum Abstimmungskampf.
In der Schweiz haben wir einen hohe Lebensqualität, grosse politische Stabilität und eine hervorragende Infrastruktur. Man verlässt dieses Land nicht einfach so, weil die Steuern steigen. Viel wichtiger aber: Dieses «race to the bottom», die dauernden Steuersenkungen für die Reichsten im internationalen und interkantonalen Steuerwettbewerb müssen aufhören. Sie schaden allen anderen, den 99 Prozent, die täglich «krampfen», das kann es nicht sein. Irgendwann müssen wir damit beginnen, aus dieser Geiselhaft der Superreichen auszubrechen und uns nicht weiter von ihnen erpressen zu lassen. Das ist keine Demokratie mehr!
Die Linke hat an der Urne Erfolg, wenn sie per Referendum gegen wirtschaftspolitische Vorlagen der Bürgerlichen ankämpft – Stichwort USR III – aber verliert mit eigenen Vorlagen eigentlich immer deutlich. Ist ihre Initiative einfach nur für die Galerie gedacht?
Volksinitiativen haben es in der Schweiz generell schwierig, das ist kein spezifisches Problem der Linken. Uns geht es auch um die Sensibilisierung: Wir haben ein Gerechtigkeitsdefizit und dagegen wollen wir ankämpfen. Aber wir spielen, um zu gewinnen, das ist klar. Wie Marx sagte: «Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren.»
Die titelgebenden 99 Prozent waren ein populäres Schlagwort der «Occupy Wall Street»-Bewegung, welche im Herbst 2011 kurzzeitig für Furore sorgte. Setzen Sie nicht auf ein abgelutschtes PR-Schlagwort?
Wir machen nicht PR, wir machen Politik, von deren Richtigkeit wir überzeugt sind. Tatsache ist, dass die grosse Mehrheit, die 99 Prozent, unter dem derzeitigen, ungerechten Steuersystem leiden. Daran hat sich seit 2011 nichts geändert. Für sie setzen wir uns ein.
Die Juso hat den Anspruch, der Stachel im Fleisch der Sozialdemokratie zu sein. Wie reagiert man bei der SP auf ihre Initiative?
Die Juso ist eigenständig und haben eine Basis, die unabhängig über unsere Politik entscheidet. Die SP und wir gehen aber in die gleiche Richtung, nur unternehmen wir manchmal unterschiedliche Schritte auf dem Weg dahin. Bei der 99-Prozent-Initiative bekommen wir aber viel Unterstützung aus der SP und auch von den Grünen.