Der beliebte Sonntagsbrunch findet nun am Samstag statt. Denn am Sonntag bleiben die Filialen der Bäckerei Füger in Mörschwil, Steinach und St. Gallen wegen Personalmangels seit Oktober geschlossen.
Der Aarauer Traditionsgasthof «Zum Schützen» war früher sieben Tage die Woche geöffnet. Nun legt er seit August am Montag einen Ruhetag ein. Zudem hat er seinen Catering-Betrieb drastisch reduziert. Lieber weniger, dafür perfekt, lautet die Antwort der Betreiberfamilie auf den Fachkräftemangel.
Die Pendler, die auf den Bus 5 vertrauten, der Kriens mit Emmenbrücke verbindet, müssen seit November ausweichen. Die Luzerner Verkehrsbetriebe haben die Linie 5 wegen Chauffeurmangels eingestellt, vorübergehend jedenfalls. Reduktionen im Fahrplan gibt es auch bei den Verkehrsbetrieben Zürich (VBZ). Dort fahren die Trams und Busse seit Dezember und voraussichtlich bis Ende Jahr am Abend ab 20.30 Uhr und bis etwa 22.30 Uhr nur noch alle 15 statt wie bisher alle 10 Minuten. Damit spart der Betrieb werktags 3 Prozent aller Dienste ein. Noch härter trifft es die Rhätische Bahn: Dort werden ab März Linien verkürzt und einzelne Züge gestrichen. Eine Strecke wird ganz auf Busbetrieb umgestellt.
Problematisch ist die Situation auch im Detailhandel. In den grossen SBB-Bahnhöfen etwa, in denen die Bahn lange Mindestöffnungszeiten durchsetzt, haben viele Geschäfte Mühe, genügend Mitarbeitende zu finden. Das sei in Gesprächen mit den Geschäftsmietern unter anderem wegen des Fachkräftemangels regelmässig ein Thema, sagt SBB-Sprecher Moritz Weisskopf. Trotzdem wollen die SBB derzeit an den langen Öffnungszeiten festhalten, damit die Bahnhöfe attraktiv bleiben.
Der Ruf nach Personal bleibt laut, der Fachkräftemangel für viele Firmen eine Herausforderung. Das widerspiegelt sich auch im Swiss Job Tracker, mit welchem die Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich in Echtzeit die Anzahl online ausgeschriebener Stellen in der Schweiz misst. Der Index ist weiterhin sehr hoch, auch wenn er im Verlauf des vergangenen Jahres ganz leicht gesunken ist.
Gleichzeitig häufen sich die Schlagzeilen über Massenentlassungen: UBS, Migros, Post und zahlreiche Industriefirmen haben in den vergangenen Wochen und Monaten einen Stellenabbau angekündigt. Die Arbeitslosenquote, die während zwei Jahren um die 2-Prozent-Linie oszillierte, stieg gemäss Angaben des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) im Januar auf 2,5 Prozent.
Leicht zugenommen haben auch die Anmeldungen bei der Kurzarbeit, wie Seco-Sprecher Fabian Maienfisch sagt. «Wir gehen hier von einem weiteren Anstieg aus.» Angesichts der für einige exportorientierte Betriebe konjunkturell eher negativen Entwicklung dürften sich jetzt mehr Unternehmen vorsorglich bei der Kurzarbeit anmelden. «Das bedeutet aber nicht, dass sie dann auch wirklich Kurzarbeitgelder beantragen müssen», ergänzt Maienfisch.
KOF-Arbeitsmarktexperte Michael Siegenthaler erklärt diese vermeintlichen Widersprüche auf dem Arbeitsmarkt in erster Linie mit den unterschiedlichen Entwicklungen in den verschiedenen Branchen: «Vor allem die Industrie leidet unter der weltwirtschaftlichen Schwäche», betont Siegenthaler. Komme etwa in Deutschland die Autoindustrie ins Stocken, dann hätten auch die hiesigen Zulieferbetriebe weniger zu tun. Ebenfalls mit Einbussen kämpften derzeit der Grosshandel, der Detailhandel und der Temporärmarkt. Dieser sei seit Monaten rückläufig. «Arbeitskräfte mit befristeten Verträgen sind jeweils die ersten, die ihre Stelle verlieren, wenn es zum Beispiel in der Industrie schlecht läuft.»
Etwas entspannt hat sich die Personalsituation im Gastgewerbe, wie der KOF-Experte ergänzt. Die Suche nach Personal sei zwar noch immer ein grosses Thema, aber der Arbeitskräftemangel sei nicht mehr so ausgeprägt wie noch vor einem Jahr. Ganz anders ist laut Siegenthaler die Situation etwa in der Informatik, im Ingenieurwesen oder in gewissen Berufen im Verkehrswesen. Hier fehlt es weiterhin massiv an Fachkräften.
Zahlreich sind die Klageberichte aus dem Gesundheitswesen. Beim Spitex-Dienst der Stadt Zürich etwa leisten die Angestellten notorisch Überstunden – bis sie dann erschöpft und enttäuscht kündigen. Und damit die Situation weiter verschärfen. Denn die Personalrekrutierung bleibt trotz verhältnismässig guter Löhne schwierig.
Das Fazit des Experten: Trotz konjunktureller Dellen in der Industrie und im Handel bleibt der Schweizer Arbeitsmarkt insgesamt angespannt. Der vorausschauende Beschäftigungsindikator der KOF ist «im historischen Vergleich noch immer hoch», wie Siegenthaler ergänzt. Und er dürfte hoch bleiben. Zu gewichtig sind die strukturellen Faktoren als Folge der «Verrentung der Babyboomer», wie Siegenthaler es ausdrückt. Sprich: Mit dem Austritt der geburtenstarken Jahrgänge von 1946 bis 1964 aus dem Arbeitsmarkt wird der Fachkräftemangel strukturell grösser.
Die Schweiz füllt die demografisch bedingten Lücken mit hoher Zuwanderung, mehrheitlich aus Europa. Doch in Zukunft dürfte das nicht mehr so einfach gehen, denn erstens leiden auch die anderen europäischen Nationen an Fachkräftemangel. Und zweitens nimmt der politische Druck auf die Migration weiter zu.
So schnell wird sich also nichts ändern an der Personalfront. Restaurants, Spitäler und Transportunternehmen müssen sich also etwas einfallen lassen, wie sie ihr Geschäft anpassen und als Arbeitgeber attraktiver werden können. Und wie sie allenfalls auch Quereinsteiger für sich gewinnen können.
Letzteres versuchen derzeit die Zürcher Verkehrsbetriebe. Sie haben eine Kampagne gestartet, mit der gezielt Über-fünfzig-Jährige für die Arbeit im Bus und Tram angesprochen werden sollen. Studien zeigten, dass die Generation 50 plus «vital und leistungsbereit» sei und sie die Arbeitgeber bei der Rekrutierung «viel zu wenig auf dem Schirm» hätten, hält der VBZ-Rekrutierungschef fest. Die Stadtpolizei Zürich wiederum erweitert ihr Rekrutierungsbecken, indem sie die Ausbildungseinschränkungen gelockert hat – etwa in Bezug auf Alter und Deutschkenntnisse. War früher Mundart noch Pflicht, reicht mittlerweile Hochdeutsch.
Manchmal müssen Unternehmen auch mehr bieten als nur einen Job, wie das Beispiel des neuen Hotels «Maistra 160» in Pontresina zeigt. Die Hoteliers haben den Hotelneubau gleich mit einem 11 Millionen Franken teuren Personalhaus ergänzt. Ohne, sind die Hoteliers überzeugt, liessen sich die Angestellten nicht im Engadiner Nobelort halten, denn diese könnten sich angesichts der hohen Mieten keine Wohnungen leisten.
Lohnerhöhungen können ebenfalls helfen bei Personalnotstand. Und manchmal sind es nur die kleinen Dinge, welche den Arbeitsort aufwerten. Die VBZ zum Beispiel versuchen die Arbeit bei ihnen attraktiver zu gestalten, etwa dank einer flexibleren Einsatzplanung mit weniger langen Pausen zwischendurch – und seit 2023 dank der Erlaubnis, beim Fahren Musik zu hören. Denn mit dem richtigen Sound fährt es sich offenbar lieber, wie die Erfahrung der Basler Verkehrsbetriebe gezeigt hat, wo das Trampersonal schon seit 2022 Musik hören darf. (aargauerzeitung.ch)