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Fechten? Einst ein puritanischer Sport in muffigen Hallen mit dem Groove einer Bezirksschul-Aula. Heute eine grandiose Show. Szenen, die an Science-Fiction Filme wie «Raumschiff Enterprise» mahnen. Männer in weissen, verkabelten Overalls, ähnlich wie Raumanzüge. Mit blinkenden Lichtern auf dem Kopf. Grüne und rote Lämpchen leuchten bei jedem Treffer auf. Sie fechten mit Degen, nicht mit Lichtschwertern. Sonst wäre es das perfekte Raumschiff-Szenario.
In dieser Show, die sich von den ersten Gefechten ab 10 Uhr bis zum Final gegen 19 Uhr hinzieht, spielen zwei Schweizer eine Hauptrolle. Eigentlich wären es drei. Aber der Berner Fabian Kauter (30) bleibt bereits in der zweiten Runde auf der Strecke. Und so obliegt es dem Luzerner Max Heinzer (29) und dem Basler Benjamin Steffen (34) ein dramatisches Kapitel helvetischer Olympiageschichte zu schreiben. Zwei, verschieden wie Feuer und Wasser. Ihr Pech ist es, dass sich ihre Wege mit dem späteren Sieger Park Sangyoung (20) aus Südkorea kreuzen werden.
Max Heinzer ist in der Form seines Lebens. Voll natürlichem Testosteron. Charismatisch, wild und doch konzentriert und kontrolliert. Er kämpft federnden Schrittes. Jede Faser seines Körpers gespannt. Angriffslustig wie ein Raubtier. Er wirkt unbesiegbar. Nach den Siegen in der ersten und zweiten Runde schreit er seine Freude mit drei, vier Urschreien heraus in die Arena. Schlägt sich auf die Brust. Ein bisschen Tarzan. Ein bisschen Superman. Dieser Eindruck ist keine Täuschung. Er wird später sagen: «Ich war topfit, alles stimmte, die Fitness, der Killerinstinkt. Ich traute mir alles zu.» Die Tore in den olympischen Himmel, zu goldenem Ruhm schienen sperrangelweit offen. Wer sollte ihn auf dem Weg dorthin noch aufhalten?
Niemand. Er tut es nämlich selbst. Im Viertelfinal muss er gegen obengenannten Park antreten, den späteren Olympiasieger. Aber jetzt ist der Südkoreaner noch ein Gegner in der Reichweite des Luzerners. Mit ihm müsste er fertig werden.
Oder doch nicht? Das Gefecht um den Einzug in die Halbfinals beginnt. Und nichts ist mehr so, wie es bisher war. Irgendetwas muss vorgefallen sein. Max Heinzer, der Mann, der unbesiegbar schien, hat die Aura des Supermannes verloren. Als habe jemand den Stecker gezogen.
Was ist los? Voodoo? Er unterliegt in nur vier Minuten und acht Sekunden sang und klanglos 4:15 und wird hinterher sagen, er könne sich nicht erinnern, je so hoch verloren zu haben. Er hat seltsam passiv begonnen, gerät in Rückstand und versucht dann mit ein paar Verzweiflungsangriffen im Kamikazestil noch etwas zu retten. Der Gegner lässt ihn eiskalt auflaufen.
So unverhofft wie Max Heinzer ist selten ein olympischer Favorit aus dem Himmel der Erwartungen gefallen. «From Hero to Zero». Ein paar Minuten nach der Niederlage löst er das Rätsel auf. Er ist verwundet in dieses Gefecht gestiegen. Er hatte gewusst, dass er keine Chance haben würde. «Ich wärme mich immer intensiv auf. Damit ich heiss bin. Während des Aufwärmens habe ich mir bei einem Sprint eine Verletzung zugezogen.» Er könne die Verletzung nicht genau diagnostizieren. Ein Krampf oder eine Zerrung im rechten Wadenbein und im rechten Oberschenkel. «Ich hoffe, dass es nur ein Krampf und nicht so schlimm ist und dass ich für den Mannschaftswettkampf am Sonntag wieder fit bin.»
War nichts mehr zu machen, nichts mehr zu retten? Mit Massage oder so? «Nein, es blieben nicht einmal mehr zehn Minuten. Ich versuchte, mich zu beruhigen und alles was wir noch tun konnten, war die Verletzung vor dem Gegner geheimzuhalten.» Er wirkt wie unter Schock und sagt: «Ich fühle mich, als hätte ich gar nicht gekämpft.» Die Enttäuschung werde sich wohl erst später einstellen. Und er sagt mehrmals, er wolle die Verletzung nicht als Ausrede verstanden wissen. «Ich bin selber schuld.» Aber es braucht es nicht zu sagen. Es ist offensichtlich. Ohne dieses Malheur hätte er eine sehr, sehr, sehr gute Siegeschance gehabt.
Benjamin Steffen kommt eine Runde weiter. Bis in den Halbfinal. Der sanfte Riese ist mit 1,89 m zehn Zentimeter grösser als Max Heinzer. Er hat weniger Charisma und Temperament und mahnt mit seinem freundlichen, kontrollieren Wesen und Wirken ein bisschen an einen verträumten Intellektuellen. Kein Tiger wie Heinzer. Eher ein flinker Bär. Aber Park Sangyoung wird auch sein Verhängnis. Und es ist, als habe auch er sein Scheitern geahnt. Vor dem Halbfinalegegen den Heinzer-Bezwinger sagte er: «Ich habe noch nichts erreicht, jetzt kommen die entscheidenden Gefechte.» Er hätte noch einen von zwei Kämpfen gewinnen müssen, dann hat er seine erste Medaille gehabt.
Aber verliert gegen den Südkoreaner klar (9:15) und ist auch im Bronze-Gefecht gegen den französischen Weltranglistenersten Gauthier Grumier chancenlos (11:15). «Ich wusste, dass nach einer Halbfinalniederlage, dass es gegen diesen Gegner schwer werden würde. Meine Teamkollegen haben mich vor dem Kampf wieder aufgemuntert.» Aber nach gutem Beginn habe er sich nach zwei Beintreffern verunsichern lassen.
Rio sind wahrscheinlich seine letzten Spiele und für ihn ist nach dem verlorenen Bronze-Gefecht klar: «So kann ich nicht abtreten». Er und Max Heinzer bekommen am Sonntag mit der Mannschaft noch einmal eine Medaillen-Chance. Beide haben es immerhin im olympischen Einzel unter die besten Acht der Welt gebracht. Dafür gibt es ein olympisches Diplom. Ein schwacher Trost, diplomierte olympische Verlierer zu sein.