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Du willst nur das Beste? Voilà:
watson: Wie sah Ihr Arbeitstag beim Gold-Lauf des Schweizer Leichtgewichtsvierers aus?
Tom Rosenheck: Vor dem Finalrennen sollte unsere Arbeit eigentlich bereits erledigt sein. Wenn es dann noch
Probleme gibt, haben wir unsere Hausaufgaben nicht richtig gemacht. Es ist aber trotzdem wichtig,
vor dem Start stets präsent zu sein. Das gibt den Athleten Sicherheit. Das Rennen selber sah ich mir
zusammen mit den Schweizer Fans auf der Tribüne im Zielbereich an. Die Erleichterung nach dem Sieg
war riesig. Die übliche Regenerationsmassage und das Eisbad konnten danach mit gutem Gewissen
auch mal ausgelassen werden.
Nach dem Sieg ging für Rosenheck der Arbeitstag normal weiter. Erst als das Duo Wiederkehr/Schmid am Nachmittag seinen Halbfinal abgeschlossen hatte, war Feierabend. Es blieb gerade noch genügend Zeit, sich im olympischen Dorf bereit zu machen für die Medaillenfeier am Abend.
Als wir uns im «House of Switzerland» das erste Mal begegneten, wurden die
Goldmedaillengewinner gerade auf der Bühne von Bundesrat Parmelin beglückwünscht, während Sie unbemerkt im Publikum neben mir gestanden haben. Ist das nicht ein bisschen unfair?
Natürlich steht der Athlet im Zentrum, er hat die Leistung vollbracht. Aber es geht tatsächlich
leider oft vergessen, was es im Hintergrund alles braucht. Dabei meine ich nicht nur das medizinische
Team, sondern auch den Teamchef und den Trainer. Das ist schade.
Wie meinen Sie das?
Dass unsere vier Athleten Olympiagold gewinnen konnten, lag entscheidend an den in den
letzten zwei Jahren von Cheftrainer Ian Wright eingeleiteten Veränderungen. Auch wir vom
medizinischen Team konnten im Vorfeld durch intensive Betreuung entscheidende Probleme lösen,
damit die vier Ruderer im Final keinerlei Beschwerden hatten.
Neben Rosenheck besteht das Medical Team aus Thomas Rymann, dem medizinischen Sportmasseur, und dem betreuenden Arzt Dr. Stefan Sannwald. Der Finallauf des siegreichen Quartetts dauerte 6:20 Minuten. Die tägliche Präsenzzeit des Medical Teams ist von morgens um sieben Uhr bis abends um elf Uhr, mit Fokus auf die Abendstunden nach den täglichen Trainings oder Wettkämpfen. Das Team war während den letzten fünf Wochen täglich für die Athleten im Einsatz.
Die Goldmedaille krönte eure harte Arbeit der vergangenen Wochen. Wie sieht eure Belohnung
aus?
(lacht). Prämien gibt es gemäss meinem Vertrag keine. Nein ernsthaft, das ist mir auch nicht
wichtig. Was ich ein bisschen schade finde, ist, dass es von den Organisatoren in keiner Form eine
Anerkennung gibt. Nichts was ich als Erinnerung aufhängen könnte. Dafür habe ich es umso mehr
geschätzt, als mir einer der Athleten das offizielle Athletengeschenk, eine dreidimensionale Figur des
Olympialogos, schenkte. Die Wertschätzung von den Athleten und deren Umfeld empfinde ich als sehr
hoch.
Die Öffentlichkeit interessiert sich oft erst für Physiotherapeuten, wenn etwas schief läuft. So
geschehen bei Robert Harting. Der vormalige Diskus-Olympiasieger holte sich in Rio de Janeiro
beim Löschen des Lichtes einen Hexenschuss und schied tags darauf bereits in der Qualifikation
aus. Wieso konnte der Physiotherapeut nicht helfen?
Eine solche Verletzung taucht bei einem Athleten praktisch nie aus dem Nichts auf. Da gibt es
normalerweise eine Vorgeschichte. In diesem Fall war die Bandscheibe wohl vorgeschädigt. Dann
braucht es häufig nur noch eine Bagatelle und nichts geht mehr.
Wie oft holen sich Ruderer einen Hexenschuss?
In unserer Sportart sind Beschwerden in der unteren Lendenwirbelsäule und im Rippenbereich häufig. Die Anforderungen und die damit einhergehende tägliche Belastung der Sportler hat
in den letzten Jahren stark zugenommen. Heute absolvieren die Athleten pro Tag zwei Trainings im
Wasser plus eine Einheit im Kraftraum. Ebenso hat die Intensität zugenommen. Man trainiert viel
mehr mit Wettkampfgeschwindigkeit. Die Linie, wie weit man gehen kann, ist dünn. Aber vor
dem Rennen wusste ich, dass die Jungs gesundheitlich absolut topfit sind.
Auch Rosenheck ist fit, ist er doch leidenschaftlicher Läufer und trainiert regelmässig im Kraftraum. Leistungssportler war er aber nie. Ebenso wenig aktiver Rudersportler. Seinen Olympia-Einsatz verdankt er seinem Job in der Schulthess Klinik. Diese hat mit dem Schweizerischen Ruderverband einen Kooperationsvertrag zur Betreuung der Athleten. Seit 2003 ist Tom für die Fachgruppe verantwortlich.
Wie ist dein Verhältnis zu den Athleten?
Ich kenne die Athleten häufig seit Juniorenzeiten. Bei grösseren Problemen ist ein Sportler
täglich bei mir in der Rehabilitation. Oft geht es lustig zu und her, meist redet man nicht nur übers
Rudern. Ich würde fast behaupten, ich kenne gewisse Ruderer besser als manche Verwandte. Das
Allerwichtigste ist aber Vertrauen und das erreicht man nur, wenn man aufrichtig und offen
kommuniziert. Ich rede nie etwas schön, damit sich die Athleten zu 100 Prozent auf meine Aussagen
verlassen können.
Wie geht es darüber hinaus im Ruderzirkus zu und her?
Sehr kollegial und familiär. Man klopft einander bei einem Sieg auf die Schulter. Unter den
Betreuern tauscht man sich ebenfalls aus. Ich habe schon Teams ausgeholfen, die keinen
Physiotherapeuten hatten. Das ist eigentlich Ehrensache. Aber es ist eine Gratwanderung, denn diese
kleineren Länder fahren heutzutage durchaus auch an der Spitze mit. Vor nicht allzu langer Zeit habe
ich einem Team geholfen, dass jetzt an den Olympischen Spielen eine Medaille gewonnen hat.
Hast du in Rio andere Teams unterstützt?
Nein, das wäre zu heikel. Teilweise ist der Tenor in der Szene heute ohnehin, anderen Teams
grundsätzlich nicht mehr zu helfen. Im Speziellen bei den Amerikanern wurden wir dazu angehalten,
aufgrund der anderen Handhabung der Haftung, nicht medizinisch zu helfen. Ein Fehlgriff und man
kann verklagt werden. Daneben wäre es auch zeitlich schwierig gewesen, da die Wochen hier in Rio
sehr intensiv waren. Aber gleichzeitig war es ein unglaublich eindrückliches Erlebnis. Trotzdem freue
ich mich sehr, in die Schweiz zurückzukehren und nach so langer Zeit meine Tochter und meine
Lebenspartnerin endlich wiederzusehen.