Fussballerisch ist das Derby vom Samstagabend schnell erzählt. Bei einem mauen Kick im Letzigrund trennten sich der FC Zürich, der bereits in der 1. Spielminute in Führung ging, und die Grasshoppers, die noch vor der Pause ausglichen, 1:1. Für mehr Schlagzeilen sorgte das Geschehen neben dem Platz.
In der ersten Halbzeit blieb es im Stadion fast durchgehend ruhig. Die eine Kurve war so gut wie leer, weil die GC-Fans während des Marschs von der Polizei eingekesselt wurden. Die Südkurve solidarisierte sich mit den gegnerischen Fans und verzichtete bis zur Pause auf Support.
«Das ist ein grosser Skandal», tobte GC-Captain Amir Abrashi in der Halbzeitpause am SRF-Mikrofon über die Polizei-Massnahme, «das ist eine Frechheit! Es geht wieder mal gegen uns und unsere Fans, die von Woche zu Woche hier sein wollen, und dann lassen sie sie nicht rein. Wir spielen hier eigentlich mit einem Mann weniger.»
Damit dürfte der 34-Jährige vielen GC-Fans aus der Seele gesprochen haben. Unter anderem auch Martin Huber*, der am Samstag beim Fanmarsch dabei war und mit watson über den Vorfall gesprochen hat. Der Fanmarsch startete vom Turbinenplatz und führte über die Duttweilerbrücke zum Stadion. Der übliche Treffpunkt auf der Josefwiese wurde von der Polizei verboten, nachdem auch die FCZ-Fans angekündigt hatten, sich dort versammeln zu wollen.
* (Name geändert)
Auf der Duttweilerbrücke wurden die Fans von der Polizei jedoch eingekesselt. «Ich und auch andere Fans waren sehr überrascht. Es war weder aggressiv noch gab es gröbere Sachbeschädigungen», berichtet Huber, der weit hinten gelaufen sei. In der Folge seien alle GC-Fans einzeln kontrolliert und durchsucht worden – darunter auch Kinder. Im Gegensatz zu anderen Fans, die teilweise mehrere Stunden festgesetzt wurden und das Spiel so verpassten, kam Huber relativ schnell weg und rechtzeitig zum Spielstart ins Stadion.
«Es hinterlässt natürlich kein gutes Bild von der Polizei, wenn auch Minderjährige abgetastet und durchsucht werden, ohne dass sie etwas getan haben», erklärt Huber, der klarstellt: «Man sollte aber nicht die Polizisten verantwortlich machen. Die machen nur ihren Job.» Huber kritisiert hingegen die Leute, welche das Kommando gegeben haben.
Zahlreiche GC-Fans werden auf der Duttweilerbrücke festgehalten und verpassen damit das Spiel. Das Zürcher Derby anschliessend ohne Stimmung. Ein trauriger Abend für den Schweizer Fussball. pic.twitter.com/5Co3t2ruga
— Nik Dömer (@nikdoemer) December 1, 2024
Die Zürcher Stadtpolizei begründete das Eingreifen mit dem Zünden von etwa einem Dutzend Böllern seitens der GC-Fans. «Da beim letzten Derby die GC-Fans über hundert dieser Böller, die ein grosses Gesundheitsrisiko darstellen, zündeten, musste man davon ausgehen, dass es auf der weiteren Umzugsroute zu weiteren Zündungen von den gefährlichen Knallkörpern kommen könnte», heisst es in der Mitteilung der Stadt.
Huber vermutet darin eine vorgeschobene Begründung: «Ich hatte das Gefühl, dass die Aktion geplant war. Sie haben nur darauf gewartet, dass ein Böller gezündet wird, damit sie eingreifen können.» Unter anderem die Tatsachen, dass es im Vergleich zu früheren Fanmärschen eher ruhig war und bereits eine mobile Toilette bereitstand, verleitet ihn zu dieser Annahme.
Ebenfalls dieser Meinung ist der Aargauer Anwalt Simon Käch, der die Einsatzleitung der Polizei sowie die beteiligten Polizistinnen und Polizisten und allfällige übergeordnete Beamte oder Behörden, die den Einsatz genehmigt haben, anklagt. Die Anzeige beinhaltet die Vorwürfe von mehrfachem Amtsmissbrauch, mehrfacher Freiheitsberaubung sowie Nötigung. Im Schreiben an die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl, das CH Media vorliegt, schreibt Käch, dass der Einsatzort nicht zufällig gewählt worden sei und eine massive und organisierte Logistik erfordert habe. Für den Anwalt, der ebenfalls GC-Fan ist, ist deshalb klar, dass es kein spontaner Entscheid der Einsatzleitung, sondern eine von langer Hand orchestrierte Aktion gewesen sein müsse.
So könne sich die Polizei «profilieren und zeigen, dass sie wieder mal etwas gemacht hat», glaubt Huber. Auf Anfrage von watson erklärte die Stadtpolizei: «Eine Kontrolle von Fanmärschen muss geplant und vorbereitet werden und kann sowohl aus personellen als auch aus materiellen Gründen nicht oder nur im äussersten Notfall ad hoc erfolgen.»
Bei der Durchsuchung der 591 Fans wurde Vermummungs- und pyrotechnisches Material sichergestellt. Das Bild, welches die Stadtpolizei veröffentlicht hat, zeigt auch zwei Stichwaffen und mehrere Dosen Pfefferspray.
Es gebe in seinen Augen keinen Grund, ein Messer zu einem Fussballspiel mitzunehmen, sagt Huber, doch würde man wohl auch bei einer Durchsuchung von 600 Leuten am Samstagabend beim Bahnhof Stadelhofen oder der Langstrasse einige Waffen finden. «Das macht mich wütend, dass sie einen GC-Fanmarsch auseinandernehmen und dann ein paar Messer und Petarden präsentieren, um so zu tun, als hätten sie die ‹Richtigen›.»
Dass die FCZ-Fans gleichzeitig vom Klingenpark – ebenfalls im traditionellen GC-Revier im Kreis 5 – über die Langstrasse zum Stadion marschierten und dabei von der Polizei grösstenteils unbehelligt blieben, empfindet Huber als «Hohn». «Wenn man dann Videos sieht, auf denen es lauter knallt als bei uns, muss man schon sagen, dass da nicht der gleiche Massstab angesetzt wurde», so der GC-Anhänger, der vermutet: «Einen Fanmarsch der Grasshoppers zu stoppen ist sicher einfacher als beim FCZ.»
Hierzu schreibt die Stadtpolizei, dass beim FCZ auf dem gesamten Marsch lediglich sechs Böller gezündet wurden, während es bei GC schon zu Beginn mehr gewesen seien. Ausserdem erklärte sie: «Das Verhalten der FCZ-Fans wurde ebenfalls dokumentiert und sollte künftige wieder ein vermehrter Einsatz dieser enorm gefährlichen Böller festgestellt werden, würde die Polizei auch bei den Fans des FC Zürich entsprechende Massnahmen durchsetzen.»
Am meisten ärgert Huber jedoch, dass das Aufhalten des Fanmarschs in seinen Augen das eigentliche Problem in keinster Weise angehe und lediglich eine «Alibi-Massnahme» sei.
Mit dem grösseren Problem meint Huber die Gewalteskalation in den letzten Jahren, die sich eben nicht mehr nur auf die Derbys und das Gebiet rund ums Stadion beschränkt, sondern längst auf die ganze Stadt und gar darüber hinaus ausgeweitet hat. So verwüsteten zum Beispiel FCZ-Fans einen GC-Stand am Züri Fäscht und griffen an der Chilbi in Wiesendangen Fans der Grasshoppers an.
Huber sagt dazu: «Natürlich gibt es auch bei GC Idioten, aber die Gewalt geht grösstenteils von den FCZ-Fans aus. Für diese sollte es GC als zweiten Verein in der Stadt gar nicht geben.»
In der Stadt könne man sich nicht mehr als GC-Fan erkenntlich zeigen, ohne zu riskieren, angegriffen zu werden. So nehme Huber zu Derbys keine Fanutensilien mehr mit, da es passiere, dass Leute aufgefordert werden, die Jacke zu öffnen oder die Taschen zu leeren. «Wenn man da einen GC-Schal oder ein Trikot dabei hat, hat man ein Problem», so Huber. Selbst bei Heimspielen, an denen der FCZ nicht beteiligt ist, halte er den Schal versteckt, bis er im Stadion sei.
Der zweifache Vater spricht von «struktureller Gewalt im Alltag» und erklärt auch, sich permanent Sorgen um seine Kinder zu machen: «Sie müssen wegen FCZ-Fans extrem aufpassen. An der Schule gibt es Drohungen, Sachen werden geklaut. Man weiss nie, was passiert.» Dagegen werde viel zu wenig unternommen, so Huber, der davon spricht, dass die Polizei die Schuld an einer Gewalttat teilweise beim Opfer suche. So sei ein Kollege von ihm nach einem Angriff einer Gruppe Jugendlicher auf dem Polizeiposten fast als erstes gefragt worden, ob er Fanutensilien von GC getragen habe, weil die Südkurve in der Gegend aktiv sei. «Das zeigt doch schon, dass das kein Einzelfall ist», sagt Huber. Umso wütender machen ihn deshalb Vorfälle wie am Samstag.
Huber glaubt, dass die Politik und die Polizei in gewisser Weise Angst vor den organisierten Zürcher Fans habe und diese auch deshalb gewähren liess, während man den GC-Anhang deutlich repressiver behandelt habe. Mit dem Stoppen des Fanmarschs habe die Politik die falschen Schlüsse gezogen, findet Huber, der darin Symbolpolitik sieht, «um in der öffentlichen Wahrnehmung besser dazustehen».
Dass er auch das Derby vom Dienstagabend im Cup-Achtelfinal besuchen werde, steht für Huber trotzdem ausser Frage. «Ich schaue gerne Fussball und man muss auch etwas Farbe bekennen!»
Stellt euch vor, beide Fanggruppen gehen zusammen friedlich und fröhlich ins Stadion um ihre Mannschaft anzufeuern, und nachher zu feiern oder zu betrauern. Beide Gruppen respektieren sich, die Gewinner geben den Verlierern einen aus. Es bräuchte keine Polizei, kein Gejammere, kein Einziehen von verbotenen Gegenständen, keine zusätzlichen Kosten, auch nicht für den Steuerzahler, keine negativen Schlagzeilen usw.
Warum sollen die denn nicht durchsucht werden? Wenn man das nicht macht werden die einfach als Lastesel benutzt.
What were you wearing?
Jetzt auch bei männlichen Gewaltopfern, die nur Fussball schauen und ihren Verein unterstützen wollten.