Mit einem geschätzten Vermögen von 2,25 Milliarden Franken ist sie einer der reichsten Menschen der Schweiz: Vicky Mantegazza, Präsidentin beim HC Lugano. Wer schon einmal mit der 52-Jährigen zu tun hatte, rühmt sie für ihre Bescheidenheit, Jovialität, Herzlichkeit und Empathie. Ein ganz anderes Gesicht zeigt Mantegazza im Fall von Sabrina Maurer, der Frau des damaligen Lugano-Verteidigers Marco Maurer, der heute bei Biel unter Vertrag steht.
Der 4. Januar 2014, ein Samstag, verändert ihr Leben für immer. Maurer sitzt in der zweiten Reihe hinter der Spielerbank. Ein Schuss eines Lausanners wird von einem Tessiner abgelenkt, der Puck fliegt über die Bande und trifft sie im Gesicht. Sie verliert dabei ihr linkes Auge und lebt seither mit einer Prothese. Seither schwelt auch der Konflikt zwischen Maurer und Lugano. Die Haftungsfrage ist ungeklärt, Lugano lehnt jegliche Verantwortung ab.
Sabrina Maurer leidet noch immer unter den Folgen des Unfalls. Und noch immer kämpft sie um eine Entschädigung für Lohnausfall und Folgekosten, die das Glasauge verursacht, das alle zwei Jahre ersetzt werden muss. Zahlen möchte Urs Hochstrasser, der Maurer vertritt und sich auf Versicherungs- und Haftpflichtfragen spezialisiert hat, nicht kommentieren. Es dürfte sich dabei aber, inklusive Genugtuung, etwa um einen durchschnittlichen Jahreslohn für einen NLA-Spieler und damit um einen tiefen sechsstelligen Frankenbetrag handeln.
Der angestrebte Vergleich scheiterte, Sabrina Maurer reichte eine Strafanzeige wegen «fahrlässiger Körperverletzung mit schwerer Schädigung» ein. Spätestens seit dann sind die Fronten verhärtet. Lugano-Sprecher Luca Righetti sagt: «Wir sind uns keiner Schuld bewusst.» Er argumentiert, die Nationalliga habe die Resega, das Stadion der Tessiner, als reglementskonform taxiert. Ein Gutachten widerspricht dieser Darstellung. Dort steht: «Der HC Lugano als Veranstalter hat die Vorschriften des einschlägigen Reglements missachtet. Er ist damit seiner Schutzpflicht gegenüber dem Zuschauer ungenügend nachgekommen.»
Demnach hätte in der Resega von der Kurve bis zu den Spielerbänken eine mindestens 80 Zentimeter hohe Scheibe aus Plexiglas die Zuschauer schützen sollen. Trotzdem erteilte die Liga die Lizenz ohne Auflagen. Dass die Tessiner die rund vier Meter breite Lücke, die Sabrina Maurer zum Verhängnis wurde, im Sommer 2014, also ein halbes Jahr nach dem Unfall, schlossen, sei nicht als Schuldeingeständnis zu verstehen, sagt Righetti: «Das hat andere Gründe und ist auf Wunsch der Stadt Lugano geschehen.»
Für Hochstrasser ist der Fall hingegen klar. «Dass es so weit kommen musste, hat drei Gründe. Erstens: totale Arroganz und Ignoranz. Zweitens: Die Faktenlage wurde falsch eingeschätzt. Und drittens: Lugano ist wohl schlecht versichert.»
Teilweise griff Luganos Anwalt, Mario Postizzi, zu abenteuerlichen Argumenten. So habe Sabrina Maurer a) kein gültiges Ticket gehabt und b) für das Ticket nicht bezahlt. Das ist absurd, denn zwei Saisonkarten waren damals Bestandteil des Arbeitsvertrags zwischen Marco Maurer und dem HC Lugano. Dass Staatsanwalt Antonio Perugini die Anzeige in erster Instanz als nicht prüfenswert taxierte, bezeichnete Maurers Anwalt als Witz und legte Berufung gegen das Verdikt ein
Nun kann er einen ersten Teilerfolg verbuchen, die Beschwerde wurde gutgeheissen, der Fall muss neu beurteilt werden, Mantegazza noch einmal aussagen. «Eine Ohrfeige für die Staatsanwaltschaft», sagt Hochstrasser. Ihm missfällt die Art und Weise, wie Lugano den Fall behandelt. Vor dem Untersuchungsrichter hatte Mantegazza gesagt, sie wisse auch nicht so genau, wie das mit der Sicherheit sei.
Und Postizzi sagte gemäss Hochstrasser: «Frau Mantegazza hat andere Dinge zu tun, als sich um solche Banalitäten wie Sicherheit zu kümmern.» Für eine Stellungnahme ist sie gemäss Righetti nicht zu erreichen: «Für uns hat sich nichts geändert.» Die Beschwerdeinstanz sieht das anders und hat die Neubeurteilung der Faktenlage angeordnet. Für Sabrina Maurer geht es gemäss Anwalt Hochstrasser aber um mehr als nur um Schadenersatz. Sie will endlich mit der Geschichte abschliessen.