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Der Verstand sagte vor dem Viertelfinale: Der SC Bern ist gegen Qualifikationssieger ZSC Lions chancenlos. Der SCB putzt die Zürcher 4:0 weg. Der Verstand sagte vor dem Halbfinale: Der SC Bern ist gegen Meister HC Davos chancenlos. Der SCB putzt die Davoser 4:1 weg.
Der Verstand sagt vor dem Finale: Der SCB (Triumphator über die ZSC Lions und den HCD!) braucht gegen den HC Lugano nicht mehr als fünf Spiele zum Titel.
Führt uns der Verstand erneut in die Irre? Das Finale ist jedenfalls gänzlich unberechenbar. Weil wir nicht wissen, ob es dem SCB oder Lugano gelingt, die eigene Spielkultur durchzusetzen. Und weil wir nicht wissen, wie und ob der SCB auf einen Rückschlag reagieren kann.
Bisher ist der Puck IMMER den Weg der Berner gegangen. Sie haben in beiden Serien das erste Spiel auswärts gewonnen und die Führung nicht mehr aus der Hand gegeben und sind auf den Wogen des Selbstvertrauens schliesslich ins Finale gesurft. Wir wissen nicht, wie robust die Berner mental tatsächlich sind.
Ist Lugano besser als die ZSC Lions und Davos? Nicht besser, aber anders. Unberechenbarer. «Bissiger». Emotionaler und mit einer ganz anderen Spielkultur. Es setzt sozusagen auf die Hockey-Elemente des Feuers: Offensive, Talent, Kreativität, Leidenschaft, Risiko, Emotionen, Provokationen. Allerdings auch stabilisiert mit einer Prise Taktik und defensiver Ordnung.
Typisch: Der Torhüter (Elvis Merzlikins) ist ein wilder Riese mit der Neigung zu «Überreaktionen» und wenig Erfahrung in grossen Spielen – er ist erst 21. Typisch auch: Der Spieler, der mehr noch als die drei schwedischen Stürmer den HC Lugano verkörpert, ist der schlaue Skorer Damien Brunner. Trainer Doug Shedden hat aus dem Viertlinienspieler einst in Zug einen NHL-Stürmer gemacht.
Der SCB setzt eher auf die erdhaften Hockey-Elemente: Taktik, Kraft, Wucht, Disziplin, Ordnung, Berechenbarkeit. Allerdings gewürzt mit Leidenschaft, Emotionen und Provokationen. Typisch: Der Torhüter (Jakub Stepanek) ist ein enorm nervenstarker, beinahe sanfter Riese, der sich nicht aus der Ruhe bringen lässt und viel Erfahrung in grossen Spielen hat – er ist bereits 29. Typisch auch: Der Spieler, der den SCB verkörpert, ist Thomas Rüfenacht, die Schweizer Antwort auf Claude Lemieux.
Ein Stürmer, der seinen Gegenspielern unter die Haut geht und dessen spielerische Qualitäten unterschätzt werden. Er hat einst im Schülerhockey versucht, einem Gegenspieler ein goldenes Halskettchen zu entreissen und so zu provozieren. Es war Sidney Crosby. Im Sommer spielt Thomas Rüfenacht oft Golf mit … Doug Shedden.
Eine zentrale Rolle spielen die Trainer. Nie war der «Feuerkopf» Doug Shedden (54) besser als in diesen Tagen in Lugano. Ja, er hat die Rolle seines Lebens gefunden. Endlich kann er ein Team kommandieren, um sein «Kavallerie-Hockey» zu spielen und einen Titel zu erobern. «Kavallerie-Hockey» steht für eine ganz besondere Art des Offensivhockeys. Für die riskante Konzentration der Kräfte, um den Durchbruch durch die gegnerischen Linien zu erzwingen.
Der Kanadier vertraut auf seine «schwedische Kavallerie». Die drei Schweden Linus Klasen (30), Fredrik Pettersson (28) und Tony Martensson (35) bilden die durchschlagskräftigste Linie im Land. Zyniker sagen, Doug Shedden forciere die Ausländer bis zum Umfallen. Und wenn das nicht helfe, dann setze er die drei Schweden bis zur totalen Erschöpfung ein.
Tatsächlich hat Lugano den Play-off-Final praktisch mit drei Linien erreicht. «Ja, natürlich ist das so», sagt Shedden. «Manchmal haben wir auch mit zweieinhalb Linien gespielt. Unsere vierte Linie hatte pro Partie höchstens fünf oder sechs Minuten Eiszeit.»
Rein rechnerisch müsste der vierte Sturm mindestens doppelt so viel Eiszeit pro Spiel bekommen. Aber der Kanadier mag keine Diskussion führen, ob das gut sei oder ob es besser wäre, mit vier Angriffsreihen zu stürmen. «Es hängt davon ab, was ich von der vierten Linie erwarten kann. Das war bisher zu wenig.» Ein Energieproblem sieht er deswegen nicht. «Die drei Schweden wollen so viel spielen, und sie haben genug Energie, um so viel zu spielen.»
Diese Diskussion ist deshalb interessant, weil der SC Bern seine Finalqualifikation dem rollenden Einsatz von vier Linien verdankt. Der Pragmatiker Lars Leuenberger (41) ist sozusagen ein «Anti-Shedden»: keine Konzentration der Kräfte. Die Last möglichst gleichmässig verteilen. Aber auch keine Sprüche. Keine Polemik. Kleines Ego. Die Strategie der Berner: Am Ende behauptet sich, wer gegen den ermatteten Gegner das letzte, das vierte Bataillon aufs Eis schicken kann. Leuenberger setzt auf die Zermürbung der überlegenen gegnerischen Blitzoffensive.
Lugano gegen Bern ist also auch die Auseinandersetzung zwischen Doug Sheddens stürmischer, offensiver Kavallerie und Lars Leuenbergers zäher, spielerischer Infanterie. Ein «Kampf der Kulturen.»
Das stürmische Vorwärtshockey liegt Doug Shedden sowieso besser als taktische Schachspiele. In Zug scheiterte er fünfmal hintereinander im Halbfinal und sagt rückblickend: «In Zug war die Mannschaft nie gut genug für den Final.» Das dürfte wohl nicht ganz der Wahrheit entsprechen. Ja, Zug ist vielleicht wegen Doug Shedden nie in den Final gekommen – aber Lugano ist zweifelsfrei dank Doug Shedden zum ersten Mal seit dem Titelgewinn von 2006 im Final.
Der Verstand sagt: Der SC Bern gewinnt das Finale. Wer den Qualifikationssieger und den Titelverteidiger aus den Play-offs kippt, ist ein logischer Meister und besser als Lugano, das bloss mit einem für die Play-offs viel zu weichen Zug und einem überdrehten Servette fertig werden musste.
Aber der Verstand hat uns schon zweimal in die Irre geführt. Wir können es ja auch etwas poetischer sagen: Der SCB ist der Favorit des Verstandes und Lugano der Favorit des Herzens.